- 37. Lust: Aug/Sept. 96
- So'ne schöne Leiche
- Das Lifestylemagazin Magnus starb zum
zweiten Mal an Profilschwäche. Sein Tod zeigt aber auch
den Wandel im schwulen Selbstverständnis.
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- ,Wo lebt es sich als Tunte besser: New York
oder Berlin? Wie werde ich ein Model? "Wem solche Fragen
den Schlaf rauben, der wird auf sachkundige Antwort ebenso warten
müssen wie auf Hinweise zum ,,neuen Dandy-Look"
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- Das Journal nämlich, das dies alles
für das Juli-Heft angekündigt hat, existiert nicht
mehr: MAGNUS, einst renommiertestes deutsches Schwulenmagazin.
,,Die sehr unbefriedigenden Verkaufszahlen (...) sowie die hohen
Fixkosten bei geringer Verbreitung geben MAGNUS weder mittel
noch langfristig eine wirtschaftliche Perspektive", so die
Geschäftsleitung des Jackwerth-Verlages in einem Brief an
die Abonnenten. Was da endet, war mal ein ambitioniertes Projekt.
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- Als der damals noch kleinbuchstabige magnus
im Juni 1989 erstmals erschien als kommerzieller Nachfolger der
1974 bzw. 1981 gegründeten semiprofessionellen Rosa Flieder
aus Nürnberg und Siegessäule aus der ,,Frontstadt Berlin"
wurden hehre Ansprüche postuliert. Der Titel war eine Reminiszenz
an den jüdischen Sexualforscher Magnus Hirschfeld, ,,von
der Bewegung für die Bewegung" lautete das Motto, und
diese ließ sich die Patenschaft 100.000 DM kosten.
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- Waren in den Ausgaben der ersten beiden Jahrgänge
die Ansprüche noch in guten, pointierten Artikeln erkennbar,
so folgte bald darauf das ,,Coming out der Manager" (so
ein magnus-Titel), sprich: die spürbare Unterordnung der
Inhalte unter die Erfordernisse des Marktes. Eigene politische
Akzente wurden zunehmend seltener gesetzt, die Hefte von Mal
zu Mal mehr mit kulturellen und vor allem Lifestyle-Themen gefüllt.
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- Fotoreihen häuften sich, Pin-ups tauchten
auf, Triviales wurde zu tragenden Artikeln aufgebauscht. Im Impressum
fanden sich das dürfte einmalig sein in der deutschen Presselandschaft
nebeneinander die Ressorts Feuilleton und Kultur, während
die Politik mit der Wissenschaft gebündelt wurde. Die "Bewegung"
kam kaum noch vor, um so mehr die ,,Szene".
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- Mit dem inhaltlichen Verfall stieg das Anzeigenaufkommen.
Und es gab mehr zu holen. Die kommerzielle Szene in den Metropolen
boomte, und der überregionale magnus war nicht der geeignete
Träger für deren Werbung. Die SIEGESSÄULE wurde
für Berlin reanimiert und zuletzt einzig profitable Geschäft
der gesamten Magnus Medien Verlags GmbH.
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- Ähnches versprach sich der damalige
Geschäftsführer Bernd Offermann von anderen regionalen
Werbemärkten: Ins Auge gefaßt wurden das Rhein-Main-Gebiet,
Hamburg und Nordrhein-Westfalen (NRW) mit seiner riesigen Schwulenszene.
Dabei ging man, ganz den Wolfsgesetzen des Marktes gehorchend,
nicht zimperlich zum Beispiel mit den dortigen ehrenamtlichen
Schwulenblättern um. In NRW sollte ab Frühjahr 1993
die Programmgazette Erwin installiert und dafür nicht nur
die formale Herausgeberschaft des staatlicherseits als gemeinnützig
g e f ö r d e r t e ,,Schwulen Netzwerks NRW" gewonnen,
sondern auch dessen Geldfonds angezapft werden; just hatte das
Netzwerk einen sechsstelligen Zuschuß vom Sozialministerium
erhalten.
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- Inhaltlich sollten die kleinen Zeitungen
der Gegend (Rosa Zone, Bochum, Facette, Düsseldorf, Raus
in Köln) zu liefen, natürlich weitgehend gratis. Aber
die rebellierten, und Baby Erwin wurde letztlich abgetrieben.
Dafür beglückte man später Hamburgs Schwule mit
hinnerk.
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- Keinen Fuß hingegen bekam magnus auf
den Boden der ehemaligen DDR, allein schon, weil man weder die
Sprache der Ossis sprach noch deren Probleme verstand. Und das,
obwohl schließlich mit Politik-, Wissenschafts- und Chefredakteur
Gunnar Döbberthin sogar ein ,,Ossi" zum Blatt kam,
der aber leider nach eigenem Bekunden zu DDR-Zeiten nie Kontakt
zur Schwulen- oder gar Lesbenszene gehabt hatte.
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- Indes, auch Geld aus dem Osten stank nicht,
und so versuchte magnus im Juli 1992 einen im Westen kaum wahrgenommenen
Werbe-Coup im "Anschlußgebiet": Finanziert durch
die Kölner Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
und die Gesundheits- und Sozialministerien der Neuen Bundesländer
sowie unter zweifelhafter Mithilfe der Deutschen AIDS-Hilfe wurde
ein dürftiges, kaum an der Situation im Osten orientiertes
Sonderheft AIDS produziert.
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- Auflage 60.000, also dreimal so hoch wie
die damalige Regelauflage, und gratis. Doch der Werbeeffekt blieb
aus, und der Ost-Markt dem zwar noch teureren, aber in seiner
Mischung aus Kopf und Schwanz eindeutigeren Konkurrenten "Männer
aktuell" sowie der im März 1990 gegründeten, ehrenamtlichen
"Anderen Welt" aus Ost-Berlin überlassen (Versuche
von magnus, Die Andere Welt-Redaktion zur Aufgabe des eigenen
Blattes zu bewegen und es statt dessen zur vierseitigen ,,magnus-Ost-Beilage"
zu degradieren, waren schon Ende 1990 gescheitert). Ähnliche
Flops wurden magnus-Shop, magnus-Buch, magnus-line oder das Festival
Homolulu, wo "Coming out der Manager" zwar horrende
Eintrittspreise genommen, aber die Künstler mager oder gar
nicht honoriert wurden.
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- Folglich mehrten sich bereits 1994 Gerüchte
über finanzielle Probleme bei magnus. Als dann 1995 noch
die oft ganzseitigen Anzeigen der Telefonsex-Anbieter wegen Zensur-Eingriffen
der Deutschen Telekom ausblieben, war die Krise nicht mehr zu
verbergen. Hastig wurden der rentable hinnerk verkauft, magnus
selbst bzw. der Beihefter "szene magnus" im Umfang
reduziert. Doch alles half nichts.
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- Die kommerzielle Szene ließ sich nicht
herab, zu helfen "sie hatte inzwischen diverse andere Werbeträger
zur Auswahl", und die politische sah keinen Grund, jene
Solidarität zu zeigen, die ihr die ,,größte Zeitschrift
für Homosexuelle im nichtpornographischen Bereich"
allzuoft vorenthielt. Über eine Million DM Schulden schlugen
im April 1995 zu Buche.
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- Albert Eckert, Mitinitiator, häufiger
Kritiker des Magazins und Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses
sagte damals der Tageszeitung "Neues Deutschland",
,,undurchdachte Expansion" sei der Grund für magnus'
Niedergang gewesen. Doch das ist wohl nur die halbe Wahrheit.
Es gebrach am eigenen Profil.
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- MAGNUS verspielte seine letzte Chance, als
der Kölner Unternehmer Reiner Jackwerth die Trümmer
des ,,Konzerns" übernahm - und dieselben Fehler noch
einmal beging. Zum Relaunch im September 1995 schrieb der später
vom unbedarften Sascha Suden abgelöste Chefredakteur Döbberthin:
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- ,,Ja, wir brauchen ein schwules Magazin!
Ein schwules Magazin - das sich von anderen unterscheidet - ist
sogar unverzichtbar. Gerade wegen der ständig wachsenden
Bilderflut und Vielfalt gehen viele Informationen und Meinungen
unter." - Wider dieses bessere Wissen erlag MAGNUS selbst
der Verführung der Bilder; ,,Anstrengendes" wie etwa
Politik, Wissenschaft oder tiefgründige Literaturkritik
waren am Ende fast völlig aus dem Blatt verbannt. Noch gut
9.000 Käufer fand das auf jugendgemäße Optik
getrimmte Journal zuletzt, und auch die anvisierten Markenartikler
zogen sich als Anzeigenkunden weitgehend zurück.
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- Mag das Minus von 800.000 DM allein der letzten
zehn Ausgaben primär aus Profilmangel und leichtfertiger
Aufgabe der ursprünglichen Zielgruppe - politisierte Schwule
jeden Alters - resultieren, so flankierten das MAGNUS-Sterben
freilich auch äußere Faktoren. - Zu denen die Redaktion
allerdings selbst beitrug: Entpolitisierung und Kommerzialisierung
der Szene und der dadurch beflügelte Rechtsruck auch unter
den Schwulen haben zu deren spürbarer Entsolidarisierung
und dem Verlust gesellschaftlichen Bewußtseins geführt.
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- Was heute zählt und propagiert wird,
sind ,,Spaß", Konsum und ,,lifestyle". Beim Lifestyle
war MAGNUS' Konkurrenz konsequenter, und wer dennoch Nachrichten
sucht, findet diese Iängst in zahlreichen szenetypischen
Gratisgazetten mit hoher Auflage.
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- Was vom Flaggschiff deutscher Schwulen-Publizistik
bleibt, sind die rasch nach Köln verlagerten Bereiche Versandhandel
und Buchverlag - seit dem gerade erschienenen Herbstprogramm
unter dem Titel ,,Jackwerth"- sowie das im Umfang erweiterte
Berliner Terminblatt SIEGESSÄULE, von der aber auch noch
nicht feststeht, wie es weitergeht, da auch deren Redaktion entlassen
wurde.
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- Endgültig auf der Strecke geblieben
ist mit jener schönen Leiche namens MAGNUS die Möglichkeit
zum überregionalen schwulenpolitischen und gesellschaftskritischen
Diskurs. In welchen BIättern der in den kommenden Jahren
stattfinden soll, bleibt zumindest für Deutschland fraglich.
Eike Stedefeldt, SCHLIPS
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