110. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2012
 
Wir und Open Ohr
Wahrscheinlich sind wir seit 1987 jedes Jahr mit unserem Infostand dabei. Jetzt sind wir deutlich älter geworden, das Festival ist es aber auch. Wir, das sind Joachim und Renate sowie die Lesben und Schwule unseres Umfeldes, die dabei sein wollen.

Die Jahre davor waren wir zu Pfingsten immer beim Folkfestival in Ingelheim gwesen, doch als dies immer mehr ein Säuferfest wurde und Mainz ein engagiertes Politfest, war die Sache für uns klar: ab sofort waren wir beim Open Ohr, also nun schon im 25 Jahr.

Das jährliche Thesenpapier versucht, den gesellschaftspolitischen Zeitgeist einzufangen, verfasst von der Freien Projektgruppe, dieses mal empfinden wir den Text als anregend.

Warum sind wir seit Jahren hier? Weil der politische Anspruch mit den Diskussionsforen und den überhaupt gesprächsfreudigen Leuten uns Anregungen gibt, weil auch ein Teil der anderen Infostände uns freundschaftlich gesonnen ist, weil man hier Leute trifft, die man nur einmal im Jahr, und zwar hier, treffen kann und weil die 4 Tage (von Freitag bis Montag) in gewisser Weise eine Urlaubsreise in unsere 68er Geschichte darstellt, und weil es bei gutem Wetter eine Lust ist, hier zu sein.

Natürlich haben wir hier im Laufe der Jehre auch so manches Abenteuer erlebt, auf das wir lieber verzichtet hätten. Unser Stand wurde schon zweimal vom Sturm derart gebeutelt, dass wir danach für das Jahr aufgeben mussten. Wir wurden von IdiotInnen belästigt, bekamen aber von und vertrauten anderen Ständlern sofort Hilfe. Angriffe animierten uns, mit den „Argumenten“ zu beschäftigen.
 
System neu starten?
Das 38. Open Ohr Festival zu Pfingsten 2012 auf der Zitadelle in Mainz. Kein Fest der Gay-Szene aber gay-freundlich mit unterhaltendem und engagiertem Programm.
 
Unter dem Titel „System neu starten“ widmet sich das 38. OPEN OHR Festival vom 25. Mai bis 28. Mai 2012 der gegenwärtigen Aufbruchsstimmung und der weltweiten Pro-testbewegung. Ausgehend von der Finanzkrise 2007 beschäftigt sich die Freie Projektgruppe mit dem Aufbegehren der Menschen und den in 2011 im-mer lauter werdenden Rufen der Bevölkerung nach einem Wandel.

Traditionell wird den OPEN OHR-Besuchern auch in diesem Jahr wieder eine Vielfalt an thematischen Veranstaltungen aus den Sparten Kabarett, Musik, Theater und Film geboten. Darüber hinaus werden zahlreiche Podiumsver-anstaltungen und Workshops, Aktionen und so genannte „Nettigkeiten“ rund um das Festivalthema angeboten.

Das Programm dieses Jahres hat zum Zeitpunkt der Fertigstellung der LUST (Anfang Mai) schon folgende Namen aufzuweisen:
Babylon Circus, Sebastian Krämer, Landungsbrücken Frankfurt, Erland and the Carnival, Misteur Valaire, Mathias Tretter, Agora Theater, Jaune Toujours, Mujuice, Improtheater Schmidt ´s Katzen, Esther Saoub, Fan-tazio, Subva-sion, Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter, Dub a la Pub, Horst Evers.
Das vollständige Programm findet Ihr im Internet unter: http://www.openohr.de

Es gibt auch jedes Jahr 3 Bühnen, 2 Veranstaltungszelte und mehrere andere Veranstal-tungsorte, wo ihr an zahllosen Veranstaltungen teilnehmen könnt: Open-Air-Musik. Theater, Cabaret, Diskussionen und Workshops, Filme usw.

Es gibt Infostände vieler Gruppen und Initiativen (wie z.B. auch die ROSA LÜSTE) an denen auch noch Programme und Spiele geboten werden (bei uns das Gender-Spiel) und einen Markt nützlicher bis unnützer Artikel.

Selbstverständlich gibts auch den Ausschank div. Getränke (im Plastikbecher) u. jedes Jahr eine spezielle Kaffeetasse, mit dem Motto versehen, sozusagen eine Sammeltasse.

Wir sind seit vielen Jahren jedes Jahr anwesend, haben auch schon selber Beiträge zu den Diskussionsprogrammen geliefert und finden die Diskussionen mit den anwesenden FestivalbesucherInnen und anderen Standbetreiber-Innen recht erbaulich. Wenn dann noch das Wetter mitspielt, ist das wie ein Urlaub.
 
38. Open Ohr Festival vom 25.05. bis 28.05. auf der Mainzer Zitadelle
Ihr habt drei verschiedenen Möglichkeiten, Tickets für das 38. OPEN OHR Festival im Vorverkauf zu erwerben.

NEU in diesem Jahr: Zeltplatz-Tickets, sowohl für die Zeltplätze in den Grünanlagen als auch für den Sandplatz, müssen separat erworben werden.
Alle Infos rund um das Thema Zelten findet ihr im In-ternet.
1. Ihr könnt eure Tickets bequem und sicher direkt über das Internet buchen. Eure Karten werden dann per Post zugeschickt. Die Zahlung erfolgt über Lastschrift oder Kreditkarte. Pro Buchung fallen zu den Ticketpreisen noch 4,- Euro Versand- und Bearbei-tungskosten an.
2. Telefonisch könnt ihr eure Tickets über eine Ticket-Hotline bestellen: 069/ 407 662 580 (Örtlicher Ortstarif).
Montag bis Freitag 8:30 bis 19:30 Uhr, samstags 10:00 bis 15:00 Uhr. Auch hier fallen pro Buchung zu den Ticketpreisen noch 4,- Euro Versand- und Bearbeitungskosten an.
3. Selbstverständlich erhaltet ihr auch eure Karten an zahlreichen Vorverkaufsstellen in Deutschland. Alle wichtigen Informationen findet Ihr im Internet: www.openohr.de
38. Open Ohr Festival
Wie jedes Jahr sind wir auch in diesem Jahr wieder beim Open-Ohr-Festival dabei, nehmen an Debatten teil und freuen uns an Debatten, die wir mit unserem Angebot anregen können und an Kritik, von der wir selber lerne können.
 
System des Open Ohr Festivals wieder starten
Die Projektgruppe stimmt uns schon im Vorfeld auf das Festival ein und beginnt damit die Diskussion, die sich durch viele dort stattfindende Veranstaltungen in irgendeiner Form wiederfindet.

Die Freie Projektgruppe:
Thesenpapier 2012
25. Mai – 28. Mai 2012. Zitadelle Mainz
 
SYSTEM NEU STARTEN?
Rien ne va plus – das war das Thema des OPEN OHR Festivals 2011, bei dem wir uns mit der Macht des Geldes und den Spielregeln des Finanzmarktes beschäftigten. Der noch immer bestehende Eindruck, dass „nichts mehr geht“ in unserer krisengebeutelten Zeit, ist aller-dings nicht allein eine Frage des Geldes: Wertekrise, Sys-temkrise, Glaubenskrise, Fi-nanzkrise, Atomkrise, Euro-krise, Machtkrise, Wirtschaftskrise, Gesellschaftskrise, Krise, Krise, Krise … Es sieht übel aus!
Trotzdem wird am Status quo festgehalten und der Versuch unternommen, ihn vor dem totalen Zusammenbruch zu bewahren. Die Auswirkungen der größer werdenden Kluft zwischen arm und reich sind für viele deutlich zu spüren.
Heute fiebern wir mit, während andere Staaten ihre Machthaber stürzen, entscheiden uns wöchentlich zwischen Ausgehen und Demonstrierengehen, hinterfragen die Integrität unserer Informationslieferanten und sind damit nicht allein. Überall prüft man kritisch den eigenen Lebensstandard und stellt Re-gierungsformen so vehement infrage wie schon lange nicht mehr.
Augenscheinlich schrumpft das Vertrauen in die politischen Strukturen, da die „Volksvertreter“ ihre Entscheidungen fernab der Menschen treffen.
Die Unzufriedenheit wächst und die Welt ist an einem Punkt angelangt, an dem viele zu dem Fazit gelangen, dass es so nicht weitergehen kann. Ein Wandel muss her. Immer mehr Menschen sehen Handlungsbedarf und setzen sich in Bewegung, allerorts brodelt es, kribbelt es – da geht offenbar noch Einiges!
Das Jahr 2011 sah ein bemerkenswertes Aufbegehren in etlichen Teilen der Welt: Der Aufstand der tunesischen Bevölkerung gegen ihre Machthaber im Frühling des Jahres setzte in der gesamten arabischen Welt ein revolutionäres Potenzial frei. Ägypten und Libyen folgten dem Beispiel der Tune-sier, ebenso einige andere arabische Staaten. Der Aufbruch in eine neue Zukunft scheint geschafft – ob diese Versuche auch den gewünschten Befrei-ungsschlag mit sich bringen, bleibt abzuwarten.
In den westlichen Demokratien verstärkt sich ebenfalls die Tendenz, in eine neue Zukunft aufzubrechen. In Europa sind es insbesondere die Griechen, die beharrlich ihren Unmut auf die Straße tragen: Radikale Auflagen verschärfen dort die soziale Notlage, Lohn- und Rentenkürzungen, massive Einsparungen und Privatisierungen im öffentlichen Sektor, großflächiger Personalabbau – diese und weitere Sparmaßnahmen führen dazu, dass mittlerweile ein beachtlicher Teil der griechischen Bevölkerung um seine Existenz bangen muss.
Das größte Sorgenkind der Eurozone zeigt damit seinen Nachbarn, was auch ihnen bevorstehen könnte. Denn nicht nur in Griechenland werden drastische Maßnahmen getroffen, um unser marodes Wirt-schaftssystem vor dem Kollaps zu bewahren.
Als spanische „indignados“ (Empörte) am 15. Mai 2011 erstmals öffentliche Plätze besetzten, war dies eine Aktion mit Vorbildcharakter. Mit „Demo-cracia Real YA“ (Echte Demokratie Jetzt!) wurde zugleich ein Schlagwort geprägt, das seither auch Empörte anderer Nationen im Munde führen. Auch in Deutschland geht man wieder vermehrt auf die Straße: Ausdauernde und generationsübergreifende Initiativen wie die Anti-Atomkraft-Demonstrationen und der Protest gegen „Stuttgart 21“ zeugen davon, dass die Bürger mehr Beteiligung an gravierenden Entscheidungen einfordern.
Richtet man den Blick über den großen Teich, sieht man zahlreiche Menschen, die unter der Losung „Occupy …“ – ausgehend von der symbolträchtigen Besetzung der Wall Street – lautstark die Allmacht der Märkte anprangern. Egal wie die Bezeichnungen lauten, es geht um das gleiche Dilemma. Denn die logische Folge der Kritik am Wirtschaftswesen ist der Zweifel am bestehenden demokratischen System: Wessen Interessen werden hier vertreten?
Im gesamten Euroraum sowie in den Vereinigten Staaten werden in dieser Krisenzeit auf politischer Ebene zahlreiche Entscheidungen getroffen, die weitreichende Folgen haben und bei denen die Bevölkerung nicht das geringste Mitspracherecht hat.
Während die Entscheidungsträger die von ihnen erdachten Maßnahmen als „alternativlos“ präsentieren (immer wieder wird von „retten“ gesprochen), breitet sich unter den Bürgern der Eindruck aus, dass sie dabei den Kürzeren ziehen – und viele sind nicht bereit, dies hinzunehmen.
Ein kollektives Aufwachen ist zu beobachten. Wo man auch hinsieht, regt sich etwas – Menschen versammeln und organisieren sich, suchen neue Wege der Information und Kommunikation und machen sich aktiv Gedanken, wie ein Wandel herbeizuführen sein könnte.
Ihre Netzwerke tragen Namen wie „Occupy …“, „Anonymous“ oder „Echte Demokratie Jetzt!“. Sie kommen ohne Gallionsfiguren aus und sind so heterogen, dass sie weder voneinander, noch von bestehenden Initiativen eindeutig abzugrenzen sind. Trotz etlicher Unterschiede konkurrieren sie nicht etwa mitein-ander, sondern gießen vielmehr mit jedem Aufbegehren neues Öl in das Feuer einer internationalen Protestdy-namik. Die Akteure, die sich vor allem in ihrem Unmut über die herrschenden Umstände einig sind, sind in einem noch nie da gewesenen Maße untereinander vernetzt – so kann die Bewegung nicht nur aufgrund ihrer Motivation, sondern auch aufgrund ihrer Erscheinung als das wahre Kind der Globa-lisierung bezeichnet werden.
Doch was will sie? Wie es aussieht, ist diese Frage nicht so leicht zu beantworten. Kritiker der derzeitigen Bewegung (wenn man denn von einer Bewegung sprechen kann) werfen ihr vor, keine klaren Ziele und Forderungen zu formulieren, geschweige denn mit Alternativen dienen zu können.
Dabei lassen sie jedoch außer Acht, dass es sich hier um keine einheitliche Gruppierung handelt, sondern um Individuen, die etwas anstoßen und verändern wollen.
Wie gemeinsame Forderungen aussehen könnten, ist ebenso schwer auszumachen, wie der Frage nachzugehen, an wen man sie richten sollte in einem politischen System, dem man bereits das Vertrauen entzogen hat.
Die Reaktionen der Politik sind ähnlich diffus wie die Bewegung. Vereinzelt bekundet man Sympathie, noch häufiger aber scheint man froh zu sein, das Phänomen nicht allzu ernst nehmen zu müssen – denn was passiert schon groß, außer dass Hunderttausende auf die Straße gehen und irgendwie „gegen“ irgendetwas sind?
Unübersehbar sind die Empörten, aber ihre Entschlossenheit irritiert die politische Elite nicht. Auch stellt sich ein methodisches Problem: Wen ansprechen in einem Netzwerk ohne Sprecher, ohne Anführer?
Wie sich auseinandersetzen mit einer Initiative ohne klar definierte Forderungen? Es ist ungewiss, ob diese „Unfassbar-keit“ der Bewegung auf lange Sicht ihre Achillesferse ist oder ihre große Stärke.
Wie auch immer wir diese Entwicklung betrachten, Fakt ist, dass ein Stein ins Rollen gekommen ist, dass etwas in Gang gesetzt wurde, das bei aller Skepsis vermutlich nicht so leicht aufzuhalten sein wird. Es ist eine Dynamik spürbar, die die Hoffnung stärkt, dass wir durch unser Aufwachen, Aufbegehren und Aufbrechen einen nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel herbeiführen und neue Wege des globalen menschlichen Zusammenlebens beschreiten können. Mal ganz ehrlich: Wem treibt der Gedanke daran keinen Glanz in die Augen?
Also dann, setzen wir uns in Bewegung! Wir sind bereit zum Aufbruch – wohin soll die Reise gehen?
Natürlich erst mal auf die Zitadelle. Denn das 38. OPEN OHR Festival widmet sich 2012 diesem kollektiven Aufwachen und Aufstehen und will die wichtigsten Aspekte des allgemeinen Aufbruchs beleuchten.
Gemeinsam mit unseren Besuchern sowie Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst, Gesellschaft und Medien möchten wir uns über das Wie und Warum, über Hintergründe und Zukunft des Aufbegehrens austauschen.
Die Freie Projektgruppe, Januar 2012
 
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