- 2. LUSTBLATT April/Mai 05
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- Mahnwache für Hatin Sürücü
Erklärung des LSVD: Mit großer Betroffenheit
haben wir den Mord an der 23 Jahre alten Hatin Sürücü
zur Kenntnis genommen. Sie ist am Siebenten Februar 2005, gegen
21.00 Uhr, an der Bushaltestelle Oberlandgarten der BVG-Linie
246 erschossen worden.
Verhaftet wurden die drei Brüder von Hatin Sürücü,
denen der emanzipierte Lebensstil der Frau missfallen haben soll.
Einer der drei Brüder soll die Waffe besorgt, der zweite
geschossen und der dritte Bruder den Schützen begleitet
haben.
Diese Tat ist kein Einzelfall. Immer wieder werden schwere Gewaltverbrechen
an Frauen bekannt, die sich aus unterdrückenden Ehe- und
Familienstrukturen befreien wollen. Sie werden gedemütigt,
misshandelt und geschlagen. Motiv dieser Taten ist oft ein archaisches
Verständnis von Familienehre, das ein selbstbestimmtes Leben
von Frauen, oder auch von Lesben und Schwulen ausschließt.
Zu Tätern werden meist die Väter, Brüder oder
Söhne die oft von anderen Familienmitgliedern unterstützt,
gedrängt oder gedeckt werden.
Wir wollen und können dies nicht hinnehmen. Erforderlich
ist eine gesellschaftliche Solidarität und ein Bündnis
gegen die Gewalt, die auch öffentlich demonstriert wird.
Den Tätern muss deutlich gemacht werden, dass sie Verbrechen
begangen haben - sie sind die Vollstrecker eines falsch verstandenen
Ehrbegriffs. Den Opfern muss signalisiert werden, dass sie Anteilnahme,
gesellschaftliche Hilfe und Unterstützung erhalten
je früher desto hilfreicher. Erforderlich ist, dass Meinungen
vehement und öffentlich widersprochen wird, die erklären,
es gebe moralische Argumente, die derartige Gewaltverbrechen
rechtfertigen. (Es folgen hier zahlreiche ErstunterzeichnerInnen,
an erster Stelle die Rechtanwältin Seyran Ateº)
LSVD warnt vor Zuspitzung der Auseinandersetzung
Mit Bestürzung hat der Lesben- und Schwulenverband (LSVD)
die Berichterstattung der türkischen Tageszeitung Hürriyet
zur aktuellen Diskussion über Zwangsheirat und Ehrenmorde
zur Kenntnis genommen. Der LSVD ruft alle Beteiligten auf, die
Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung nicht zu verlassen.
Es ist nicht hinnehmbar, dass Einzelpersonen wegen ihres Engagements
für die Menschenrechte an den Pranger gestellt werden. Wie
der Tagesspiegel berichtet, war die Rechtsanwältin Seyran
Ates für ihr Engagement gegen Zwangsheirat und Ehrenmorde
scharf angegriffen worden. So titelte die Tageszeitung Hürriyet
in ihrer Sonntagsausgabe: Diese Anwältin ist irre
geworden. Ates hatte nach dem Mord an Hatun Sürücü
gemeinsam mit dem LSVD zu einer Mahnwache aufgerufen. In einem
Interview hatte Ates die deutsche Mehrheitsgesellschaft kritisiert,
die Unterdrückung von Frauen zu ig-norieren. Bereits vor
zehn Tagen hatte Hürriyet die Autorinnen und Menschenrechtsaktivistinnen
Necla Kelek und und Serap Cileli scharf angegriffen. Der LSVD
warnt vor einer unsachlichen Zuspitzung der Auseinandersetzung.
Angesichts zahlreicher Ehrenmorde sind Migrantenverbände
und medien aufgerufen, die Diskussion über überkommene
Ehrbegriffe und Wertvorstellungen in ihre Szenen zu tragen. Angriffe
auf mutige Einzelpersonen, die diese Aufgabe übernommen
haben, können hier nur kontraproduktiv wirken.