Briefe und Mails in der 68. LUST
 
Zum Thema “Gewalt gegen Lesben und Schwule in der 67. Ausgabe erreichte uns folgender Brief:
Liebe Lüstlinge,
in der 67. LUST habt Ihr einen Bericht über einen Polizeieinsatz zum CSD in Frankfurt veröffentlicht, der von einem schwulen Polizisten geschrieben wurde. Er trägt mit seinem Beruf offensichtlich dazu bei, dass es keine schwulenfeindliche Übergriffe auf das Fest gibt. Können wir deshalb auf die Staatsgewalt vertrauen und uns in ihre Obhut sicherer fühlen?
Ich weiß, dass die Polizei als Staatsorgan das Gewaltmonopol hat und deshalb ist es lobenswert, wenn schwule und nichtschwule Polizisten uns vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen versuchen. Aber dennoch gibt es Menschen und auch Institutionen, die sich Gewalt gegen uns anmaßen. Gewalt erleben wir in vielen Lebenssituationen, wo die Polizei nicht hilfreich sein kann.
Das beginnt mit den uns eingebläuten Redensarten, Regeln und Normen in der Gesellschaft, die von der großen Liebe zwischen Mann und Frau berichten und mit einer gewissen Ironie andere Lebensformen lächerlich machen. Im Coming-out lernen wir, dass wir von unseren Mitmenschen gute oder schlechte Reaktionen erhalten, und wir haben gelernt, uns zurückzunehmen und zu beschränken. Wir weichen der Gewalt. Wir sind nicht wir selbst, wenn wir einen Weg gefunden haben. In der Schule und im Arbeitsleben sind wir vorsichtig, denn wir können den Mitschülern und Kollegen ja nicht ausweichen. Wir fürchten uns, nicht anerkannt zu werden und wir tun viel, vielleicht mehr als andere Menschen, um anerkannt zu werden.
Wir freuen uns, wenn Arbeitgeber, Vermieter, Nachbarn, also Vorgesetzte und Gleichgesetzte, anständig und respektvoll mit uns umgehen. Gegen verletzende Respektlosigkeiten schützt uns keine Polizei. Wir schützen uns selbst, indem wir uns zurücknehmen, bevor jemand Lust bekommt, uns zu quälen. Denn dagegen sind wir nämlich ohne Gewalt.
Wenn uns Polizisten auf Toiletten kontrollieren, uns Hausverbot erteilen, Ordnungsstrafen verhängen, dann über sie staatliche Gewalt gegen uns aus, weil sie in der Lage sind, uns unsere sexuellen Erlebnisse zu verwehren. Und wenn der Staat es wieder für sinnvoll halten würde, beispielsweise wenn rechte Parteien hier im Verein mit der Union und der FDP zunehmen würde, Sexualität zwischen Männern für strafbar zu halten, dann müssten diese gleichen Polizisten nicht gegen antischwule Gewalttäter, sondern gegen uns vorgehen. Das hätte in dem Artikel auch stehen müssen, der von einem Polizisten geschrieben wurde. Denn auch als Polizisten Schwule verhafteten, gab es Schwule unter ihnen, die sich nicht zu erkennen gaben.
Ich plädiere für eine vorsichtige Distanz gegenüber der Staatsgewalt, die vom Volke ausgeht, und genauso wieder gegen uns gerichtet werden kann, wie es schon war. Gerade die Vorschläge zur Anpassung, wie Ihr ja selbst immer schreibt, machen uns krank und beschneiden unser Leben. Könnte der schwule Polizist von seinen Klappenabenteuern berichten, wenn seine Kollegen über ein rauschendes Wochenende berichten? Vielleicht aber würde er ich diese Abenteuer verkneifen, weil sein Karriere vorbei wäre, wenn Kollegen ihn hier erwischen würden. Ihr berichtet mit dieser Veröffentlichung über eine heile Welt, die noch lange nicht existiert.
Matthias aus Nürnberg

Lieber Matthias,
Vielen Dank für Dein sehr interessantes und auch nachfühlbares Schreiben an uns. Du schreibst auch sehr interessant und eindrucksvoll, zumindest aus meiner Sicht. Aber der Bergriff Gewalt ist zu trennen von anderen Begriffen der gewaltvollen Einflussnahme auf uns wie Zwang, Unterdrückung usw. Dazu gehört “Macht” über uns.
Und irgendeiner Macht in vielfältiger Form muss sich wohl jeder Mensch im begrenzten Maße unterwerfen. Auch die Heten können ja nicht immer, wie sie wollen. Schon der olle Freud sprach vom Es, unseren Trieben, und dem Über-Ich, den gesellschaftlichen Zwängen, und aus der Reibung zwischen diesen beiden Kräften entsteht dann unser Bewusstsein darüber, wer wir sind, unser Ich.
Die gesellschaftlichen Strukturen um uns herum sind sehr mächtig, und Menschen können Macht über uns ausüben, wenn es ihnen gelingt, gesellschaftliche Macht gegen uns zu funktionalisieren. Und von dieser Machtanwendung gegen uns haben wir leider sehr viel einstecken müssen. Das ist nachvollziehbar schlimm und Du hast völlig recht damit, das wir uns oftmal genötigt fühlen, bis zu unserer Unkenntlichkeit anzupassen, ich würde auch sagen, bis zu unserer Selbstaufgabe.
Das aber müssen wir inhaltlich trennen von körperlichen Übergriffen auf uns als Person oder Gruppe, was man mit “Gewalt” bezeichnet. Diese Dinge sind nämlich besser zu benennen und gewaltsame Übergriffe können auch solche Leute auf unsre Seite bringen, die ansonsten von uns viel Anpassung erwarten, ohne zu bemerken, das sie uns damit die Luft zu Atmen nehmen.
Ich will damit sagen, dass hier derzeit die Gesetze und Staatsorgane in dieser Frage auf unserer Seite sind, und das ist doch ein kleiner Fortschritt. Nicht mehr und nicht weniger.
Joachim von der LUST

Zum Beitrag “Ehemoral auf dem Vormarsch” äußert sich Beate aus Erfurt

Hallo Ihr Lieben,
die Äußerungen in Eurem Beitrage, “dieses Überbleibsel aus den 68ern wäre nicht mehr aktuell, ein Tabubruch und politisch nicht machbar” halte ich gar nicht für falsch. Die 68er hatten ein Reihe von utopischen Vorstellungen, die tatsächlich politisch nicht umsetzbar waren und sind. Auch dass nur eine kleine Minderheit andere Lebensweisen als die Ehe haben möchte, halte ich für nicht falsch, und dass andere Lebensformen nicht nur der deutschen Kultur nicht entsprechen, das ist wohl auch richtig. Also nehmt doch einem Mann vom Völklinger Kreis seine Sprüche nicht so übel, sie haben doch etwas für ihn.
Andererseits halten sich nicht so sehr viele an die offizielle “deutsche Kultur” und andere Lebensformen machen einfach mehr Spaß. Leider leben die Leute in Polynesien heute wohl auch nicht freier als hier, könnte ich mir denken. Und dass die Sehnsucht nach mehr und anderen Lebensformen nur eine Spinnerei der 68er sei, bedeutet ja nicht, dass das so bleiben muss. Ich lebe zum Teil schon heute so. in unserer WG ist es auch so, wie es die Frankfurter Rundschau am 29.06.76 geschrieben hat. (Ich habe mich über diesen Beitrag wirklich sehr gefreut. Danke.) Lasst doch den Moralaposteln und den Angepassten ihre Prüderie oder Doppelmoral. Sollen sie doch. Und während sie dann in fleischloser Verklärung an die deutsche Kultur denken, liegen wir mit vielen unmoralischen, undeutschen und unkeuschen Leuten im Bett und lassens uns gut gehen. Und dass die Moralapostel uns unsere Lebensart wegnehmen könnten, daran glaube ich nicht.
Eure
Beate aus Erfurt

Zu einem ähnlichen Thema aber aufgrund eines anderen Artikels in der 67 LUST schrieb Michael S. aus Frankfurt

Hallo Ihr,
unter der Überschrift “Schäumendes Wutgekeife” veröffentlicht Ihr einen Brief von Rolf Gindorf. Die Art, wie Ihr einen engagierten Wissenschaftler angreift, der sich dagegen wehrt, die 68er Ideologie immer und immer wieder vorgebetet zu bekommen, ist nicht zu billigen. Dannecker ist eben ein unbewegliches Fossil der 68er und Gindorf tut gut daran, dies mit seinen Mails an die Gay-Presse mit zu entlarven. Die 68er Bewegung ist deshalb so sang- und klanglos zugrunde gegangen, weil diese Spinnereien nur unerfüllbare Sehnsüchte wecken und Enttäuschungen darüber zurückbleieben, dass die Welt anders ist.
Ihr schmeichelt Euch nun damit, dass ihr mit eurer eigenen unbeweglichen Haltung nicht erfolgreich seid. Das ist doch schon beinahe an Lächerlichkeit nicht zu überbieten.
Michael, Frankfurt

Hallo Du, Michael,
natürlich kann man beweglich sein, sich immer neuen Ideologien anpassen und so auf den Modewellen reiten, mit den die Menschen in der Gesellschaft immer wieder davon abgelenkt wird, ihre eigenen Interessen anzustreben. Mit solchen Modewellen werden die Menschen eher dazu gebracht, fremde Interessen als eigene zu anzunehmen. Und wer das gut kann und vermitteln kann, der kann damit erfolgreich werden. Das Coming-out zum Beispiel ist der Einbruch von etwas mehr Wahrheit, was uns außerdem ermöglicht, etwas glücklicher zu leben. Das ist auch heute noch nicht falsch. Falsch sind meiner Meinung nach, Versuche, die Lesben und Schwule nun auch den gleichen Normen und Werten anzupassen, die einst ins Feld geführt wurden, uns zu verfolgen.
Es grüßt Dich
Joachim von der LUST

Zum Artikel “Unsere Szene” in der 67. Lust schrieben Holger und Jürgen aus Limburg:

Der Bereich über die Chat-Lines war ganz interessant und amüsant zu lesen. Dann aber die Unterscheidung zwischen Gruppen und Verbände. Das lässt sich doch gar nicht so auseinanderhalten. Klar ist, dass Verbände reden, obwohl die Basis nicht gefragt wurde. Die in die Ämter gewählten Spezialisten müssen doch auch etwas zu tun haben. Dazu sind sie gewählt wollen und deshalb haben wir doch die Verbände, weil wir uns nicht um alles kümmern können und wollen. Wem soll das interessieren, dass es Kneipen, Dikotheken und Saunen gibt? Das weiß doch jeder.
Vier Seiten Geschwafel über Selbstverständlichkeiten. Und dafür haben wir 6 DM bezahlt.

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