66. LUST, Juni/Juli 01
 
Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren,
was man schon vorher geahnt oder befürchtet Hatte: “Ich bin homosexuell”.
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
Hallo Gay Guys n´ Girls,
wenn wir angerufen werden, wenn wir in Briefen angeschrieben werden, dann geht es den SchreiberInnen meistens um eine Frage: “Wo finde ich eine(n) Freund(in)?”. Tja, wie kann man das denn beantworten?
An die Eigenschaft “FreundIn” ist ja ein Verhalten geknüpft. Der/die andere soll uns gerne mögen. Er/sie soll uns in Gesprächen und in der Erotik anregen, soll beim Ausgehen was hermachen, soll so sein, dass man ihn/sie den FreundInnen vorstellen kann, vielleicht sogar den Eltern. Hinzu kommen noch unsere besonderen Ansprüche auf Alter, Körpergröße und Gewicht, Mode- und Musikgeschmack und andere Sachen. Wie sollen wir denn da helfen können?
Wir haben hier keine Kataloge, wo wir einen Menschen raussuchen können, den gerade du gerade jetzt brauchst. Oder wo man sich einen Menschen aus ganz bestimmten Baugruppen zusammensetzen kann. Und könnten wir das, würde der gerade dann dich mögen?
Die Frage, wo kann ich eine(n) Freund(in) finden, kann nur mit “Nirgends” beantwortet werden. Freunde und Freundinnen findet man nicht. Das geht nicht und das gibt es nicht. Aber Du kannst dort, wo sich Lesben und Schwule einfinden, den Einen oder die Andere ein bisschen näher kennen lernen. Dann sagst du dir, dieser Mensch sieht zwar riesig gut aus, aber die Art, wie er mit anderen umgeht, die gefällt mir deshalb nicht, weil ich nicht wollte, dass er/sie so mit mir umgehen würde.
Sage jetzt nicht, mit mir würde er/sie so etwas nicht machen, weil er/sie mich ja lieben würde. Das ist ein Irrtum. Eine Freundschaft hat auch weniger liebevolle Tage, und gerade an ihnen zeigt sich, was sie wert ist.
Oder Du denkst: so wie dieser Mensch mit der oder mit dem umgeht, so sollte er lieber mit mir umgehen. Ich würde das jedenfalls wollen. Tja, vielleicht würde er/sie das ja auch ganz gerne, aber wäre dir das dann auch wirklich recht?
Also, niemand kann dir erklären, wo du eine(n) Freund(in) findest. Freunde und Freundinnen sucht man nicht, findet man nicht. Sie entstehen. Wie? Eben wie Freundschaften entstehen, so! Man muss sich dort einfinden, wo man die Möglichkeit hat, sich gegenseitig auch noch wahrzunehmen, als Mensch sozusagen. Das geht da besser, wo man sich zum Gespräch trifft, zur Diskussion usw., wo man an gemeinsamen Zielen arbeitet. In der Super-Disco, wo Hunderte und Tausende rumhüpfen, hat man zwar das Gefühl, nicht alleine zu sein, aber wirklich jemanden näher kommen, das kann man dort nicht so gut.
Man muss selbst eine Freundin sein können, ein Freund, wenn man eine Freundschaft haben will. Und dazu gehört schon was. Wenn man es selbst kann, dann kann sich vielleicht ein Freundschaft aufbauen. Oder auch nicht. Es kann ja sein, dass der/die andere gar nicht freundschaftsfähig ist, oder freundschaftswillig. Und wie kann man sich darauf einstellen, selbst freundschaftsfähig zu sein?
Nun, man muss zum Beispiel an der Freude und Trauer des Anderen mitleben können. Kannst du das wirklich? Das bedeutet nämlich, dass man an dem ganzen Menschen, wie er ist, interessiert ist, ihn so achten kann oder gerade deshalb liebt, weil er so ist, wie er ist. Nein, sage nicht, den/die biege ich mir schon zurecht. Möchtest du denn von deinen dir lieb gewordenen Eigenschaften weggebogen werden?
Freundschaft bedeutet auch, dass man auch die Grenzen des Gemeinsamen akzeptieren kann. Zuerst einmal heißt es auf jeden Fall, sich ganz und gar auf einen anderen Menschen einzulassen. Willst du das wirklich? Willst du dich jetzt schon auf einen einzigen Menschen festlegen, bevor du all die anderen mit ihren Möglichkeiten kennen gelernt hast?
Oder suchst du vielleicht einen Freundeskreis, mit dem du zusammen sein kannst und in dem du hier und da auch Partner für einzelne Bedürfnisse findest: zum Ausgehen, zum Tratschen, zum Heulen, fürs Kino, fürs Bett ... Dann aber suchst Du gar keine(n) Freund(in), sondern einen Freundeskreis, um nicht alleine zu sein. Das ist etwas ganz anderes.
Und das findest du in den bestehenden Gruppen. Dort unterhält man sich miteinander, arbeitet an Projekten, hat gemeinsame Freude und gemeinsamen Ärger. Du lernst dort natürlich auch Menschen kennen, die dir auf dem ersten Blick nie als FreundIn in den Sinn gekommen wären, und doch fühlst du dich mit ihnen vielleicht freundschaftlich verbunden. Wer weiß, was da alles noch daraus werden kann. “Komm doch einfach mal her!”, ruft jede Gruppe dir zu.
Besser ist es natürlich, man findet eine Gruppe, die mehr tut, als Leute zu suchen. Denn diese Beschäftigung unterscheidet sich im Prinzip nicht von der vergeblichen Freundschaftssuche. Da ist dann Jede(r) gegen Jede(n) und es stellt sich nicht ein, das gemeinsamkeitsgefühl, bei dem man die Leute so, wie sie sind, näher kennenlernen kann. Das sind dann sich selbst vernichtende Vermittlungsbüros. Jeder will dort nur die beste Beute machen. Auf so etwas kann man verzichten.
Also: suche keine(n) Freund(in), sondern sei ein Freund. Dann bist Du auf dem besten Weg zur Lösung Deines Einsamkeits- und Alleinfühlproblems.
Wir wünschen Dir eine Gemeinschaft netter lesbischer und schwuler Menschen, in der Du Dich wohlfühlen kannst. Das ist das Beste. Das andere findet sich dann.
Deine
LesbGayGirl und OldGayMan