64. LUST, Februar/März 01

Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren,
was man schon vorher geahnt oder befürchtet Hatte: “Ich bin homosexuell”.
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.

Freundschaften zu bekommen, das ist in unserer Szene doch ein großes Problem. In der 61. LUST haben wir uns darüber unterhalten. Freundschaften zu pflegen ist ein weiteres Problem, genauso wie Freundschaften zu beenden. Um diese beiden Bereiche, das Pflegen von Freundschaften und das Beenden von Freundschaften wollen wir, LesbGayGirl und OldGayMan, uns heute mit Euch unterhalten.

Hallo, Gay Guys n´ Girls,
heute schon einen zarten Kuss und eine stürmische Umarmung erlebt? Natürlich, könntet Ihr sagen, schließlich sind wir doch nicht alleine. Da ist es ja selbstverständlich, dass man sich dann auch nicht alleine fühlt und immer jemand da ist, wenn man ihn/sie braucht. Ist das so?
LesbGayGirl unterhält sich mit Monika (der Name ist der Redaktion bekannt), die seit 2 Jahren mit ihrer Freundin in deren Wohnung in Kassel zusammenwohnt.

LesbGayGirl: Hallo Monika, wie lange seid Ihr, Du und Deine Freundin Doris, eigentlich schon zusammen?
Monika: Also, so genau kann man das gar nicht sagen. Wir haben uns immer mal im Suspekt gesehen. Das heißt, ich habe immer mal interessiert zu ihr rübergesehen, sie hat dann aber immer zur Seite gesehen. Diese Zeit kann man eigentlich nicht mitrechnen.
Ich rechne also ab der Zeit, ab der wir uns öfter mal getroffen haben und zusammen ausgegangen sind. Da hat sich beziehungsmäßig noch nicht so viel abgespielt, weil ich gar nicht den Mut hatte, einen Schritt weiterzugehen. Ich war ja noch neu in der Szene und Doris kannte nicht nur alle Schwulen und Lesben in dem Café, sondern überall wo wir hinkamen kannte sie allerhand Leute. Das hat mir damals gewaltig imponiert.
LesbGayGirl: Es ist ja nicht so einfach, vom Blickwechsel zum Ausgehen zu kommen. Willst du mir nicht erzählen, wie dieser große Schritt zu bewältigen war?
Monika: Wir haben uns schon immer mal gesehen, und dann haben wir angefangen, uns zu grüßen, wenn wir uns in der Straßenbahn oder an anderen Plätzen gesehen haben. Dann ergab es sich, dass wir im Suspekt auch mal am gleichen Tisch saßen. Da ergab sich das eine und andere Wort. Schrittweise, so kann man das wohl sagen, haben wir uns kennengelernt.
LesbGayGirl: Und wie kam es, dass ihr euch näher angefreundet habt, dass ihr eine Beziehung miteinander eingegangen seid?
Monika: Ich glaube, Doris hat schon längere Zeit darauf spekuliert. Geredet haben wir darüber nicht. Irgendwie war dieses Thema tabu. Mit ihrer Freundin klappte es damals nicht mehr so richtig, und die ist dann bei ihr ausgezogen. Und weil ich von meinen Eltern weg wollte und sie die Miete nicht alleine zahlen wollte, hat sie mich eingeladen, das freie Zimmer bei ihr unterzumieten. So hat es dann richtig angefangen.
LesbGayGirl: Doris ist doch Deine erste lesbische Beziehung. Du hattest den Mut gleich bei ihr einzuziehen?
Monika: Klar doch, ich war doch längst lichterloh in sie verliebt. Ich hätte alles gemacht, was sie mir vorgeschlagen hat. Und deshalb war es mir auch recht, dass ich keinen Schlüssel für mein Zimmer hatte und sie immer wieder zu mir reinkam. Ich selbst habe mich anfänglich nicht getraut, zu ihr reinzugehen, aber das hat sich dann gegeben.
LesbGayGirl: Und heute ist dir das zu distanzlos?
Monika: Nicht immer. Aber manchmal möchte ich auch die Musik hören, nach der mir gerade ist, oder auch mal etwas alleine sein. Und wenn ich einen Brief an meine Mutter schreibe, will sie immer alles wissen. Es geht sie aber nichts an, meine ich. Das ist gar nicht gegen Doris gerichtet. Doch das kann sie nicht verstehen.
Sie fragt dann, ob ich was habe. Und wenn ich sage, dass ich nichts habe, was ja auch stimmt, dann lässt sie nicht locker und bohrt immer weiter nach. Sie macht das aber auch sehr geschickt, lässt die Hände dabei spielen, und schließlich liegen wir zusammen in meinem Bett, genießen das Leben, aber der Brief an meine Mutter ist nicht geschrieben und für meine Prüfungsarbeit habe ich wieder keinen Schlag gemacht.
LesbGayGirl: Wie ist das denn mit Doris? Hat sie denn nie die Situation, in der sie alleine sein möchte?
Monika: Eigentlich selten. Und wenn, dann hat sie auch was. Und wenn ich dann zu ihr will, ist sie ziemlich heftig. Da kann auch schon einmal eine Tasse mit Kaffee in meine Richtung fliegen. Da ist es schon besser, ich ziehe mich in solchen Situationen zurück. Und wenn ich dann in mein Zimmer gehe, kann ich auch nicht die Zeit nutzen, einmal alleine zu sein. Ich bin dann viel zu aufgewühlt, nach dieser Szene, und dann kommt sie auch gleich und will sich bei mir entschuldigen, und wo wir dann landen, das kannst du dir ja denken.
LesbGayGirl: Es hat sich also deutlich in Eurer Beziehung etwas verändert. Kannst du dir nicht immer mal ein paar Tage Urlaub von ihr nehmen, damit du dann erneut mit ihr zusammensein kannst, weil du es willst?
Monika: Ja, es hat sich etwas verändert. Ich bin nicht mehr frisch verliebt, und nun besinne ich mich stärker wieder auf das, was ich auch machen möchte und was ich klaglos aufgegeben habe, in der Zeit, in der ich frisch verliebt war. Das heißt nicht, dass ich Doris nicht mehr liebe. Aber ich denke, ich bin erwachsener und selbstbewusster geworden. Sie nennt das, ich würde die Harmonie unserer Beziehung damit kaputtmachen. Was sie Harmonie nennt, war, dass alles nach ihr ging, wogegen ich damals nichts hatte. Jetzt aber meine ich, dass sie wie damals meine Mutter nicht möchte, dass ich zu selbständig werde. Das ist ein echtes Problem.
LesbGayGirl: Und du kannst nicht mit ihr darüber reden? Wenn du nicht mit ihr darüber reden kannst, dann kann es dazu kommen, dass ihr euch immer mehr missversteht und immer weiter auseinander bewegt. Das kann dann sogar zum Ende einer Beziehung kommen.
Monika: Das wäre furchtbar. Aber meinst du, ich würde mit dir heute sprechen, wenn ich mit ihr darüber reden könnte? Es scheint so zu sein, dass sie ein solches klärendes Gespräch nicht möchte. Immer, wenn ich damit anfange, weicht sie aus, hat keine Zeit oder Lust, wird traurig oder zornig. Kannst du nicht mal mit ihr darüber reden?
LesbGayGirl: Ja und nein. Ich kann dich gut verstehen und kann auch mit dir fühlen, dass du in einer schwierigen Situation bist. Aber wenn ich nach einem Gespräch mit dir zu ihr käme, könnte sie das nur als Einmischung von außen in eure Beziehung verstehen. Dann könnten wir nichts ändern, sondern wir würden alles nur schlimmer machen. Wenn ihr es beide wolltet, dann könnten wir vielleicht ein Dreiergespräch führen. Aber sie will ja generell nicht darüber reden, wie du sagst. Ich habe außerdem erst einmal nur deine Version gehört. Wie sieht sie denn das? So kann es also nicht gehen, wie du denkst. Du musst schon selbst die Initiative ergreifen und klärende Gespräche führen. Es ist ja dein Anliegen an Doris.
Monika: Du hast recht, sie würde sich das nie gefallen lassen. Ich muss es selbst versuchen und die Gefahr in Kauf nehmen, dass es sehr hart wird. Offensichtlich ist man da auf sich selbst angewiesen.
LesbGayGirl: In Beziehungsfragen gibt es keine Objektivität und kann es nicht geben. Jeder sieht dies aus der Warte seines Lebens, seiner Erfahrungen und seiner Interessen. Und die/der andere hat ein Recht dazu, es so zu sehen, wie es ihrem Leben, ihren Erfahrungen und ihren Interessen entspricht.

Hallo GayGirls,
Eine Beziehung, die die kurze Zeit des Verliebtseins überdauern soll, muss die Kraft entwickeln, PartnerInnen so zu akzeptieren, wie sie sind und nicht, wie wir den Partner haben wollen. Eine Voraussetzung dazu ist, dass man sich gegenseitig zuhören kann, um die Anliegen der Partnerin zu verstehen. Wenn man es nicht verstehen will, gibt man zu, dass man die Interessen der Partnerin nicht achtet und kein Interesse an einer Änderung der Verhältnisse hat, obwohl es ein Anliegen der Partnerin ist. Eine Beziehung die auf Kosten eines der Partner geht, kann auf Dauer keinen Bestand haben. Irgendwann ist dann für den anderen die Schmerzgrenze erreicht, so dass es für ihn besser ist, ohne Beziehung zu sein, statt diese noch weiter leben zu lassen.
Beziehungen sind der freiwillige Zusammenschluss von Menschen zum gegenseitigen Nutzen. Die betreffenden Menschen müssen sie selbst gestalten. Das Einmischen von Dritten hat allzu oft etwas mit den Interessen dieser Dritten zu tun und hilft einer Beziehung nur selten. Wenn beide eine akzeptable Beziehung haben wollen und beide denken, dass eine Partnerschaftsberatung sinnvoll sein könnte, dann sollten sie es durchaus versuchen. Nicht alle Beratungsangebote sind hilfreich, und wie für jede Beratung gilt auch hier: die Ratsuchenden entscheiden selbst, die Ratgeber können nur Vorschläge machen. Sonst wäre es keine Beratung, sondern Manipulation.
Es grüßt Euch,
Euer LesbGayGirl

OldGayMan unterhält sich mit Martin (der Name ist der Redaktion bekannt), der seit sechs Monaten an den Wochenenden seinen Freund besucht.

OldGayMan: Hallo Martin, heute schon mit Jürgen telefoniert?
Martin: Selbstverständlich. Immer in der Mittagspause, das heißt, wenn er Mittagspause hat, telefonieren wir miteinander. Dabei müssen wir vorsichtig sein, die Kollegen von Jürgen glauben, dass er mit seiner Freundin telefoniert. Wenn ich einen Kollegen von ihm am Telefon habe, dann bin ich ein Bruder von seiner Freundin oder immer jemand anderes aus der Verwandtschaft von Jürgen, und dann machen wir es kurz und dann rufe ich 5 Minuten später an, wo dann Jürgen abnimmt. Bisher haben sie keinen Verdacht geschöpft.
OldGayMan: Natürlich wäre es für Euch sicherlich besser, wenn ihr zu eurer Beziehung stehen und auf das Versteckspiel verzichten könntet.
Martin: Das habe ich ihm auch gesagt, aber er schätzt sein Risiko für zu groß ein. Ich würde das einfach machen. Alle meine Kollegen müssten wissen, dass ich mit einem Mann zusammenlebe, dass der eine führende Stelle in einem Pharmabetrieb hat, und dass der mich liebt. Aber es sei zu schwierig, ihnen das verständlich zu machen, dass er einen Mann liebt, der so viel jünger als er ist, meint er. Und er hat mich davon überzeugt, dass jeder selbst in seinem Umfeld einschätzen muss, was man von sich preisgibt. Und da hat er natürlich irgendwie recht.
OldGayMan: Hast Du es denn allen Leuten Deines Umfeldes gesagt?
Martin: Also, einigen Leuten von der Volkstanzgruppe habe ich mich anvertraut. Den anderen sage ich das lieber nicht. Ich möchte nicht ihre Freundschaft verlieren, die mir wichtig ist. Auch meine Eltern wissen Bescheid. Mein Vater will nichts Genaues davon wissen und meine Mutter hat Verständnis für mich. Allerdings sage ich ihr nicht, wie alt der Jürgen ist, denn dann würde sie mir ständig unterstellen, dass ich verführt worden sei, und diesen Stress möchte ich mir nicht antun.
OldGayMan: Du wohnst bei Deinen Eltern, gehst zur Schule und sie akzeptieren, dass du am Samstag zu Jürgen nach Hamburg fährst und am Sonntag Abend wieder zurückkommst. Gefällt Dir das Leben an zwei Wohnorten?
Martin: Es ist nicht schlecht so. Ich habe meine Freiheiten unter der Woche und Jürgen hat es sich dann doch abgewöhnt, immer bohrend zu fragen, ob ich jemanden kennengelernt habe. Das kenne ich nämlich von seinem Vorgänger, dem Sascha, denn Jürgen ist nicht mein erster Freund.
OldGayMan: Warum ist es mit Sascha auseinandergegangen?
Martin: Ich habe ihn in der schwulen Jugendgruppe kennengelernt. Ich war 15 und er war 23. Jetzt bin ich selbst bald 20. Sascha war deshalb mein erster Freund, weil er sich in der Gruppe gleich um mich gekümmert hat. Er ist auch nicht, wie Jürgen, gleich mit mir ins Bett gegangen, sondern hat mich in alles schrittweise eingeführt. Er hat mir erklärt, dass dies eine dauerhafte Beziehung sei und sagte, dass er mich heiraten wollte, wenn es erlaubt ist. Damals hatte ich nichts dagegen.
OldGayMan: Heute hast Du was dagegen? Was ist passiert?
Martin: Ich wollte doch überhaupt erst einmal schwule Leute kennenlernen, ich kannte ja keine. Und dann wollte ich doch nicht nur einen kennenlernen, sondern die Bekanntschaft mit unterschiedlichen Leuten machen. Ich glaubte damals, Sexualität und eine enge Freundschaft gehören zusammen, ich dachte also, das wäre ganz normal so, wie Sascha es wollte. Also hatte ich nichts dagegen, wenn er mich ständig von anderen abschirmte. Ich fand das normal, obwohl es mich auch störte.
OldGayMan: Was ist passiert, dass du von ihm wegwolltest?
Martin: Darf ich ganz offen sein? Also im Bett ging es auch immer nach Sascha. Er stand auf Bumsen und Geblasenwerden. Ich wollte das auch so. Aber ich wollte ihn manchmal auch bumsen und von ihm geblasen werden. Wenn ich das lange genug einforderte, ging er zwar auf mich ein, aber es war nicht so, wie ich das gerne gehabt hätte. Es war zu spüren, dass er das irgendwie aus sozialen Gründen machte, nicht weil er es wollte. Das ist ganz verrückt, denn mit Jürgen ist das nun so, dass ich ihn nicht bumsen will, sondern von ihm gebumst werden will, und blasen, das tun wir uns gegenseitig mit Genuss. Aber das mit dem Bett war nur eines von vielen Sachen, die mir mit Sascha nicht behagten. Er sagte immer, dass nur Gleichaltrige eine wirklich gute Beziehung miteinander haben könnten und hatte absolut herbe Sprüche gegenüber älteren Schwule drauf, während er sich mir gegenüber genau so benahm, wie er es von Älteren behauptete.
OldGayMan: Wie hast du denn den Jürgen kennengelernt?
Martin: Als ich dem Sascha davongelaufen bin, habe ich es recht bunt getrieben. Ich lernte in den Lokalen viele Leute kennen. Ich bin auch in verschiedene Gruppen gegangen und in einer Gruppe, in der unterschiedlich alte Lesben und Schwule waren, dort war auch er. Ich habe auch mit ihm einige sexuelle Begegnungen gehabt, obwohl er damals schon nahezu 50 war. Ich fand ihn ganz nett. Dann, als er nach Mannheim umzog, bin ich immer mal zu ihm gefahren, immer öfter, und jetzt ist etwas Regelmäßiges daraus geworden. Das habe ich Sascha zu verdanken.
OldGayMan: Das verstehe ich nicht, das musst du mir genauer erklären.
Martin: Sascha wollte sich nicht damit abfinden, dass ich mich immer mehr zu anderen Leuten orientierte. Er glaubte immer, die anderen wollten mich ihm ausspannen. Da ich aber ohne Freund mit ganz unterschiedlichen Leuten Erfahrungen sammelte, hatte er es schwer, gegen diese alle vorzugehen. Später, als ich in der anderen Gruppe öfter mit Jürgen zusammenwar, da hatte er endlich den Mann, den er als seinen Gegner ansehen konnte. Er erzählte überall rum, dass Jürgen kleine Jungs verführen würde. Er ist dabei sehr weit gegangen und hat sogar meine Eltern aufgesucht und ihnen vorgeschlagen, Jürgen anzuzeigen. Aber es gibt gar kein Gesetz, mit dem man ihn hätte anzeigen können. Jedenfalls musste ich mich dann gegenüber meinen Eltern rechtfertigen und meiner Mutter versprechen, mich von Jürgen zu trennen. Sie weiß nicht, dass der Freund, zu dem ich nach Mannheim fahre, der Jürgen von damals ist. Aber die Lage für Jürgen wurde immer unangenehmer. Viele gaben Sascha Recht und schnitten Jürgen. Dann rief Sascha auch in Jürgens Firma an, und dort hat man zwar nichts gegen ihn unternommen, aber er fühlte sich dort nicht mehr wohl. Er wollte dann doch die Firma und die Stadt wechseln, als sich für ihn die Möglichkeit ergab, dort eine für ihn interessante Arbeit zu übernehmen. Mit Sascha möchte ich nun absolut nichts mehr zu tun haben. Eigentlich schade. Er war ja ein Teil von meinem Leben. Unsere Beziehung hatte sich damals einfach überlebt, meine ich. Da ist niemand dran schuld. Es war einfach immer weniger, worüber wir uns verstanden. Hätte er sich nicht derart dämlich angestellt, könnten wir immer noch miteinander befreundet sein und von alten Tagen reden.
OldGayMan: Eine Beziehung zu beenden, die sich überlebt hat, und zwar angemessen zu beenden, das muss man schon lernen. Möglicherweise hatte Sascha das noch nicht gelernt. Vielleicht war er einfach zu jung dazu.
Martin: Sicher. Das muss man lernen. Ich bin aber auch zu naiv in eine festere Beziehung gestolpert. Auch ich war darauf nicht vorbereitet. Sascha spielte sich mir gegenüber als großer Lehrmeister auf und tat so erfahren. Da habe ich mich ihm zu sehr anvertraut und meine eigenen Interessen vernachlässigt. Das war keine zweiseitige Beziehung.
OldGayMan: Und wie ist das nun mit Jürgen? Du gehst doch fremd, oder?
Martin: Ich lasse mich in kein Beziehungsgefängnis mehr einsperren. Ich weiß von Paaren, die sogar zusammen wohnen, die aber auch ihre Freiheiten haben und sich dabei gegenseitig unterstützen. Jürgen hat während der Woche die eine oder andere Beziehung. Ich habe auch schon einige Freunde von ihm kennengelernt. Ich glaube, dass ich mehr Beziehungen habe als Jürgen, weil ich es wegen meines Alters leichter habe, Partner kennenzulernen. Aber die Beziehung mit Jürgen sehe ich als meine wichtigste Beziehung an. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Beziehung einmal nicht mehr da wäre. Sie gibt mir eine gute Stabilität und macht mir auch viel Lust.
OldGayMan: Was machst du mit Partnern, die dich so lieben, dass sie dich für sich alleine haben wollen?
Martin: Es gab schon welche, die mich davon abbringen wollten, zu Jürgen zu fahren. Eine so offene Beziehung wie die, die ich mit Jürgen habe, kann nur klappen, wenn ich mich auf Jürgen verlassen kann und er sich auf mich. Ich akzeptiere nichts, was sich zwischen uns stellen will. Darauf kann sich der Jürgen verlassen. Andererseits will ich noch viel kennenlernen. Die Discos zum Beispiel, die liegt ihm nicht so. Da lerne ich Leute kennen. Und seine Diskussionen über Politik, die liegen mir nicht so. Trotzdem fühle ich mich bei ihm sozusagen absolut zu Hause und die Sexgeschichten stimmen so, als ob wir füreinander gemacht worden wären. Das fällt mir immer auf, wenn ich mit jemand anderem im Bett bin.
OldGayMan: Wir müssen also den jungen Leuten erklären, dass die Vorstellungen über die Form von Freundschaften, wie sie in den Fernsehserien und den Filmen für normal angegeben werden, mit den Realitäten des Lebens nicht übereinstimmen. Ob sie uns glauben werden?

Hallo GayGuys,
Ihr seid nicht alleine? Prima. Es stimmt aber auch alles in Eurer Beziehung? Dann seid Ihr frisch verliebt. Ich kann Euch nur raten, dass ihr jede Minute davon genießt. Denn dieser Zustand ist nicht selbstverständlich und so oft im Leben erlebt man ihn auch nicht. Kostet ihn also nach Kräften aus. Und wenn ich Euch sagen würde, dass dieses Gefühl auch einmal ein Ende haben wird, könntet ihr mich im Moment nicht verstehen. Das versteht sich natürlich.
Es stimmt nicht alles in Eurer Beziehung? Selbstverständlich. Es ist undenkbar, dass zwei oder mehr Menschen so zueinander passen, dass alles übereinstimmt. Ihr müsst nun gute Wege finden zwischen den gemeinsamen Bereichen und den Bereichen, die nicht so recht zusammen gehen. Auf diese braucht ihr nicht zu verzichten. Aber es sollte nicht zum Hebel zur Beendigung der Beziehung werden. Deshalb müsst Ihr die privaten Sphären gegenseitig achten. Dann kann Eure Beziehung über den ersten Rausch des Verliebtseins hinaus Bestand haben.
Es stimmt nichts mehr in Eurer Beziehung? Habt Ihr schon einmal darüber nachgedacht, ob ihr es ertragen könntet, ohne diese Beziehung zu sein?
Die Beziehung wird als Fessel empfunden, die Schmerzgrenze ist erreicht, und ohne sie zu sein, ist beunruhigend?
Nun, vielleicht könnt ihr es schaffen, euch zurückzunehmen und die Beziehung ohne Zorn zu beenden, ohne dass ihr alle Verbindungen anreißen müsst?
Gemeinsam Erlebtes verschwindet nicht so einfach. Ihr müsst Euch nicht böse sein, wenn ihr Euch weiterentwickelt habt. Ein guter Ausstieg hinterlässt weniger Wunden als ein zorniges Ende. Das Ende einer Beziehung ist ein natürlicher Teil einer Beziehung. Man muss lernen mit Beziehungen umzugehen, natürlich auch mit ihrem Ende.
Es grüßt Euch
Euer OldGayMan