109. Print-Ausgabe, Winter-LUST 2011/2012
 
Das Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“. Und nun muss mann/frau lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.

Hi Gay Guys n´ Girls,

Unter dem weihnachtlichen Gebimmel und den ganzen Weihnachtsklängen geht es immer wieder in diesen Tagen um die „heilige Familie“, denn Weihnachten sei ja ein Familienfest.

Als Lesbe und als Schwuler wird man bei den weihnachtlichen Ritualen zu einem traditionessen Fami-lienfeiertag genötigt, der für die Lesben und Schwulen allzuoft sehr viele Peinlichkeiten mit sich bringt, denn unsere „Familie“ ist oft nicht deren Familie.

Wir haben uns daran gewöhnt, unsere Beziehungsstrukturen als Wahlfamilie zu bezeichnen, die offizielle kirchlich und staatlich anerkannte Familie gilt uns als die Herkunftsfamilie.

Bei den Papstreisen geht es auch um die „heilige Familie“, und in diesem Zusammenhang hörte man gerade vom gegenwärtigen Papst, dass wir Lesben und Schwulen die Familie zerstören würden, besonders wohl dann, wenn wir in einer anerkannten Lebensgemeinschaft leben wollen. Der Vatikan kritisiert in der UNO, wenn dort die staatliche Verfolgung Homosexueller als Men-schenrechtsverletzung angeprangert werde, dass es zu den Menschenrechten gehöre, die Sexualität der Völker zu „reglementieren“. Bis hin zur Todestrafe?

Kann man nun mit seiner Herkunftsfamilie an den christlichen Feiertagen feierlich zusammensitzen, sich gegenseitig Geschenke geben und hören, wie die Kinderchen der Schwester so süß sind und wie groß sie schon sind? Und dann die Fragen, ob man denn nicht auch einmal heiraten möchte?

Hier wird zumeist noch traditionell zelebriert, was Aufgabe der Frau und was Aufgabe des Mannes ist, des richtigen Mannes, versteht sich. Und zu dem Thema, wie wir leben, sagen wir dann lieber nichts, um „die Harmonie“ dieses Tages nicht zu stören. Denn was wir zu sagen hätten, ist für die Herkunftsfamilie allzu oft das Gegenteil von ihrem Verständnis von Harmonie.

Es soll auch Fälle geben, wo die Herkunftsfamilie relativ akzeptiert, dass wir sind, wie wir sind. Aber es ist auch dort oftmals so, dass wir uns große Mühe geben müssen, um nicht „aus der Rolle zu fallen“, wie das so bezeichnend heißt. Nein, die Nötigung zur Herkunftsfamilie zu Weihnachten ist etwas, das uns in der Regel in einen gewissen Zwiespalt bringt.

Auch wenn wir selber uns mal wieder in den glücklichen Zustand der Kindheit versetzen möchten, das geht ab dem Coming-out nun wirklich gar nicht mehr.

Und gerade an dem 24.12. wird das Beratungstelefon sehr häufig genutzt. Nein, nicht um uns einen schönen Feiertag zu wünschen, sondern um eine ganze Reihe von Aggressionen loszuwerden, gegenüber uns, als seien wir die Verursacher des Weihnachtszwiespaltes, in dem sich viele aus unserer Szene gerade an diesem Tag befinden.
Wir haben früher immer mal versucht, der Szene eine Gay-Party gerade am 24.12. anzubieten. Und wie war dies? Die meisten sind doch erst so um 22 oder 23 Uhr gekommen, haben vorher die Familienpflichten erfüllt. Und wenn sie dann kamen, hatten sie ganz stinkige Laune, sodass durch ihr Verhalten die ganze Party nichts wurde.
Für manche waren wir aber auch bei diesen Parties die Leute, die eine Alternative boten.

Heute machen wir keine Party mehr, sondern halten uns am Telefon bereit, denn manche brauchen gerade an diesem Abend Leute zum Plaudern.

Natürlich können wir in solchen Gesprächen Mut machen, über lesbisches und schwules Leben mit Euch reden, doch das Eigentliche können wir nicht, den Konflikt zwischen heterosexuellen Selbstverständlichkeiten und homosexuellem Selbstzwei-fel sowie die Scham vor unserer eigenen Homosexualität zu nehmen. Die verschwinden nach und nach mit unserem Coming-out, ein neues Selbstbewusstsein, eines das mit unserem Leben und den Fragen sowie dem Lebensglück, die sich daraus ergeben können, kann entstehen.

Mit dem Coming-out tut sich so manche(r) schwer, auch wenn er/sie schon recht lange gleichgeschlechtlich verkehrt.

Zum Beispiel der Selbsthass, mit dem manche Lesben und Schwule uns anderen Lesben und Schwulen das Leben schwer machen.

Muss ich denn das Lesbischsein und das Schwulsein so hassen, dass ich über andere Schwule und Lesben immer nur schlecht reden muss? Gehörst Du vielleicht auch zu den Menschen, die sich für die anderen Lesben und Schwulen schämen, weil Du vielleicht meinst, dass das, was sie tun und wie sie sich geben ir-gendwie auf Dich zurückfallen könnte? Wem denn wohl gegenüber müsstest Du Dich dafür rechtfertigen?

Und diese Leute, auf deren Urteil Du Wert legst, die sind wohl nicht lesbisch oder schwul, und genau deshalb willst Du ein so „gutes Bild“ abgeben?

Und die sind Dir wichtiger als die anderen Lesben und Schwulen, für deren Weg, ihre Homosexualität zu leben, Du Dich so sehr schämst? Wenn Du es genau betrachtest, dann ist dies doch nicht unbedingt eine kluge Lösung für Dein eigenes Leben. Denn Du würdest natürlich nicht wollen, dass irgendjemand in der Szene Dich negativ für Deinen Versuch kommentiert, Dein zukünftiges Leben und Deine aus der vergang-enen Lebenszeit stammenden Vorstellungen über ein gutes Leben in Übereinstimmung zu bringen.

Kannst Du nicht auch mal in Erwägung ziehen, dass deren Verhalten, für das Du Dich schämst, auch nur der Versuch ist, als lesbische Frau oder als schwuler Mann ein gutes Leben zu führen? Naja, und zum homosexuellen Leben gehört wohl auch ein bisschen oder etwas mehr Sex, als die bisherige Moral es öffentlich vorsah.

Möglicherweise gibt es auch mehr Sex unter Heterosexuellen, als man allgemein mitbekommt. Und bekommt man was mit, dann ist natürlich in Deiner bisherigen Welt sofort die Moralkeule da.

Und die Doppelmoral der Moralisten ist Dein Maßstab, Deine neuen FreundInnen zu beurteilen? Na also bitte, gönn doch den anderen das, was sie so gerne wollen. Auch sie haben sich die innere und äußere Freiheit dazu hart erarbeitet.

Selbst wenn das, was die so tun und worüber Du Dich so sehr schämst, für Dich überhaupt nicht in Frage kommen würde, selbst dann haben sie natürlich jedes Recht der Welt, ihr Leben nach ihren eigenen Bedürfnissen zu gestalten.

Aber der/die macht die anderen immer so anzüglich an, willst Du mir sagen? Na und? Vielleicht klappt es hier und da auf diese Weise und sie haben dann wenigstens Sex mit-einander. Und wenn Du gerade diese Anmache Dir gegenüber nicht magst, dann geh halt nicht darauf ein. Du musst ja nicht.

Der/die andere hat sicher Gründe, es so zu machen, die Du vielleicht gar nicht kennst. Und wenn es darum geht, das Du ihn/sie überhaupt nicht leiden kannst, dann ist das Dein Problem, denn er/sie kann nichts dafür, dass Du so fühlst.

Dein Coming-out ist dann weitergekommen, wenn Du von uns anderen Lesben und Schwulen nicht deshalb irgendetwas verlangst, weil wir auch lesbisch oder schwul sind.

Manchmal werden von mutigen LehrerInnen auch Lesben und/oder Schwule in die Schule eingeladen, um Euch und sich selber vor Homophobie zu schützen und Euch zu ermutigen, Euer Coming-out zu bewältigen.
Und nun könnte es so sein, dass Du selber so eine bzw. so einer bist, von denen die smarten Leute, die in die Schule eingeladen wurden jetzt reden.

Sie reden davon, wie mies die Homophobie ist, und Andreas in der Reihe vor dem Fenster, der immer diese lockeren und flockigen Sprüche drauf hat, wie: „Hallo Schwuli-bert Geilhuber“ oder „du Schwanzlutscher“ und zu der Petra, die mit ihm nichts zu tun haben will, sagt er: „Na? Hast du gestern abend wieder mit deiner Freundin rumgeknutscht und Stinkefingerchen gemacht?“ Er kann aber auch anders, dann sagt er: „Ihr Lesben braucht nur mal ordentlich einen rein!“ Diese und andere Sprüche kennen wir von ihm. Warum lässst es nicht einfach dieses Thema, von dem er angeblich nicht betroffen ist?

Und hier nun, wo diese Besucherinnen und Besucher in der Klasse sind, da regt er sich vor der Klasse über die Idioten auf, die die Lesben und Schwulen nicht in Ruhe lassen. Er muss immer bei allem der Wortführer sein, wenn Chantal nicht da ist. Wenn die da ist, ist sie nicht nur diesbezüglich die Wortführerin.

Die Leute, die in Eure Klasse kommen, sagen, dass sie für diese Gespräche ausgebildet worden sind und dass sie sich in diesen Sachen auskennen. Sie halten sich an das, was sie gelernt haben, werden nicht anzüglich, können zu allem etwas sagen.

Es ist gut, dass die eingeladen wurden. Aber werden die dem Andreas beibringen, dass er selber so einer ist, von dem er nun verachtungsvoll redet, ein Homophober? Es könnte nämlich sein, dass er tatsächlich auch schwul ist, er aber noch nicht dazu stehen kann, weil er ja all das gelernt hat, womit er oft so angibt. Diese Erelbnisse mussten wir leider oft machen.

Nutzt das was, was die Besucher-Innen machen? Sie verteilen bei Euch Zettelchen von Beratungstelefonen und Gruppen, in denen sie mitmachen, und laden dazu ein, zu ihnen zu kommen. Wird da jemand aus unserer Klasse hingehen?

Genau so oder ähnlich muss es wohl den SchülerInnen vorkommen, wenn ein solcher Besuch in einer Klasse stattfindet.

Und die Besucher, sind das die gut ausgebildeten Spezialisten? Oder quatschen sie die Schüler einfach nur zu und reden an ihnen vorbei?

Beides kann möglich sein. Sie können gut sein und einen guten Draht haben, oder es klappt nicht so gut. Das kommt nämlich auf beide Seiten an. So ist das immer und überall im Leben.

Man kann an hilfreiche Leute geraten oder an Angeber, die gerne wer wären. Die Verantwortung dafür, ob die die dir helfen können, hast du letztlich selber.

Hilfe, bei der Dir die Verantwortung abgenommen wird, ist eher Manipulation, und Du bist ja schließlich erwachsen. Du musst selber die richtigen Fragen stellen und die Antworten der Leute für Dich und Dein Leben richtig werten.

Und ob du mit den Leuten, von denen du Rat suchst, gut beraten wirst, hat nicht nur mit der Ausbildung dieser Leute in solchen Fragen zu tun. Besser ist schon, sie haben sie. Es kommt auch daruf an, ob die RatgeberInnen AngeberInnen sind, oder ob sie sich in Deine Lage hineindenken können und wollen.

Dann gibt es noch gute Leute, die haben diese Ausbildung nicht. Doch man bekommt mit ihnen schnell einen guten Draht und die verstehen die anderen ganz gut. Die werden „die genialen Dilletanten“ genannt. Sie haben meist auch Erfahrung, weil sie oft ins Vertrauen gezogen werden. Was die „wissen“, steht in keinem Programm.

Vielleicht wäre es ganz gut, wenn die dann auch noch ein bisschen Theorie lernen würden. Denn die vielen Kniffe, wie man sich in welcher Situation am besten verhält und was die richtige Hilfe sein kann, das ist nicht neu, ist bekannt, man muss es nur wissen. So eine Vorbereitung darauf kann ja nur nutzen.

Sie werden Dir keine Entscheidung abnehmen, Du behältst die Freiheit, Deine eigenen Schritte zu gehen. Das ist wichtig, denn nicht sie, sondern Du hast ja schließlich auch die Fogen von Deinen Schritten zu tragen und nicht sie.

Wann ist die richtige Situation, es den Eltern, den LehrerInnen und Mit-schülerInnen, oder ist es besser, es im Moment nicht zu sagen? Das musst Du ganz alleine und selber entscheiden. Rat suchen und Rat geben muss beides gelernt sein, aus der Praxis und aus der Theorie.

Das rät Dir
Dein Team von der ROSA LÜSTE