- 71. Ausgabe, Sommer-LUST, Juni/Juli/August 02
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- Der schlimmste Lump im ganzen Land das
ist der Denunziant
Dieser Spruch aus der bürgerlichen
Revolution brachte zum Ausdruck, dass solche Zeitgenossen, die
die revolutionären Demokraten an die (monarchistische) Obrigkeit
verrieten, besonders verhasst waren. Als
ich aus Versicherungsgründen in Spanien eine Anzeige gegen
Unbekannt machen musste, weil das Autofenster zerschlagen und
das Autoradio geklaut worden war, da war das einen Denuncia,
also eine Anzeige.
Der Denunziant verrät also den Gesetzesbrecher an die Obrigkeit.
Das wäre vielleicht ja jedes Bürgers Pflicht, doch
ist das Wort Denunziant im Sprachgebrauch bei uns
ein negativ klingendes Wort. Der Denunziant hat nämlich
niedrige Beweggründe und der Denunzierte ist
zwar ein Gesetzesbrecher, aber zugunsten höherer Ziele gegen
ungerechte oder unerträgliche Zustände.
Dass Denunziation in unserem Sprachgebrauch einen negativen Klang
hat, hat sicherlich damit zu tun, dass es in unserer Geschichte
eben viele korrupte, diktatorische und terroristische Regimes
gab, dass jedoch zumindest viel Solidarität zwischen den
Menschen existierte oder eingefordert wurde, besonders gegen
die Obrigkeit. Der Denunziant ist in der Regel einer von
uns, der einen von uns an die Obrigkeit verrät. Sich
gegen die Obrigkeit zu wehren, wird im Nachhinein als gerechtfertigt
angesehen, sofern die damals ungesetzlichen Handlungen zum Erfolg
führten, beispielsweise wenn die damals ungesetzlichen Taten
dazu führten, eine verhasste terroristische Obrigkeit zu
stürzen.
Nun ist es ja nicht sicher, welche Straftaten im Nachhinein als
gerechtfertigt anzusehen sind. In der jungen Bundesrepublik waren
zum Beispiel sexuelle Handlungen zwischen Männern
verboten. Wer also zwei Männer denunzierte, miteinander
Sex gehabt zu haben, wurde in weiten Kreisen der Bevölkerung
nicht als Denunziant angesehen, wäre wohl auch heute bei
vielen Menschen noch kein Denunziant, wenn es die Verbotsgesetze
noch geben würde, weil sie Schwule eben nicht leiden können
und eine Bestrafung auch heute noch fordern.
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- Es ist also vom Zeitgeist abhängig,
auch von der eigenen Interessenslage, welches Anzeigen als Denunziation
empfunden wird und welches als gerechtfertigt. Wenn aber zum
beispiel ein eifersüchtiger Liebhabe die beiden anderen
wegen homosexueller Handlungen anzeigte, dann war er in der Szene
ein Denunziant. Ebenso ist es, wenn man zugunsten persönlicher
Vorteile sein privates Wissen an die Obrigkeit verrät.
Als in Mainz Kindergärtner, Eltern und Großeltern
von einer Kindergärtnerin angezeigt wurden, die ihnen anvertrauten
Kinder sexuell zu missbrauchen, waren diese beschuldigten Menschen
in der Öffentlichkeit schon verurteilt.
In einer linken Diskussionsrunde wurden z.B. die Anwälte
dafür als Schweine beschimpft, dass sie die angeblichen
Täterinnen und Täter verteidigten. In einem solchen
Klima wird die Anzeigende nicht als Denunziantin empfunden.
Es stellte sich dann im Nachhinein die Haltlosigkeit der Beschuldigungen
heraus. Den Makel und die Vorverurteilung werden die betreffenden
Menschen dennoch nicht mehr los werden. Ihr Ruf ist
derart beschädigt, dass immer wieder von interessierten
Konkurrenten Gerüchte lanciert werden können, wenn
jemand von ihnen sich zum Beispiel um ein öffentliches Amt
bewirbt oder so. Und obwohl hier ein großes Unrecht geschehen
ist, wird das Verhalten der Denunziantin und der Leute, die diese
Gerüchte durch Klatsch noch verstärkt haben, nicht
als niedrig angesehen. In diesem Fall war es allerdings
keine Denunziation, sondern eine Verleumdung. Verleumdung ist
es, wenn die vorgeworfenen Beschuldigungen nicht der Realität
entsprechen.
Im Bereich aufgedeckter Homosexualität handelt es sich heutzutage
um eine Mischform aus beiden Kategorien, denn die Taten der beschuldigten
Homosexuellen sind nicht mehr strafwürdig und werden deshalb
meist noch irgendwie dramatisiert, um sie über die Tatsache
hinaus noch als ekelhaft, abartig und/oder verbrecherisch erscheinen
zu lassen.
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- Es geht hier also um das Verraten von Handlungen,
die zwar nicht ungesetzlich sind, die aber dennoch in weiten
Kreisen der Bevölkerung als unangemessen angesehen werden.
Dieser Schwule da hat einen viel zu jungen freund, zum Beispiel,
oder dieser Schwule da manipuliert besunders junge Schwule so,
dass sie ihm verfallen, oder ähnliches.
Das (männliche homosexuelle) Verhalten wird zwar in allgemeinen
heutzutage nicht mehr strafrechtlich verfolgt, aber es kann dennoch,
wenn generell das Gerücht der Homosexualität über
eine Frau oder einen Mann in ganz bestimmten Situationen verbreitet
wird, großer Schaden entstehen. Wird dann dabei noch hier
übertrieben und dort dramatisiert, dann kann ein Mensch
damit politisch, wirtschaftlich, auch zwischenmenschlich
vernichtet werden. Er kann auch damit um seine bürgerliche
Existenz gebracht werden. Wenn sich jemand in solch einer Situation
das Leben nimmt, wird dies noch als Beweis für seine Schuld
angesehen.
Die linken Kritiker der Anwälte von damals können sich
nach dem Bekanntwerden der Haltlosigkeit nun entweder damit helfen,
dass sie einfach weiter behaupten, die Opfer der Verleumdungskampagne
seien dennoch schuldig und die Freisprüche seien Verbrechen.
Damit können sie dann ihr eigenes Gewissen beruhigen, denn
sie sind in Wirklichkeit mit schuldig geworden, Menschen zu verleumden,
weil sie Gerüchte weitergegeben haben, die sie selbst für
wahr oder möglich hielten.
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- Dass sie dies für möglich hielten,
hat aber in Wirklichkeit nur etwas mit ihnen selbst zu tun. Was
ein Mensch nämlich für möglich oder wahr hält,
ist von seinen eigenen Vorstellungen, Urteilen und Vorurteilen
usw. abhängig. Beim Urteilen und Verurteilen
können Menschen ganz schön selbstgerecht sein, und
die allabendlichen Soups im Fernsehen sowie viele Nachmittags-Talk-Shows
leben zum Beispiel genau von diesem Bedürfnis.
Weil das so ist, sollten wir uns alle hüten, Gerüchte
über Personen aufzugreifen und weiterzugeben. Auch wenn
uns die Tat ungeheuerlich erscheint, wissen wir nicht, ob sie
begangen wurde und in wessen Interesse hier etwas verbreitet
wird. Auch wenn wir es aus eigenem Beobachten für möglich
halten, dass eine bestimmte Person dies oder jenes begangen haben
könnte, wissen wir nicht alles und machen uns eventuell
am Vernichten eines Menschen mit schuldig.
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- Der Denunziant handelt aus niedrigen Beweggründen.
Was sind denn eigentlich niedrige Beweggründe? Ein niedriger
Beweggrund ist es, wenn man sich durch das Anzeigen persönlich
einen Vorteil verschafft.
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- Wenn also in der Nazizeit der Jude, der Schwule,
der Kommunist eine schöne Wohnung bewohnte, in die man selber
einziehen wollte, dann konnte das Denunzieren nur niedrige Beweggründe
haben. Hat man angezeigt, weil man dies selbstlos für
das deutsche Volk tat, dann waren zur Zeit der Anzeige
die Beweggründe aus Sicht der Obrigkeit akzeptabel oder
gar edel, aus Sicht der Opfer natürlich nicht.
Brecht schreibt in den Flüchtlingsgesprächen, dass
es im Nazistaat plötzlich um Ordnung und Moral
gegangen sei, und gerade das sei das Grausame, das Unmenschliche
gewesen. Ein bisschen Unordnung, und der Mensch kam mit dem Leben
davon, ein bisschen Unmoral, und man konnte überleben, vielleicht
sogar etwas besser leben.
- Nazizeit
Im deutschen Faschismus sollte die Denunziation zur Bürgerpflicht
werden. Die Machthaber haben die Bürger dazu aufgerufen,
Missliebige wie Romas, Juden, Schwule usw. und Gegner der Faschisten
zu Denunzieren. Als Belohnung winkten Posten und andre Vorteile,
zumindest erhielt man jedoch wohlwollende Anerkennung.
Die Gestapo vereinbarte nach und nach eine institutionelle Zusammenarbeit
mit einer Reihe von Behörden der öffentlichen Verwaltung.
Damit wurden die Beamten zur willigen Denunzianten. Dadurch gelangten
die Faschisten an die gesammelten Daten der Behörden. Es
wurden spezielle Beamte abgestellt, die sich nur mit dem Denunzieren
beschäftigten.
Nach der Machtübernahme gab die NSDAP als Partei im deutschen
Reich die politische Richtung an. War sie vorher eine Organisation
zur Erringung der Macht, so wurde sie dann nach verschiedenen
Säuberungen dazu degradiert, eine Organisation zur Überwachung
der Bevölkerung zu sein. Sie wurde in eine Organisation
der Kleinarbeit zu den Ortsgruppen, Zellen und Blocks umorganisiert.
Der Blockwart war ausdrücklich dazu verpflichtet, alle Wahrnehmungen
zu melden, die im Parteiinteresse notwendig waren.
Er hatte jeden ermittelten Gegner dem Zellenwart schriftlich
mitzuteilen. Der Blockwart war auch für die Befragung der
Nachbarschaft zuständig.
Diese Möglichkeiten waren den Nazis noch zu wenig. Um in
die Familien einzudringen, wurde 1936 die Neugliederung derjenigen
Organisationsbereich der NSDAP angeordnet, die über den
direkten Kontakt mit der Bevölkerung verfügten. Die
wichtigste Veränderung war dabei die Einführung des
Haushalts als kleinste organisatorische Einheit der Betreuung.
Die Faschisten versuchten, in die Familien einzudringen. Wenn
ihnen dies gelang, denunzierten sich Familienmitglieder gegenseitig.
Meistens zeigten die Kinder ihre Eltern an.
In Großstädten wurden darüber hinaus sogenannte
Hauswarte eingesetzt. Es ist leicht vorstellbar, wie viel Raum
dadurch auch den Intriganten gegeben wurde, ihre Mitbürger
zu schikanieren. Den Bürgern wurde es möglich, z.B.
die schwulen oder jüdischen Mitbürger zu erpressen
und dann später doch anzuzeigen, wobei der Denunziant dann
z.B. finanzielle oder andre Vorteile hatte. 1937 ordnete die
Partei eine Anlage von Ortsgruppen- bzw. Stützpunktkarteien
an, wobei dieses dann mit Noten bewertet wurde.
In das Deutsche Beamtengesetz vom Januar 1937 wurde später
sogar ein entsprechende Passus eingefügt, der die Anzeige
auch außerdienstlicher Vorgänge, die den Bestand
des Reiches oder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei
gefährden könnten, zur Pflicht machte. Die Möglichkeiten
der Bespitzelung wurden in der NS-Zeit immer weiter bis zum Ende
des 1000-jähriges Reiches ausgebaut.
Anzeigen aus der Bevölkerung bildeten in der Tat die häufigste
Ursache zum Tätigwerden z. B. der Düsseldorfer Gestapo
in den Jahren 1933 bis 1934. Danach wurde ermittelt, dass sie
in 26 % der Fälle nach Anzeigen aus der Bevölkerung
tätig wurde, in 17 % nach Informationen anderer Kontrollorganisationen,
in 15 % nach eigenen Beobachtungen und V-Leuten (wiederum Denunzianten),
in 7 % durch kommunale und staatliche Behörden, in 13 %
bei Vernehmungen, in 3 % durch Firmen, in 6 % durch NS- Organisationen,
über 13 % gibt es keine Angaben. Die Häufigkeit des
Tätigwerdens aufgrund von Hinweisen durch Denunzianten wurde
auf über 1/3 geschätzt.
Die Denunziationen werden begangen, so lange man Vorteile davon
hat, auf der Seite der Sieger steht, sie straflos begehen kann.
In Faschismus wurde das höchste Ausmaß der Denunziationen
1941 erreicht, um dann rapide zu sinken.
Es gibt aber auch Statistiken über die Denunziation schwuler
Männer, und dort war zu erkennen, dass die Anzahl der Denunziationen
gegen Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft nicht zurückgegangen
ist. Das ist leicht zu erklären. Die Denunzianten gingen
davon aus, dass männliche Homosexualität tatsächlich
ein Verbrechen sei, und dass sie dennoch ihre Ernte einmfahren
könnten, selbst wenn der Nazi-Staat scheitern sollte.
Man sollte annehmen, dass Denunziationen aus Nazikreisen aus
politischen Motiven geschehen sind, aber dem ist nicht so. Nur
24 % wurden aus politischen Motiven begangen, der große
Rest aus privatem Interesse (Neid, Eifersucht etc.), geschäftlicher
Konkurrenz, Nachbarschaftsstreit.
Denunziert wurden nicht nur Vergehen, sondern es wurden auch
Fälle konstruiert, durch Lügen und Unterschieben von
Beweismitteln wurden Menschen diskreditiert. Diese falsche Denunziationen,
die Verleumdungen, führten am Ende dazu, dass der von den
Nazis verfolgte Aufbau vom Volksmeldedienst nicht
funktionierte, weil im Grunde nur der eigen Vorteil der Denunzianten
ausschlaggebend war. Die Nazis erkannten dieses als Problem.
Es ist so mancher Denunziant dann auch selber verurteilt worden.
Trotzdem wurden sehr viele Menschen verfolgt, eingesperrt etc.
Die Denunzianten wurden niemals für ihre Verbrechen zur
Verantwortung gezogen. Nach dem Krieg gingen die Geschäfte
einfach weiter.
Besonders schlimm wirkten sich die Denunziationen
und Verleumdungen an Bürgern aus, die aufgrund spezieller
Gesetze, z.B. der Rassengesetze oder des § 175 RStGB verfolgt
wurden. Deren Rechte waren so weit eingeschränkt, dass sie
sich gegen jedwedes Lügen oder Unrecht nicht wehren konnten.
Viele der Nationalsozialisten waren zwar Karrieristen aber keine
Antisemiten, deswegen wurden sie von der Partei mit Richtlinien
versehen. Die Massenhaftigkeit des Antisemitismus ist nicht der
Schlüssel für die Eskalation der Judenverfolgung. Mitläufer
und Opportunisten scherte die Existenz der Judenverfolgung wenig.
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- Für die damaligen Eliten war es viel
wichtiger, dass sie Vorteile in der Karriere und finanzielle
Vorteile vom Aufbau des 1000-Jährigen Reiches hatte. Deswegen
wurde von der Seite der Partei durch Streichers Hetzpresse der
Antisemitismus gefördert. Für die Unzufriedenen, für
die zu kurz Gekommenen gab es keine politischen Motive, die Juden
zu denunzieren, viel mehr wollten sie sich Vorteile verschaffen.
Ab September 1941 wurden die Juden durch gelbe Sterne gekennzeichnet.
Ab 1941 war es also im 1000-Jährigen Reich durchaus bekannt,
dass den Juden Unrecht geschieht. Trotzdem wurden da die größten
Denunziationen begangen, weil man sich Vorteile davon versprach,
wenn man mit den Wölfen heulte.
In Europa gibt es durchaus Beispiele, wo sich die Bevölkerung
total anders verhielt. Im besetzten Dänemark sollten so
wie in Deutschland die Juden einen gelben Stern tragen. Pünktlich
zum Termin der Einführung des Besatzungsgesetzes erschien
der dänische König mit einem gelben Stern auf der Straße
und nach und nach große Teile der Bevölkerung von
Kopenhagen. Die deutschen Besatzer konnten das Gesetz nie durchführen.
Nachdem der dänische Widerstand die Pläne der Nazis
erfahren hatte, die dänischen Bürger jüdischer
Religion zur deportieren, geschah eine der solidarischste Taten
des zweiten Weltkrieges. Weil es in dieser Zeit durchaus bekannt
war, was mit den Juden im Osten geschieht, beschloss der Widerstand,
sie zu Retten. Mit Hilfe fast der gesamten dänische Bevölkerung
ist ihm das gelungen. Die Dänen konnten über 7.000
Juden, das war fast die ganze jüdische Bevölkerung
Dänemarks, retten. 477 Dänen jüdischer Religion
konnten die Nazis dennoch verhaften.
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- Homosexuelle Menschen
Die größte Gruppe homosexueller Menschen, die im 1000-jährigen
Reich ermordet wurde, waren wohl die Lesben und Schwulen unter
der jüdischen Bevölkerung. Lesben wurden nicht, weil
sie Lesben waren, verfolgt. Wohl aber wurden Männer und
Frauen, die sich asozial verhielten, mit einem schwarzen
Winkel gekennzeichnet, zu Opfern des Faschismus, unter ihnen
wohl auch Lesben, die keine Neigung zeigten, die für Frauen
vorgesehene Rolle nicht spielten.
Für männliche Homosexualität gab es seit Gründung
des Deutschen Reichs den Sonderparagraphen 175 RStGB, der in
der Nazizeit deutlich verschärft wurde, was zu mehr als
50.000 Verurteilungen und mehr als 10.000 Opfern unter den Männern
mit dem rosa Winkel führte. Die Bestrafung der Homosexuellen
durch den Staat und besonders durch den Nazistaat führte
schon im Vorfeld zu zahlreichen Erpressungen, zu Denunziationen
und zum Verlust der bürgerlichen Existenz, schließlich
auch zu Selbstmorden. Die Denunzianten, die es übrigens
in allen politischen Lagern gab und gibt, konnten ihre Verbrechen
oft noch guten Gewissens begehen, weil sie aufgrund der antihomosexuellen
Demagogie etwas Gutes taten für Staat und Gesellschaft,
wie sie glaubten.
Denunziation aufgrund der Homosexualität gab es nicht nur
in der Nazizeit auf verschiedenen Ebenen. Es gab auch die politisch
motivierte Denunziation. Zum Beispiel denunzierte die SPD-Presse
den Kanonen-Boot-Fabrikanten Krupp der Homosexualität, um
die Kanonnenbootpolitik zu treffen (und weil uneingestandene
Homosexualitätsfeindlichkeit vorhanden war), was zum Selbstmord
Krupps führte aber die Politik nicht verhinderte. Man schrieb
heuchlerisch, dass der § 175 RStGB abgeschafft werden müsse,
und gab dabei Krupps Homosexualität als Beispiel an. Wenig
später gab es im Vorwärts Anspielungen auf Röhms
Homosexualität, die diesem in dieser Zeit nicht schadeten.
Doch als er Hitler im Weg war, wurde Röhms Homosexualität
als Grund angegeben, warum ihn seine Weggefährten ermordeten.
Als der Nazi-Staat zusammenbrach, blieb in der Adenauer-Republik
der § 175 StGB in der naziverschärften Form bestehen,
was den DenunziantInnen weitere Möglichkeiten gab, zu erpressen,
zu diskriminieren und sich am von Schwulen Erarbeiteten zu bereichern.
Besonders die Geschichte der CDU/CSU mit ihrer verlogenen Moral,
was für Schwule verheerend war, ist Teil der Geschichte
der Gay-Szene und darf nicht vergessen werden.
Denunziation zwischen Kollegen gab und gibt es auch noch heute
unter Ungelernten und Studierten. Sonderbar! Und immer
ist es die Religion, und immer ist es die Moral, und immer der
Patriotismus, womit alle schlechten Subjekte ihre Angriffe beschönigen!
Sie greifen uns an, nicht aus schäbigem Privatinteressen,
nicht aus Schriftstellerneid, nicht aus angeborenem Knechtsinn,
sondern um den lieben Gott, um die guten Sitten und das Vaterland
zu retten., schrieb Heinrich Heine 1837 über den Denunzianten.
Andererseits hatte er etwas gegen den Dichten von Platen, dessen
Homosexualität, genauer gesagt, dessen Jünglingsliebe
er in verschiedenen Anspielungen genüsslich outete
wie man neudeutsch sagt.
Ehefrauen in Scheidungsprozessen beschuldigten ihre Ehemänner
der Homosexualität, aber nicht in allen Fällen führte
das dazu, dass man ihnen glaubte. Und letztlich, Homosexuelle
zeigten sich gegenseitig an, zum Beispiel aus Eifersucht oder
aus anderen ähnlichen Gründen.
Angeblich ist die große Verhaftungswelle in Wiesbaden in
der Nazizeit dadurch ausgelöst worden, dass ein verschmähter
Liebhaber seinen Angebeteten aus Rache anzeigte. Kurze Zeit später
fuhren offene Kübelwagen durch die Kirchgasse also, wo allabendlich
zwischen 18 und 19 Uhr die schwulen Männer, getarnt durch
einkaufende Passanten, flanierten. In den Kübelwagen waren
neben den Häschern auch sowohl Stricher als auch Schwule
aus dem rechten Spektrum und zeigten auf Passanten: Das
ist einer, das ist auch einer ....
Über die staatliche Verfolgung hinaus gibt es die Ächtung
gesellschaftlich als minderwertig angesehener Minderheiten, die
in der Geschichte durchaus auch zu den brutalsten Formen der
Verfolgung führten wie auch zu sehr intriganten Formen der
Repressionen durch andere gesellschaftlich Erniedrigte, die jemanden
unter sich brauchen. Dies traf und trifft Lesben, Schwule und
andere gesellschaftliche Minderheiten und machte ihr Leben zu
einem ständigen graziösen Eiertanz.
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- Hier gibt es auch Tratsch, Gewalt und auch
Denunziation gegen uns, von Hassern und Hasserinnen, auch von
unverantwortlichen Menschen der eigenen Szene, die bereit sind,
zum Beispiel zugunsten ihrer eigenen Vorteile Verleumdungen über
Leute zu verbreiten, deren Arbeitsergebnisse sie einkassieren
wollen. Solche Leute verdienen die Verachtung durch die ganze
Szene. Und Leute, die aus irgendwelchen Gründen da mitmachen,
machen sich mit schuldig an den Verleumdungsopfern.
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- Allgemeines
Denunzianten sind oft Menschen, die in ihrem Umfeld eher eine
Nebenrolle spielen und ihre Szenengenossen auf diese Weise zwingen
wollen, sie ernstzunehmen. Die jüdische Loreley
zum Beispiel, die in Berlin Jüdinnen und Juden verriet,
war ein blonde Frau, die sich wegen ihrer blonden Haarfarbe in
der jüdischen Gemeinschaft viel Spott gefallen lassen musste.
Sie wurde, obwohl sie selbst jüdischer Religion war, zur
Denunziantin ihren MitjüdInnen. In allen Szenen rächen
sich die am Rande der Szene Stehenden für ihre Ausgrenzungen.
In Schlesien leben, so erfährt man aus der Bevölkerung,
Polen, Deutsche und Schlesier, die sich als etwas Eigenständiges
sehen. Ein Schlesier, so erfuhren wir, hatte sich bei der Volksabstimmung
1922 nach dem ersten Weltkrieg dafür entschieden, für
Polen zu stimmen, im Gegensatz zu einer nachbarlichen Familie,
die sich als deutsche Familie verstand. Als dieses Gebiet dann
in der Nazizeit deutsch wurde, versprach sich dieser Schlesier
wohl etwas davon, dass er Volksdeutscher würde, und um dies
zu fördern und das damalige Abstimmungsverhalten zu tigen,
vielleicht auch aus Angst, denunzierte er nun die deutschen Nachbarn,
Kommunisten zu sein. Es waren Antifaschisten, und der Vater des
deutschen Schlesiers kam für 4 Jahre in ein Konzentrationslager.
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- Dann wurde dieses Gebiet polnisch und somit
auch sozialistisch. Nun beeilte sich der Nachbar, der deutschen
Familie antpolnischer Umtriebe zu beschuldigen. Diese Menschen
leben nun seit 1967 in der Bundesrepublik und wehrten sich hier
sofort gegen eine Unterschriftenliste in der Nachbarschaft, die
sich gegen eine italienische Familie richtete. Das hatte zur
Folge, dass die Unterschriftensammler dann mit total verlogenen
Behauptungen nun auch gegen die tapfere Familie Unterschriften
sammelte. In einem Prozess konnte sich die Familie dagegen wehren.
Und nun müssen sie sich von deutschen Rechten ständig
sagen lassen, sei seien Polen und gehörten nicht nach Deutschland.
Diese beiden Beispiele sollten klar machen, dass es sich bei
den Denunzianten um skruppellose und miese, oftmals über
Leichen gehende Menschen handelt, die aus Hass, Rachegefühlen
oder zugunsten eigener Vorteile vorgehen und denen es eigentlich
nicht um sogenannte höheren Ziele geht, wie sie vorgeben.
Und noch einmal: man darf durch Tratsch und Klatsch nicht selbst
daran teilnehmen, Menschen in irgendeiner Form zu verurteilen
und so zum nützlichen Idioten von Denunzianten zu werden.
(js unter Mithilfe von Erich Dajka)
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- Literatur:
Friedrich Koch: Sexuelle Denunziation, Athenäum Verlag GmbH,
Frankfurt/Main 1986
Reinhard Mann, Protest und Kontrolle im Dritten Reich,
Campus Verlag Frankfurt/Main 1987
Franz Josef Heyen, Nationalsozialismus im Alltag,
H. Boldt Verlag Boppard, 1976
Reihe Studien Texte, Herrschaftsalltag im Dritten Reich,
Patmos Verlag Düsseldorf 1988
Dokumenten-Edition Europa unterm Hakenkreuz, Dänemark,
Norwegen, Hütinger Verlagsgemeinschaft, Berlin 1992
Andrea Pretzel und Gabriele Roßbach, Homosexuellenverfolgung
in Berlin 1933 - 1945, rosa Winkel Verlag, Berlin 2000
Joachim Müller und Andreas Sternweiler, Homosexuelle
Männer im KZ Sachsenhausen, rosa Winkel Verlag, Berlin
2000
Günter Grau (Hrsg.), Homosexualität in der NS-Zeit
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 1993
Burkhard Jellonnek, Homosexuelle unter dem Hakenkreuz,
Schöningh Verlag Paderborn 1990
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