110. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 2012
 
Die Tunte
Über das gesellschaftliche Ansehen einer Tunte und ihrer Lebenswirklichkeit. Was von Männern erwartet wird und nicht erwartet wird.

In Kontaktanzeigen war oft zu lesen „Tunten zwecklos“ oder „keine Tunten“. Daraus war im wesentlichen zu entnehmen, dass der Betreffende sich nicht mit „Tunten“ abgeben wollte, sehen lasen wollte oder seine Abneigung gegenüber Tunten offen demonstrieren wollte.

In Spielfilmen machte man sich über „die Schwulen“ lustig, indem man feminin auftretende Männer zum Objekt des Spottes und des Gelächter machte. Männer hatten einfach das zu sein, was man „männlich“ nannte, und das war das Gegenteil von Frauen und somit von femininen Männern.

Schon kleine Jungs lernen ja, dass sie nicht weinen sollen, stark sein sollen, keinen Schmerz kennen sollen, ihre Gefühle nicht zeigen sollen usw.

Wenn Männern etwas herunter fällt, bücken sie sich schnell und heben es auf. Nicht wie eine Frau, die erst eine spitzen Schrei ausstößt, sich Zeit lässt, ob ein Mann zuspringt und es ihr aufhebt und erst nach einiger Zeit windet sie sich langsam und wirksam nach unten, der ganze Blick ist ein Vorwurf an Männer, die nicht zugesprungen sind.

Die übliche Kleidung ist schon so gemacht, dass eine Frau sich nicht schnell bücken kann. Sie demonstriert im Grunde Hilflosigkeit. Die Kleidung des Mannes lässt ihm allen Spielraum, den er braucht, um tatkräftig zu sein, nicht aber um Hilfsbedürftigkeit zu zeigen und damit offensichtlich zu kokettieren.

Männlichkeit und Weiblichkeit sind somit Einordnungen in ganz bestimmte Verhaltensrollen, haben nichts mit der Natur des Menschen zu tun, und die jungen Buben und Mädchen machen eine harte Dressur mit, um zu erlernen, wie sie sich als Buben und Mädchen zu verhalten haben, ohne Spott und Kritik oder Schlimmeres herauszufordern.

Dass die Geschlechtsrollenerziehung eine harte Sache ist, beschrieb schon 1990 der amerikanische Soziologe David D. Gilmore in seinem Buch „Mythos Mann - Wie Männer gemacht werden - Rollen, Rituale, Leitbilder" (dtv Sachbuch) . Von seinen vielen kulturhistorischen Belegen ist mir eine Geschichte noch immer in bleibender Erinnerung, die Geschichte von einem Mann aus dem Norden Spaniens, nun mit seiner Familie im Süden wohnend, der ganz einfach abends nicht auf die Piazza ging, wie es doch für die Männer abends üblich war.

Er hatte einfach keine Lust dazu und ahnte nicht, dass dies ein Fehler war. Es machte ihm schlicht keinen Spaß, da es ihm mehr Spaß machte, für seine Familie zu kochen.

Und so dauerte es nicht lange, dass man schon bald im Ort meinte, er sie überhaupt kein richtiger Mann, hätte nur ganz kleine Eier und die Kinder könnten unter keinen Umständen von ihm sein.

Gilmore beschreibt auch die brutale Dressur junger Menschen zur Männlichkeit, und welche Leiden die Jungs durchmachen müssen, bis sie dann als Männer Anerkennung finden. Die Mannbarkeitsritu-ale sind überall auf der Welt, so Gilmore, mit dem Ertragen von Gewalt und Kasteiung verknüpft. Diese Anerkennung als Mann erringt man sich durch Härte, Gefühlskälte und Brutalität gegen sich selber und gegen andere.

In dem Buch „Die Sehnsucht der Frau nach der Frau“ von Barbara Gissrau, erschienen 1993 im Kreuz Verlag Zürich, erzählte die Autorin von einem Experiment. Einer Gruppe von Studentinnen und Studenten wurde ein schreiendes Baby in einem Film gezeigt und die StudentInnen sollten erklären, warum das Kind, das ein Mädchen sei, wahrscheinlich weine. Die StudentInnen meinten, es weine aus Einsamkeit und Angst.

Der studentischen Vergleichsgruppe wurde gesagt, es sei ein Junge. Und diese Student-Innen meinten, das Kind wolle als kleiner Prinz seine Macht testen, es weine aus Zorn.

Somit ist wohl klar, dass auch für die noch nicht geborenen Kinder dieser jungen Leute schon ein volles Programm der gesellschaftlichen Ge-schlechtsrollenerziehung bereit steht, und zwar unbedacht auch durch die StudentInnen selber, die ja als intellektuell gelten.

Aus dem hier Aufgeführten lässt sich belegen, dass die Geschlechtsrollen von klein auf andressiert werden. Sie haben nichts mit der Biologie des Menschen zu tun, sondern es sind gesellschaftliche Konstrukte. Da gibt es keine Zwischenstufen und keine Abweichungen: entweder Du bist Mann, und dann richtig, oder Du bist Frau, und das dann auch richtig.

Das schlimmste Erlebnis für einen ungen bzw. Mann ist, dass man behauptet, er sei kein richtiger Mann. Daher der boshafte 68er Satz: Ein Mann hat keine Angst, außer der Angst, kein richtiger Mann zu sein. Ein nagender Zweifel frisst also in jedem Mann, ob er auch wirklich als „Mann!“ angesehen wird. Und jder befürchtet, dass man anzweifeln könnte, dass man ein richtiger Mann sei.
 
Zwischenstufen
Zwischen dem gesellschaftlich vorgegebenen Bild des Mannes und der Frau existieren zahlreiche körperlich auffällige Zwischenstufen, die schon unmittelbar nach der Geburt in vielen Ländern zu körperlich eindeutigen Frauen operiert werden. Sie werden derzeit Intersexuelle genannt oder früher Hermaphroditen bzw. im Volksmund Zwitter.

Ob es sich nun um chirurgisch verstümmelte Intersexuelle handelt oder um nicht verstümmelte, ihre jeweilige sexuelle Identität kann unter dem vorherrschenden Zwang, eindeutig dem Leitbild der Frau (oder des Mannes) zu gleichen, nicht „ihrer Natur“ entsprechen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Intersexuelle eben nicht zu Männern, sondern zu Nichtmännern, also zu Frauen operiert wurden und teilweise noch heute werden.

So wie es körperlich erkennbare Zwischenstufen gibt, gibt es auch im Bereich des Psychischen, der Identität von Menschen, recht unterschiedliche Zwischenstufen zwischen den Geschlechterrollen von Menschen, die sich dies eben-falls nicht selber ausgesucht haben.

Die Tatsache der Existenz solcher Zwischenstufen ist aber im übrigen nicht in der Lage, die sexuelle Ausrichtung von homosexuellen Menschen zu erklären. Es gibt sowohl heterosexuell wie homosexuell ausgerichtete Menschen bzw. in diesen Identitäten und in allen Formen dieser Zwischenstufen.

Homosexuelle Menschen sind wohl überhaupt nicht den sexuellen Zwischenstufen zuzurechnen, es handelt sich hier eher um einen völlig anderen gesellschaftlichen Zusammenhang, der auch bei anderen Säugetieren in der Natur zu beobachten ist.

Und so ist unabhängig von der jeweiligen körperlichen Beschaffenheit die sexuelle Ausrichtung auch nicht unbedingt mit der Vorgabe übereinstimmend, die die menschliche Gesellschaft von Menschen und Tieren als sexuelle Ausrichtung verlangt.

Was die Frage der sexuellen Neigung (nicht Identität) betrifft, darüber äußert sich Freud einigermaßen zutreffend:
„Die psychoanalytische Forschung widersetzt sich mit aller Entschiedenheit dem Versuche, die Homosexuellen als eine besonders geartete Gruppe von den anderen Menschen abzutrennen. Indem sie auch andere als die manifest kundgegebenen Sexualregungen studiert, erfährt sie, dass alle Menschen der gleichgeschlechtlichen Objektwahl fähig sind und dieselbe auch im Unterbewussten vollzogen haben. ... Der Psychoanalyse erscheint ... die Unabhängigkeit der Objektwahl vom Geschlecht des Objektes, die gleiche freie Verfügung über männliche und weibliche Objekte ... als das Ursprüngliche, aus dem sich durch Einschränkung nach der einen oder anderen Seite der normale wie der Inversionstypus (der homosexuelle Typus) entwickeln. Im Sinne der Psychoanalyse ist also auch das ausschließliche sexuelle Interesse des Mannes für das Weib ein der Aufklärung bedürftiges Problem und keine Selbstverständlichkeit ...” (Siegmund Freud, Drei Abhandlungen, 1905, Fußnote von 1910).

Von Natur aus ist der Mensch also das, was wir heute „bisexuell“ nennen. Nur bei der Bewertung der Frage der sexuellen Ausrichtung bzw. der sexuellen Identität muss zusätzlich noch besonders berücksichtigt werden, dass der Eingriff der Gesellschaft mit ihren Normen und Zwängen zu einer Ausrichtungen der Selbstbe-hauptung führen kann odxer sogar muss, die die Identität von Menschen beeinflusst.

Daraus entsteht unter diesen besonderen Umständen dann eben doch „eine besonders geartete Gruppe" mit Ansätzen einer eigenen Identität, hervorgerufen durch vergleichbare Erlebnisse in einer anders normierten Umwelt.

Was „homosexuell" ist, wird jedoch in den verschiedenen Kulturen recht unterschiedlich eingeordnet. Männer, die gerne auch oder ausschließlich Männer penetrieren wollen, werden in vielen Ländern, besonders in südlichen Ländern, gar nicht als Homosexuelle angesehen. Sie heiraten im übrigens auch üblicherweise und gründen eine Familie mit Kindern. Nur ein Teil der Männer, der sich gerne penetrieren lässt, wird dort als schwul angesehen.

Diesen Männer wird dann unterstellt, dass sie keine richtigen Männer seien. Was ein Mann ist, definiert sich in Abgrenzung von Gefühlen, Sensibilität und überhaupt dem Weiblichen.

Homosexuelle Menschen finden sich aber besonders in Gesellschaften mit einem extrem forcierten Mann-Frau-Dualismus in der Situation, eine für sich selber und für begehrte Menschen akzeptable Erklärung ihrer Neigung entwickeln zu müssen.

Alexander Zinn versucht, die zu beobachtende „Verweib-lichung“ mancher homosexueller Männer, die Tunten also, in seinem Buch zu erklären: Campus Verlag, "Das Glück kam immer zu mir" - Rudolf Brazda - Das Überleben eines Homosexuellen im Dritten Reich.

"Ein Mann zu sein, obwohl man Männer liebt, war in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts tatsächlich für viele Homosexuelle unvorstellbar. Beispielhaft sei hier ein anderer biographischer Bericht zitiert, von einem Homosexuellen, der ein Jahr älter war als Rudolf Brazda und in derselben Region aufwuchs: „An mir habe ich festgestellt, dass ich vollkommen `Frau´ bin. Nur mit dem Unterschied, dass ich äußerlich als Mann entwickelt bin. Ich fühle, denke und handle wie eine Frau (...). Das äußere männliche Wesen ist unecht an mir. Man kann fast jeden Homosexuellen beobachten, dass das Weibliche immer in in irgend einer Form vorhanden ist."

Rudolfs Geschlechtsrollenwechsel, sein "Cross-Dressing", lässt sich in jedem Fall als eine Verhaltensstrategie interpretieren, das Bedürfnis nach erotischen Kontakten zu Männern in den heterosexuell normierten Rahmen seines sozialen Umfeldes einzupassen, bevor sich dazu andere soziale Verhaltensstrategien und Deutungsmuster anboten.
 
Der Wechsel in die weibliche Rolle könnte einem "angeborenen" Bedürfnis entsprungen sein, wenn man solchen Theorien Glauben schenken mag. Er hatte aber auch instrumentellen Charakter und kann deswegen nicht gleichgesetzt werden mit einer Identifikation mit dem weiblichen Geschlecht, wie sie etwa bei Transsexuellen gegeben ist." (Zinn a.a.O. S. 39 f)

Zinn sieht also das feminine Gehabe und Blickausrichtung homosexueller Männer aus "weiblicher Sicht" auf den Mann sowie das Eintauchen in die Frauenrolle als eine Ver-haltensstrategie unter dem gesellschaftlichen Druck des extremen Mann-Frau-Dualismus an.

Dieses Verhalten wird einer-seits von Frauen nicht goutiert, weil dieses Auftreten das Beobachten weiblicher Strategien nötig macht und diese entlarvt. Männer die durch den Gebrauch weiblicher Verhaltensweisen diese nachahmen, werten Frauen oft als Versuch, sie zu karikieren, lösen so bei ihnen und zudem auch bei manchen männlichen Liebhabern von extrem femininen Frauen Aggression aus.

Anders ist dies bei männlichen Frauendarstellern auf der Bühne, die dabei eher erotisch und verrucht wirken und daher beliebt sind.

Zinn scheint mir teilweise auf dem richtigen Weg zu sein, wenn er beim Auftreten von Tunten eine Verhaltensstra-tegie zu sehen glaubt. Doch nicht alle als Tunten definierten Männer können so eingeordnet werden. Es gibt immer mehr als einen Grund für gesellschaftliche Zusammenhänge. Aber Zinn geht wohl auch von der natürlichen Männlichkeit und Weiblichkeit an sich aus, und auch dies muss angezweifelt werden.

Vielleicht sind diese dominanten gesellschaftlich erzwungenen Verhaltenseisen Männlichkeit und Weiblichkeit überwiegend auch Verhaltensstrategien die zur Identität wurden?
 
Männlichkeit und Weiblichkeit
Die Frauenbewegung in der Bundesrepublik befindet sich angeblich in ihrer 3. Phase. In der 1. Phase ging es ihr um Gleichberechtigung, in der 2. Phase um das Recht auf weibliche Differenz, nun in der 3. Phase geht es ihr um die Dekonstruktion des Männlichen und des Weiblichen als gesellschaftliche Konstrukte. Nur ist diese Position, in der auch Queer Nation argumentiert, nicht gerade die ideologische Grundlage einer Massenbewegung.

Eine Massenbewegung war die Frauenbewegung nur in ihrer 1. Phase. In der 2. Phase begann schon der Zerfall der Massenbewegung und es mehrten sich die Versuche, bezahlte Posten zu verteidigen. Die 3. Phase spielt sich nur noch in universitären Zirkeln ab.

Wir können uns jedoch auch noch von einer anderen Seite diesem Thema nähern, nämlich von der Seite des schwulen Mannes, besonders der Tunte.
Matthias Frings hat in seinem folgend dargestellten Buch in einem anderen Zusammenhang zu unserer Diskussion beigetragen. Das Buch: „Liebesdinge - Bemerkungen zur Sexualität des Mannes“, rororo 1984.

Dort beschreibt er ab S, 53 den Besuch einer Männerstrip-Veranstaltung. Zwischen wiedergegebenen Beobachtungen beschreibt er Gedanken des Beobachteten. Zum Beispiel:

„Discomusik an. Spot auf ein winziges Podest: rot. Junge Mann (Stoffhose, Hemd, Blouson): rauf. Er zieht sich aus. Mehr ist nicht zu sagen. Ab und zu ein paar verhärmte Tanzschritte, eine kleine Drehung. Mit Schuhen und Socken hat er seine Last. Wie kann man Socken "eritisch" ausziehen, ohne bescheuert auszusehen? Aber noch pellt sich der Mann aus dem Hellblauen. Beim Publikum kaum eine Reaktion. Die Männer grinsen verlegen, und ... Die Frauen scheinen sich eher zu langweilen. Endlich fällt der Slip. Der Stripper rafft hastig die verstreuten Kleidungsstücke zusammen, presst sie ängstlich vor seinen Unterleib und verschwindet ... in seine Garderobe. Schwacher Beifall.

Eines ist klar: Um die paar Zentimeter kann es nicht gehen. Die Enthüllung war enttäuschend. Etwas (das Wichtigste?) hatte gefehlt, niemand war auf seine "Kosten" gekommen. Worum geht es?" Frings a.a.O. S. 64 f.

Hier werden noch weitere eher langweilige Strips beschrieben. Es geht um Männerstrip, der nicht erotisch wirkt, weil das Wesentliche fehlt. Was wirkt eigentlich als erotisch? Was also ist Erotik?

„Die Erotik wird von ihrer Funktion getragen. Eine Erotik, die für sich selber steht, gilt als dumm, das heißt weiblich. Beim Mann ist erotische Ausstrahlung nur vermittelt akzeptabel, ihr Prototyp: die Macht.

Kein Wunder, dass jede weitere Schwanzentblößung zur Enttäuschung gerät. Eine zielgerichtete Dramaturgie wird hergestellt, die Kundschaft neugierig gemacht und aufgefordert mitzugehen, aber wie bei einem Klavierlauf, dessen letzter, erlösender Ton fehlt, bleibt nichts als ein enttäuschtes na und? Die Stripper tun ihren Job und verweigern sich gleichzeitig, die Nummern sind hastig und verschwitzt." Frings a.a.O. S. 65 f.

Dann beschreibt er einen Strip durch einen recht jungen Mann, der in seiner jugendlichen Unbekümmertheit seine Show mit als feminin geltenden Einlagen würzte, und der Umgang mit seinen Zentimetern ist ein Umgang mit bubenhafter Kess-heit, was offensichtlich gut ankommt, bei Frauen und auch eher neidvoll bei Männern:

„Die Frauen scheinen angenehm berührt, weil er seine Männlichkeit offensichtlich aus Spaß eines großen Jungen betrachtet. Endlich reißen ihm zwei beherzte Frauen den Slip runter - nein, das war's wirklich nicht -, und er verabschiedet sich mit einem strahlenden Siegerlächeln.

Ist dies erlaubt? Darf ein Mann in aller Öffentlichkeit ungestraft unmännliche Haltungen wie Eitelkeit und Passivität zur Schau stellen? Er darf nicht, aber er kann - und siehe da, den Frauen scheint das zu gefallen. Da spielen ihre gutgläubigen Ehemänner jahrein, jahraus den bodenständigen, dominanten, zielgerichteten Mann und dieses Flittchen lässt sich einfach begaffen, beklatschen, bewundern, lässt sich auf offener Bühne in einem symbolischen Akt nehmen. So einfach ist das." Frings a.a.O. S. 67.

Was kann uns dies in unserem Zusammenhang sagen? Was Weiblichkeit genannt wird, hat nichts mit der Ursprünglichkeit der Frau zu tun. Es ist dies die Verkörperung von Gefühlen und hat dadurch erotische Ausstrahlung, die nur den Frauen in unserer Gesellschaft zugeordnet und zugestanden wird bzw. interpretiert wird.

Die Elemente dieser Ausstrahlung sind ein gewisser Schwung und unverstellte unbekümmerte Bewegungen (wird bei Frauen als Hüftschwung gelobt), das Erkennen lassen von lustvoller Emotion in der Hingabe gegenüber der umschwärmten Mächtigen oder Erwählten, der Blick von unten mit dem betreffenden Augenaufschlag, das Demonstrieren einer gewissen Tappsigkeit sowie Hilflosigkeit mit Anschmiegsamkeit (Ohhh, bist Du aber stark!) sowie des Ausgeliefertseins an die Lust gegenüber dem oder der Anvisierten.

Oftmals kommt zu dem allem noch das Kindchenschema mit der Stupsnase und den Kulleraugen.

Erotische Frauendarstellun-gen und Zeichnungen zeigen ebenfalls diese Nase und Augen. Kinder zeigen das unterwürfige Verhalten besonders, wenn sie etwas bei ihrer Mutter erreichen wollen, hinzu kommt der unwiderstehliche Schmollmund. Erotische Frauen werden ebenfalls mit Schmollmund gezeigt.
Viele dieser als weiblich eingeordneten Verhaltensweisen haben männliche Jugendliche noch, bevor sie dann zunehmend und mit voranschrei-tender Sozialisation schrittwei-se vermännlicht werden, dann sind sie Männer, völlig ohne dem Blick mit den Kulleraugen von unten.

Alle diese Verhaltensweisen also gelten als Weiblichkeit und sie sind dennoch die Verhaltensweisen, mit denen dann, wenn die Kindheit vorbei ist, das sexuellen Anbieten (üb-licherweise von Frauen) gezeigt wird, die mit viel versprechender Verlockung und Hingabe ausgedrückt wird.

Weiblichkeit ist also genauso wenig grundsätzlich weiblich wie Männlichkeit grundsätzlich männlich ist. Bei Männlichkeit geht es um Gefühllosigkeit und dem Demonstrieren von Stärke. Was diese Rollenaufteilung soll, darüber haben wir uns schon in verschiedenen anderen Zusammenhängen geäußert.
 
Die Tunte also
Sie ist ein schwuler Mann, kann den Anspruch erheben, eine andere Art von Mann zu sein, der mit als weiblich definierten Verhaltensweisen das Gegenstück zum massenhaft auftretenden männlichen Män-nerbild darzustellen versucht. Oft hat er sich derart in diese Rolle eingearbeitet, dass er das gelegentliche Umsteigen zu männliche Männerrolle nicht immer schafft. Gerade dies wird in Spielfilmen zur Belustigung gezeigt, oft wohl auch als Warnung.

Nicht zur Belustigung wird aber das Bild gezeigt, das Männer ständig zu spielen haben, obwohl es ihnen so nun auch nicht entspricht. Tunten sind in ihren Verhaltensweisen und den Signalen für Männer der Schwulenszene oftmals ehrlicher als so manche Macho-Schwule.

Während die Tunte in der heterosexuellen Umwelt beson-ders von Schwulen nicht gemocht wird, weil sie den Schwulen neben ihnen ebenso entlarvt, sind sie im Bett doch oftmals recht willkommen, auch von einigen der so genannten Heten-Männern.

Tunten sind derzeit in der immer heterosexualisierteren Schwulenszene kaum noch vorhanden, denn diese Verhaltensweisen führen kaum mehr zu irgendeinen Erfolg und diese neue Form der Schwulenszene kommt auch ohne Verhaltensweisen, die als weibisch angesehen werden, aus, selbst wenn Mann sich gerne ficken lässt. Wohin sollen also die Männer gehen, die Tunten sind?

Männer, die so sozialisiert sind, wie doch noch sehr viele Frauen sozialisiert sind, nämlich extrem tuntig, haben ihr Leben lang erlebt, dass sie überall verspottet und verfolgt werden, von der Schule über den Arbeitsplatz von der Mietwohnung bis zu öffentlichen Orten wie Verkehrsmittel und Veranstaltungen.

Bei jugendlichen Tunten läss man es durchgehen, amysiert sich dabei und verstärkt so deren Rollenbildung.

Ab dem Alter, wo Mann männlich zu sein hat, führt Abweichung zur Ausgrenzung oder Verfolgung. Die Verfolgung und Verspottung geschieht durch Männer wie durch Frauen. Wir haben in der Geschichte unserer Gruppe recht viel von deren Schicksal erfahren.

Dass es aber heutzutage weniger Tunten in unserer Szene gibt, heißt nicht, dass es keine mehr gibt, sondern dass sie kaum noch Orte finden, in denen sie unbehelligt offen sein können.

Travestieveranstaltungen ziehen nicht immer homosexuelle Menschen an, sie finden deshalb so oft in unserer Szene statt, weil dies aus unserer Szene kommt und so ein Teil der Szene darstellt.

Diese Verasnsteltungen ziehen eher heterosexuelle Menschen an, die heir und da etwas Verruchtes erleben möchten, eben ohne dem Verdacht auszusetzen, selber unmännlich oder unweiblich zu sein. Die Tunte oder dieTranse im Bett, die ganz und gar die Frau „ist“, wird von Heten oder bisexuellen Männern auch in unseren virtuellen Kontakteinrichtungen städig gesucht. Dies ist aber kein Problem homosexueller Männer, die, weil sie homosexuelle Männer sind, abblitzen, sondern es hat etwas mit Hetenwünschen zu tun. (js)
 
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