- 39. Lust: Dez 96/Jan 97
- Der General ist tot
- oder
- Ein Lebenskonzept
- Ende September 1996 verstarb der nicht nur
in der Türkei als "General" verehrte 65jährige
Volkssänger Zeki Müren. Zehntausende nahmen bei seiner
Beerdigung in der konservativen Stadt Bursa Abschied von ihm,
Frauen und Männer weinten einträchtig in aller Öffentlichkeit,
sowohl religiöse Fundamentalisten als auch Faschisten, sowohl
Linke als auch Demokraten.
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- Staatspräsident Süleyman Demirel
nannte ihn einen Freund und ließ zusammen mit dem Generalstabschef
verkünden, daß Zeki Müren sein Vaterland geliebt
habe. "Die Sonne ist untergegagen", wurde von dem staatlichen
Rundfunk- und Fernsehsender TRT in das laufende Programm eingeblendet.
Sein Vermögen hinterläßt der "General"
an die Stiftung der türkischen Armee und die staatliche
Bildungsstiftung. Er starb im Izmirer Studio des oben genannten
staatlichen Fernsehsenders während der Dreharbeiten an seiner
mehrteiligen Biographie unter dem Titel "Die Sonne, die
nie untergeht".
Seine Karriere begann in den 50ern, als in der Türkei im
Zusammenhang der Demokratisierung das Mehrparteiensystem eingeführt
wurde. Daß er schwul war, daß er auch oft in Frauenkleidern
auftrat, wirkte sich in dem Staat, in dem "die dreckige
Schwulen" eigentlich gesellschaftlich chancenlos sind, für
ihn nicht negativ aus. Nie setzte er sich für Minderheiten
ein. Nie sagte er öffentlich, daß er schwul sei. Wenn
man ihn danach fragte, antwortete er, daß Küstler
oft viele Farben zu tragen pflegen. Stattdessen nahm er an 16
Filmen teil und spielte dort auch den hartgesottenen Liebhaber,
der seine Rivalen zusammenschlägt.
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- Sein Bild schmückt über hundert
Plattencover, auch viele goldene waren darunter. Als Wehrpflichtiger
wurde er, der im Minirock und mit Stöckelschuhen oder transparenten
Kleidern herumlief, nicht von Vorgesetzten mißhandelt,
stattdessen sang er bei Konzerten für Offiziere. Er ist
auch nicht, wie andere türkische Transvestiten, von der
Polizei bei Razzien verprügelt worden. Er war der Unantastbare
mit dem Ehrentitel "General". Er hat die türkischen
Bühnen revolutioniert.
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- Mit zarten Komplimenten und bestem Türkisch
stellte er eine einfühlsame und lyrische Mannfigtur dar.
So wurde er auch von den Frauen geliebt. Ören Erzeren schrieb
in seinem Nachruf in der Berliner taz: "Das von Männern
geschundene Geschlecht hat sein Idol gefunden: gebildet, berühmt,
reich, beneidet und von Gott mit einer wundersamen Stimme ausgestattet.
Ein Mann, der mit seiem Parfum, seinen transparenten Kleidern
und seinem Make-up die Reize des Feminimen glorifizierte."
Es handelt sich hier nicht nur um eine erfolgreiche Karriere
eines privaten Mannes, der schließlich machen kann, war
ihm beliebt und ihm nutzt. Dieser Mann des Show-Geschäfts
ist auch ein Politikum. Die türkische Schwulen- und Lesbenzeitschrift
Kaos GL fragt angesichts der Erbschaft: "Was schuldet eigentlich
ein Schwuler den Bildungs- und Militärinstitutionen, die
Homosexualität als Krankheit ansehen?"
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- Die Antwort, schlägt die Zeitung vor,
liege im Verhältnis von "Herr und Sklave". Die
taz folgert, daß Zeki Müren eben doch eher "als
dreckiger Schwuler" gegolten hätte, wenn er sich für
Minderheiten, auch für Schwule und Lesben eigesetzt hätte.
Mag sein. Ich folgere aber daraus, daß der General nicht
nur zum Amusement des Establishments wie ein Hofnarr in Kleidern
rumlaufen durfte. Dies vielleicht auch. Aber er muß mit
seiner Rolle auch für die Führung und das Militär
wichtig gewesen sein.
Hier könnte es sich um die Rolle einer Hülle ohne Inhalt
gehandelt haben, um eine Kunstfigur: perfekt, professionell,
bunt, schön und als Beleg nach außen nutzbar, daß
eine gewisse Liberalität vorhanden sei, während in
Wirklichkeit die Verfolgung von Minderheiten stattfindet. Er
konnte in gewisser Weise zu einer Art Hoffnungsträger werden,
gerade weil er nie irgendjemanden wirklich Hoffnung gemacht hat
oder etwas versprochen hat, als das vorübergehende Ausblenden
von Lebensrealitäten.
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- So gesehen spendete er auf die gleiche Weise
Trost, wie das hier solche Künstler tun, die öffentlich
erklären, daß es ihnen um das Zeigen des Schönen
gehe, und daß der Bürger das Recht habe, wenigstens
in der Unterhaltung nicht noch von Alltagsproblemen belästigt
zu werden. Das Edle, Gute, Schöne als Alternative zur Realität.
Das erklärt aber noch nicht alleine seine Faszination. Wenn
Männer, die alles Schwule am liebsten vernichten wollen,
bei seinen Liedern zu Tränen gerührt waren, dann diente
Zeki Müren auch als Ventil für unausgesprochene und
uneingestandene Sehnsüchte auf eine für die Unterdrückung
unschädliche Art.
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- Wenn die in Unmündigkeit gehaltenen
Frauen dieser patriarchalischen Männergesellschaft ein männliches
feminimes Wesen geradezu anbetend vergöttern, dann erwächst
daraus wohl kaum eine feministische emanzipatorische Selbstbehauptung,
die zur Selbstbestimmung der Frau führen kann. Aus dem gleichen
Grund wird der General in der politisch bewußten türkischen
Schwulenbewegung eher mit kühler Distanz gesehen. Ihm ging
es nicht um das Verbessern der Verhältnisse. Letztlich unterstützte
er mit seiner Extravaganz nur die bestehenden türkischen
Verhältnisse, unter denen viele Menschen, die Frauen, die
Minderheiten usw. zu leiden haben.
Läßt sich daraus eine Lehre für uns ziehen? Wer
im Rahmen bestehender Verhältnisse eine persönliche
Karriere anstrebt, kann dies nur schaffen, wenn er einerseits
gut ist und somit real etwas anzubieten hat, und wenn er andererseits
mit dazu beiträgt, diese Verhältnisse zu stabilisieren.
Übt er diese Funktion nicht aus, gibt es kein Interesse
mehr an seiner Karriere.
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- Ich schreibe dies deshalb, weil ich gelegentlich
zu hören bekomme, man könne Karriere machen und die
errungene Position dazu nutzen, der Emanzipation weiterzuhelfen.
Das Wesen der Emanzipation ist es, daß sich dadurch etwas
ändert. Und das wollen sich die von den gegenwärtigen
Zuständen Profitierenden natürlich nicht gefallen lassen.
Dies führt natürlich dann zum Karriereknick.
- (Joachim Schönert, 39.LUST)
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