110. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2012
 
Die Philosphie und die Machtfrage
Ob es sich um Religionen oder andere Weltanschauungen handelt, zum Beispiel solche, die aus den Naturwissenschaften oder den Gesellschaftswissenschaften stammen (oder die Naturwissenschaftlichen Lehren selber), diese Philosophien usw. verändern sich immer dann, wenn die Machtausübung gegenüber anderen oder einen Verteidigungshaltung gegenüber anderen, dazukommt. Dann kommt ein Subjektivismus hinzu, der bisweilen die richtige und notwendige gesellschaftspolitische Analyse zu ihrem Nachteil verändert.
 
Es gab eine Zeit, in der die weltlichen Machthaber und die Götter, an die die Untertanen zu glauben hatten, ein und das Selbe waren.
Vielleicht wurden die Religionen und später noch andere Weltanschauungen nur deshalb erfunden, um es der jeweiligen Herrschaft leichter oder überhaupt erst möglich zu machen, ihre Macht über die Untertanen auszuüben. Wenn es kluge MachthaberInnen bzw. Götter waren, verknüpften sie ihre Machtinteressen mit tröstenden Eelementen, zum Beispiel dass sie ein Leben nach dem Tode versprachen, denn es rührt an ein menschliches Seinsproblem, dass das Leben mit dem Tode endet.

Freiwillig und ohne Zwang wird wohl kaum ein Mensch dazu bereit zu sein, sein ohnehin recht kurzes Leben damit zu verbringen, es irgendwelchen Obrigkeiten angenehm zu machen und darum besorgt zu sein, dass es den Obrigkeiten auch wirtschaftlich und menschlich gut geht, oftmals unter großen eigenen Opfern und Aufopferungen.
 
Christentum
Nehmen wir das Christentum, eine recht erfogreiche Religion, besundes für die Obrigkeit, aus dem Judentun hervorgegangen und ursprünglich eine sozialrevolutionäre Bewegung gegen die Ausbeutung der Sklaven und der ehemaligen Herren eroberter Länder im römischen Imperium.

Selbstverständlich wurden solche Bewegungen, die der Macht und dem Wohlleben der Obrigkeiten gefährlich werden könnten, staatlicherseits verfolgt, denn der Staat ist ja der Vollstreckungsapparat der je-weils davon nutznießenden Obrigkeit und hat dafür zu sorgen, dass alles im Sinne und zum Nutzen der Obrigkeiten stattfindet. Es ist auch preiswert, wenn man den Menschen Glauben machen kann, diass sie dafür belohnt werden, wenn sie tot sind.

Die überall im Imperium versprengten Christengruppen, die freilich früher anders hießen, waren verfolgt und trotz ihrer Verheißung eines besseren Lebens nicht in dem Maße erfolgreich, dass sie die Verhältnisse ändern konnten.

Sie waren jedoch ein störendes Ärgernis und als sich der römische Kaiser in Konstantinopel machtgieriger Rivalen erwehren musste, hatte er die Idee, sich die sozialen Erwartungen der Anhänger dieser Bewegung zunutze zu machen, indem er deren chrisliche Zeichen auf die Schilder und Standarten aufmalen ließ und so die Rivalen schlagen konnte. Das heißt, er siegte mittels dieser religiösen Propaganda.

Danach allerdings musste er dafür sorgen, dass die Anhänger dieser Bewegung sich nicht weiter sozialrevolutionär betätigten, und deshalb ließ er staatliche Oberpriester dieser Religion ausbilden.

Diese hatten dafür zu sorgen, dass die Christen auch im richtigen Sinne glaubten. („Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“)
Das Konzil von Nicäa wurde vom römischen Kaiser Kon-stantin im Jahr 325 in der kleinen Stadt Nicäa bei Konstantinopel (vorher Byzanz, heute Istanbul) einberufen, da Kon-stantin das Christentum als stabilisierenden Faktor seines Kaisertums zu benutzen gedachte. Viele Bischöfe (die Mehrzahl) waren mit dem neuen Galubensbekenntnis, den Formulierung des nicänischen Glaubensbekenntnisses nicht zufrieden, man stritt sich über die Dreieinigkeit. Aber als der Kaiser die Diskussion damit beendete, dass „der Sohn eines Wesens mit dem Vater“ sei, gaben alle Bischöfe, die anderer Meinung gewesen waren, dem Wort des Kaisers nach, der sich selber als „Bischof der Bischöfe“ bezeichnete. Somit war der Kaiser in Konstantinopel der erste Papst, obwohl er selber nicht zum Christentum konvertiert war.

Auch die Textsammlung, die heute als die Bibel bezeichnet wird, wurde wahrscheinlich in Nicäa aus vielerlei alten Schriften zusammengestellt und entsprechend redigiert.

Das Christentum verbreitete sich aber erst als römische Staatsreligion so richtig, war ein Erfolgsmodell, zuerst einmal im ganzen römischen Imperium und dann auch über dieses Gebiet hinaus. Von den sozialrevolutionären Ursprüngen ist kaum noch etwas erhalten geblieben, der Kaiser war ja auch der oberste Verkünder dieses Glaubens und auf diesen Zusammenhang baut das heutige Papsttum in Rom noch heute auf.

Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen christlichen Anschauungen, die ver-heerendste war der 30-jährige Krieg, lassen sich so erklären, dass die jeweilige christliche Anschauung durch die Interessen der jeweiligen Herrscher modifiziert wurden, wie sie es jeweils brauchten, und das Zugehören zu dieser oder jener Auslegung des Glaubens bedeutete immer die Treue zu dem einen König oder dem anderen König.

Wenn Religionen oder andere Philosophien mit der jeweiligen staatlichen Ordnung bzw. der Staatsmacht verbunden sind, dann wird die jeweilige religiöse oder philosophische Lehre zum staatlichen Dogma, und ein Anzweifeln dieser Dogmen kam einem Aufruhr gegen die jeweilige staatliche Ordnung gleich. Besonders, wenn der Zweifel veröffentlicht wird oder sich viele um diesen Zweifel Scharen.

Das heißt: jede Lehre, auf die sich eine staatliche Obrigkeit stützt, wird dadurch zur Staatsideologie und das Priestertum oder Philosophentum dieser Lehre wird zwangsweise zum Wächter über diese Staatslehre. Der Staat regiert tief in diese Philosophie oder Religion hinein und selbstverständlich kann auch das Gegenteil passieren, nämlich dass die Religionsfüh-rer oder Oberphilosophen in der Lage sind, den Staat in ihrem Interesse zu lenken.

Tragisch ist, wenn die staatlich geförderte Lehre zu einem Bremsklotz gegenüber der notwendigen Weiterentwicklung der Gesellschaft wird.

Diese Erfahrung musste das oströmische Kaiserreich machen, das gegenüber den militärisch und geistig dominierenden muslimischen Königreichen nichts mehr zu bieten hatte, was von Bedeutung war.

Das oströmische/byzantinische Reich überdauerte den Zusammenbruch des weströmischen Kaisertums. Es ging erst 1453 mit der Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmed II. zu Ende, bei welcher der letzte byzantinische Kaiser Konstan-tin XI. den Tod fand.

Die gleiche Erfahrung wie das (ost)römische Reich mussten dann, einige hundert Jahre spä-ter aber auch die muslimischen Monarchien machen, als die europäischen Industriestaaten diese zu ihren Kolonien machten und die muslimischen Monarchien nichts dagegen zu setzen hatten.

Der Untergang des osmanischen Reiches, das ebenfalls von Konstantinopel aus, nun Istanbul, versuchte, die Welt zu beherrschen, war für die Muslime am Ende des 1. Weltkrieges eine ebensolche epochale Katastrophe wie für die Christen vormals der Untergang des christlichen römischen Reiches.
 
Dogmatismus und Obrigkeits-Subjektivismus
Die Aufklärung in Europa drängte die hinderlichen religiösen Vorbehalte gegenüber dem Erforschen und wirtschaftlichen Nutzen der Naturwissenschaften (und später auch den Geisteswissenschaften) zurück, und die aufgeklärten europäischen Mächte wurden so zu den neuen Weltmächten, deren Abkömmling, die USA, eine der größten Weltmächte wurde.
 
Das russische Zarenreich verstand sich als Fortsetzung des oströmischen Kaiserreiches, es ging im 1. Weltkrieg zugrunde. Das Heilige Römische Reich des Papstes und seiner mit ihm paktierende deutschen Monarchen haben sich als Fortsetzung des weströmischen Kaiserreiches, sogar als Fortsetzung des ursprünglichen römischen Reiches verstanden.

Innerhalb des westeuropäischen Monarchien schaffte es am nachhaltigsten die Französische Revolution, dem Bürgertum den Freiraum zu geben, den es brauchte, um endlich von Dogmen befreit wirtschaftlich voranzukommen. Das ging nämlich nur, indem der Adel und der Klerus ihre Macht verloren.

Und durch den Nachfolger der französischen Revolution, dem Kaiser Napoleon, wurde das weströmische Kaiserreich be-endet. Das Heilige Römische Reich erlosch am 6. August 1806 mit der Niederlegung der Reichskrone durch Kaiser Franz II. Er wurde (bzw. war dann) dadurch Kaiser Franz I. von Österreich.

Am Ende des 1. Weltkrieges starben also das Osmanische Reich sowie der Nachfolger des Oströmishen Reiches, das russische Zarenreich, sowie die beiden Nachfoger des weströmischen Reiches, das deutsche Kaiserreich und das Kaiserreich Österreich-Ungarn.

Wenn die Oberschicht durch den religiösen Dogmatismus geschützt ist, denn die Aussagen der Religion werden ja, wie wir oben festgestellt haben, durch die Herrschaftsaufgaben zugunsten der Oberschicht modifiziert, dann besteht die Gefahr, dass das Herrschaftsgebiet dadurch von allen Fortschritten ferngehalten wird, die eine Wei-terentwicklung ermöglichen würden, wie z.B. beim chinesischen Kaiserreich, so dass diese gewaltige Weltmacht zum Spielball kleinerer europäischer Mächte werden konnte.

Durch das Freisetzen des Denkens konnten sowohl in der Philosophie wie überhaupt im gesamten Bildungs- und Kulturwesen einerseits, in der Wirtschaft und den Naturwissenschaften andererseits gewaltige technische und philosophische Fortschritte erreicht werden

So entstand zum Beispiel der Liberalismus, der aussagt, dass die Strukturen im Lande schon alles richten werden, wenn der Staat (damals Adel und Klerus mit ihrem Machtapparat) sich nicht einmischt. Die Wirtschaft wird schon alle Probleme lösen, die neuen technischen Möglichkeiten werden die Grundlage eines besseren Lebens sein. Der Liberalismus kam vor allem besonders von dem aus der Beamtenschaft stammenden Bildungsbürgertum.
 
Das Bildungsbürgertum im Bund mit dem städtischen Handwerk und dem Handel vertraten diese liberale Idologie. In den Interessen dieser sich emanzierenden bürgerlichen Schichten hatte er seine Basis und im Liberalismus waren auch die wirtschaftlichen und die politischen Interessen der angegebenen Klassen (Schichten) verankert.

Es entstand auch der Konservatismus mit seiner Auffassung, dass Kirche und Staat bzw. Adel und Klerus nur dort verdrängt werden müssten, wo es für die Wirtschaft unbedingt nötig sei und soviel von ihnen erhalten bleiben sollte, wie es irgend möglich ist, denn billige Arbeitskräfte, die möglichst glauben und ansonsten parrieren, werden von diesen Kräften ja massenhaft benötigt, jedoch nicht als Leibeigene, als Fron-dienstler usw, sondern als Lohnarbeiter.

Hinter dieser konservativen Auffassung standen die neuen Fabrikbesitzer, erstanden aus dem Großhandel, denn die Industrie war schon zu Adels Zeiten das finanzielle Rückrat der Herren, und nun waren die Fa-brikbesitzer selber die neue Geldmacht. Fabriken waren wie Großbanken, wer Geld hatte, konnte dies hier investieren und erhielt eine Rendite, einen Gewinnanteil. Heute sehen die Banken selber den Staat als ihren Gehilfen an.

Die neuen Staaten, ob es noch Adlige gab oder nicht, waren nun auf die Wirtschaft des Marktes aufgebaut und nicht mehr auf die Leibeigenschaft und Frondienste im Bestz der Großgrundbesitzer. Aus Flächen, aus denen sich die Bevölkerung ernähren könnte, wurden nun Rohstoffgebiete für die Industrie, und da sich die Geldmärkte in den Industrien und Banken immer mehr ausdehnen mussten, um steigende Gewinne zu realisiern, wurden große Gebiete der Welt erobert und dieser Wirtschaft unterworfen.

In Europa wurden aus den Leibeigenen Lohnarbeiter, viele Handwerker wurden ruiniert und auch zu Lohnarbeitern usw. Und der liberale Traum von der Wirtschaft und Industie, durch die alle Menschen glücklich werden konnten, schuf den Geldadel statt vorher den Adel und andererseits Arbeitnehmer, die für ihre Schufterei so wenig erhielten, dass sie sich nicht ausreichend ernähren konnten, um dauerhaft die Kraft für die Lohnarbeit zu haben.

Kein Wunder, dass in der Arbeiterschaft dieser europäischen Länder Gedanken entstanden, die Wirtschaft dieses neuen Zeitalters so zu gestalten, dass die Menschen brüderlich und partnerschaftlich leben könnten, der Bruder ist der Socius, es enstanden sozialdemokratische Organisationen, denen es um das Los der arbeitenden Bevölkerung ging.

Diese Organisationen wurden von den Regierungen dieser bürgerlichen Staaten sofort als Feinde erkannt und bekämpft. Sie störten sozusagen den Arbeitsfrieden und somit die Gewinne.

Karl Marx war eine Art Alround-Philosoph, der die Dialektik von Hegel mit dem Materialismus von Feuerbach kombinierte und so der auf das Christentum aufgebauten Gesellschaftslehre eine neue Erkenntnistheorie entgegenstellte, den dialektischen Materialismus.

Mit dieser Hilfe verließ er sich nicht auf die eher religiöse Ge-schichtsbetrachtung, sondern entwickelte zusammen mit Engels auch den historischen Materialismus, der ihn zu der Erkenntnis brachte, dass die Geschichte der Gesellschaften und Völker letztlich eine Reihe von Klassenkämpfen darstellte und noch darstellt.

Da er selber mit seinem Freund und dialektischen Gesprächspartner Zeit- und Augenzeuge des Sturzes des Adels durch das Bürgertum war, analysierte er in seinem Hauptwerk „das Kapital“, dass das marktwirt-schaftliche Zeitalter, ebenso wie alle anderen bisherigen Zeitalter bzw. Klassenherr-schaften vorher auch, an seine Grenzen kommen wird.

Er analysierte auch, worin die Grenzen der Marktwirtschaft bestehen und wodurch also das kapitalistische Zeitalter an sein Ende kommen wird. Diese Untersuchungen konnten bis-her nicht widerlegt werden und scheinen demnach richtig zu sein.

Er kam zu der Erkenntnis, dass jede vorherige Herrschaftsfom letztlich der jeweils davon profitierenden sozialen Schicht, der herrschen Klasse also, dienten und trotz zeitweiligen eher milder Herrschaftsformen letztlich eine Diktatur der je-weils herrschenden Klasse darstellten, Und die milde Form würde recht schnell zurückgenommen, wenn die Pfründe, die die Oberschicht einstreichen wollte, jemals in Gefahr kommen sollten. Daher nahm Marx an, dass eine nachfolgende Gesellschaftsordnung, die sich aus der Diktatur des Kapitals befreit haben sollte, ebenfalls eine Klasse an die Macht bringen würde, die nun herrschen würde, und dies wäre dann die Diktatur der Arbeiterklasse, denn nur die käme nach Auffassung von Marx infrage, ein solch mächtige Gegenspieler des Kapitals zu sein.

Und da die Arbeiterklasse keine Klasse mehr unter sich ha-be, wäre die Diktatur des Proletariats letztlich der Übergang zur klassenlosen Gesellschaft, die er als erstrebenswert und notwendig ansah.

Er nahm daher Einfluss auf die damalige Arbeiterbewegung und wertete die Auseinandersetzungen, von denen er Augenzeuge wurde, wie zum Beispiel die Pariser Kommune usw. als Anzeichen des schnellen Endes des kapitalistischen Zeitalters. Dies stellte sich (aus heutiger Sicht) als ein folgenschwerer Irrtum heraus.

Der Kapitalismus ist sehr lernfähig und hat weit mehr Machtmittel, als der Adel entwickeln konnte und somit die alten Gesellschaftsordnungen und ihre Führer aufbringen konnten.

Anhänger der Untersuchungen von Marx bemühten sich nun, aufgrund des bevorstehenden nahen Endes der Marktwirtschaft, mittels der Arbeiterschaft schon die nachfolgende Ge-sellschaftrsordnung dort durch Revolution zu errichten, wo sie eine Chance sahen, zum Beispiel wegen der Kriegswirren, eine Revolution erfolgreich durchführen zu können.

Unter Lenins Führung wurde in den Wirren des 1. Weltkrieges die Union der sozialistischen Sowjetrepubliken aus dem russischen Zarenreich gebildet, in der diese Sowjewtunion tatsächlich einen riesigen technischen Sprung vorwärts machte, in der erstmals auch viele neue soziale Errungenschaften zum Tragen kamen.

Religionen wurden aus der Staatsmacht verdrängt und als neue vorherrschende Ideologie entstand eine für das Machtausüben passende Version des Marxismus-Leninismus, in dem solche ideologischen Elemente mit eingebaut wurden, die das neue Staatswesen innen- und außenpolitisch zu brauchen glaubte. Dies nannten die neuen Herrscher dann den „real existierenden Sozialismus“ und wollten damit den Intellektuellen und der Arbeiterschaft glauben machen, dass gerade nur das, was diese Führungseliten brauchten, der einzige und richtige Weg zum Paradies der Werktätigen sei.
 
Und auch die Form der gesellschaftlichen Strukturen, die sie zu ihrem Machterhalt entwickelten, wurde als der einzig richtige Weg ausgegeben. Und die Sowjetunion befand sich ja tatsächlich von Beginn an in einem ungeheuren Krieg gegen die Intervention der marktwirtschaft-lichen Industriestaaten und später durch weitere kriegerische Auseinanderstzungen ebenfalls.

Dieser vorgegebenen Auffassung über den real existierenden Sozialismus zu widersprechen war genauso schlimm und wurde genauso verfolgt, wie in früheren Zeiten Anhänger einer anderer Auslegung des Christentums verfolgt wurden.

Im Streit zwischen der Sowjetunion und dem neuen sozialistischen China unter Mao Tse-dong, als es um ideologische Fragen und dem Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten ging, belegten die chinesischen Propagaisten, dass in der Sow-jetunion ein neues Zarentum entstanden sei. „Nieder mit den neuen Zaren“ skandierten sie zur Freude der marktwirtschaft-lichen Mächte in Europa und in den USA.

Auch hier zeigt sich, dass eine wissenschaftlich und gesellschaftlich richtige Analyse, falls sie das war und ist, durch das Machtausüben mit seinen Sachzwängen und den persönlichen Interessen der neu gebildeten Oberschicht korrumpiert wird und so dann für den wissenschaftlichen Diskurs unbrauchbar wird.

Der ideologische Dogmatismus entsteht meiner Meinung nach aus den gleichen Gründen zwangsläufig wie auch der religiöse Dogmatismus erfah-rungsgemäß zwangsläufig.

Und so, das muss man wohl einräumen, sind die ehemals gute Namen Sozialismus und Kommunismus, weil sie vielen Menschen durchaus Hoffnung gaben, ebenso beschmutzt und zum Teil in grauenvoller Erinnerung, wie das Christentum mit seinen Kriegen und Machtkämpfen sowie Verbrechen, und offensichtlich viele andere Religionen auch, die als Staatsideologie zur Macht kamen.

Der Liberalismus wurde ebenso blutig, weil er soziales Elend und Armut gerade in den unteren Schichten, die er benötigte, erzeugte, der Konservativismus, weil er ebenso brutal werden konnte und zusätzlich keine wirkliche Abgrenzung zum Faschismus hat, der schon in seinem Kern mörderich ist und nicht erst dadurch, dass er durch Macht korrumpiert wird.

Es geht auch so mit den unterschiedlichen Formen des Nationalismus, wenn wir an die indische Gründungs-Staatsideologie denken, den passiven Widerstand gegen den britischen Imperialismus, oder wenn wir an die israelische Gründungs-Staatsdoktrin denken, den Zionismus und die Flucht vor dem deutschen und österreichischen Antisemitismus, immer blendete man aus, dass dort, wo man sein Land nun auf dem Boden eines bis-her anders regierten Landes errichten wollte, neue Ungerechtigkeiten und Kriegs- bzw. ideologische Feindseligkeitsgrün-de schuf, im letzteren Falle das Leid der Palästinenser, schritt-weise aus deren Heimat verdrängt wurden und neuen Anlass für neue Kriege darstellten. Gegen die Kriegspolitik Israels zu sein, wird nun als Antisemitismus bezeichnet.

Wir können auch an den Feminismus denken, der seinen Grund und seine Berechtigung in der Unterdrückung der Frau durch den Mann hat, und dass ein Mann, der aufzeigt, dass es auch gesellschaftliche Unterdrückung durch Frauen gibt und die platte Darstellung: Frau gut und sanft, Mann stark und aggressiv, so falsch ist, dass dies die Errungenschaften der Gleichstellung in Gefahr bringt.

Besonders die feministische Bekämpfung von schwulen Männern mittels Geschichtsfälschung und der Moralkeule seitens mancher Feministinnen, die durch Vereinnahmung lesbischer Frauen das traditionelle Mann-Frau-Bild aufrechterhalten möchte, ist ein deutlicher Hinweis auf Machtgebärden unter Ausnutzung der noch im-mer vorhandenen Schwulendiskriminierung zum eigenen politischen Vorteil.
 
Traditionen und Volkstümliches
Und wir können aus alle dem die Erkenntnis ziehen, dass jede Pholosophie, wissenschaftliche Gesellschaftstheo-rie, jede hoffnungsgeben Verheißung und jede Religion in Verbindung mit Machtfragen nicht mehr sie selbst sein kann und zur Irrlehre wird beziehungsweise notwendig zur Irrlehre werden muss, weil eine aus guten Gedanken stammende Irrlehre recht gut geeignet ist, als Herrschaftsideologie zu dienen, wenn es dazu gerade passt.

Oft verbinden sich Religionen gerne mit ortsansässigen Ge-pflogenheiten, um die daraus entstehenden ideologische Mischung „Traditionen“ nennen zu können und für eigene religiöse Machtinteressen bzw. politische Interessen nutzen zu können.

Zum Beispiel nationalistische Lieder, die gerne zur Traditionspflege genutzt werden funktionieren ebenso wie revolutionäre Lieder, die ebenfalls zur Tra-ditionspflege genutzt werden können. Denken wir an die ehe-mals sozialistischen, heute eher konservative „Partei der institutionalisierte Revolution“ im Original genannt: (Partido Revolucionario Institucional PRI), die sich alls Regierungspartei des damaligen Einparteienstaates Mexico bildete und sich auf die mexikanische Revolution 1910 - 1920 beruft, ihre neoliberale Abspaltung nennt sich derzeit übrigens „Partido de la Revolución Democrática“, nachdem sie sich vorher „Frente National“ nannte.

Denken wir auch an die „Mutterlandspartei“ der Türkei, an diverse christliche oder muslimische Parteien usw. Den jeweiligen Parteiideologen ist dabei auch jede Fälschung und jede Vereinnahmung toter angesehener Menschen aus der Geschichte recht.

Das ist jedoch nichts Neues. Das Papsttum berief sich sehr lange auf die „konstantinische Schenkung“ und erst im Zusammenhang mit der Reformation und somit auch heutzutage gibt der Vatikan zu, dass es sich um eine Fälschung handelte.
 
Perspektiven?
„Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern“, meinte Marx, aber um die Welt verändern zu können, muss man die Philosophie an die aktuellen Erfordernisse der Zeit anpassen. Und somit wird jeder erleben können, dass dies schlichte Herrschaftspropaganda und sonst nichts ist.

Soll das heißen, dass sich die Philosophien dann doch lieber nicht um die Realitäten hinter den philosophischen und politischen Auseinander kümmern sollen, und in ihrem Elfenbeinturm bleiben sollen? Ebenso wie die Rligionen, damit nicht ständig neue passende Fälschungen hinzukommen, sofern sie nicht ohnehin von Grund auf Fälschungen sind, die politische Hintergründe hatten und haben?

Sollen sich Sozialwissenschaftler nicht mehr um die Realitäten um sie herum kümmern?

Die derart spitz gestellte Frage lässt erahnen, dass ich dies nicht meine.

Doch ist unabdingbar, zu verstehen, dass man keiner religiösen wie phiolosophischen Lehre vertrauen oder glauben kann, weil es nicht nur sein kann, sondern weil es so sein muss, dass diese Lehren im-mer im Laufe ihrer Geschichte vom politischen Zeitgeist verändert wurden, seien es Religionen oder Philosophien.

Bei Anhängern von Religionen, die ja verlangen, dass man sie so glaubt, wie sie uns nahegebracht wurden oder werden, die dann nach der Staatsmacht greifen, um die Menschen ihrer Ordnung zu unterwerfen und sie zu zwingen, nie den Dogmen zu widersprechen, nicht einmal an den Zweifel zu denken, wird diese Forderung wohl strikt abgelehnt werden.

Religionen sind nun mal hier-arschich und undemokratisch aufgebaute Strukturen, sonst könnten sie so nicht existieren, und diese hierarchischen Denkstrukturen beziehungsweisen ihre Verkünder müssen sich am meisten vor geäußerten Zweifel und im wesentlichen vor den erkannten Naturwissenschaften sowie eher demokratisch (von unten nach oben) strukturierten philosophischen Grundannahmen fürchten.

Anders ist es mit den Geisteswissenschaften, die ja ohnehin von Grund auf als menschliche Gedankenauseinandersetzungen auftreten und im Grunde nichts anderes wollen.

Nur wenn man, ohne es überprüfen zu dürfen, einfach den Chefphilosophen glauben soll, weil der Staat oder die vorherrschende Gesellschaft dies verlangt, muss klar sein, dass es sich hier um eine Theorie handelt, die nicht mehr den Anspruch auf Wahrheit haben kann, sondern wie eine Religion geglaubt werden soll, was sehr anmaßend ist.

Um meine These zu unterstreichen fällt mir hier noch Brechts „Lob des Zweifels“ ein, und diesen Text habe ich schon oft gelesen und auch schon rezitiert gehört, weil er mir seit längerer Zeit richtig erscheint, sodass ich ihn nun aus meinem Gedächtnis heraus hier noch niederschreibe. Ich stelle also fest, dass ich diesen Text nicht ir-gendwo abgeschrieben habe. Ich weiß auch im Moment nicht, wo ich ihn gerade finden könnte.

Ich finde aber, dass in ihm wichtige Grundgedanken der Allgemeinbildung formuliert sind, die nicht unter dem Vorwand eines Urheberrechtes hier an dieser Stelle verborgen bleiben sollen, gerade weil es viele Leute gibt, die ihn nicht mögen (js)
 
Dein Kommentar zum Artikel: hier

 Zum Artikelarchiv

 Zur Artikelhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite