69. LUST, Winter 01/02
 
Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: “Ich bin homosexuell”.
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
Hallo gay Guys n´ Gils,
In den Gesprächen mit Lesben und Schwulen im Coming-out taucht doch recht oft das Thema „Religion” auf.
Es gibt doch eine Reihe junger aber auch älterer Coming-outlerInnen, die durchaus Schwierigkeiten haben, zu sich zu stehen, denn die religiösen Gebote, die sie bisher und oft lange vor ihrem Coming-out erlernt haben, lassen so manchen nun notwendigen Schritt nicht zu. Und was ist der notwendige Schritt? Nun, Martin Siems definiert das Coming-out als einen erreichten Zustand, bei dem trotz der antihomosexuellen Suggestion dieser Gesellschaft die eigene Homosexualität als liebenswert und etwas Wertvolles empfunden wird.
Sehr viel antihomosexuelle Suggestion wir religiös begründet. Und wenn man also positiv zur Homosexualität stehen will, also zur eigenen Sexualität, dann kann man nicht mehr daran glauben, dass dies eine Sünde sein soll, oder man glaubt weiterhin daran, dann kann man nicht positiv dazu stehen. Das ist doch klar. Oder? Und Dir ist doch wohl auch klar, dass wir der Meinung sind, dass man zu seiner ersehnten Sexualität durchaus positiv stehen kann und es auch sollte, ja, dass man sie auch durchaus lustvoll erleben sollte, und dass dies ein Recht eines Menschen ist, wenn er dazu PartnerInnen findet, die das ebenso selbst wollen. Aber das ist ja ohnehin die Voraussetzung für partnerschaftliche sexuelle Erlebnisse. Wir meinen nämlich, dass Du (wie jeder Mensch) in erster Linie selbst bestimmst, was für Dich angenehm ist und was mit deinem Körper geschieht. Und diese Meinung ermöglicht Dir das Selbstbestimmungsrecht über Dich selbst, Dein Coming-out, aber auch jedem anderen Menschen, zuzustimmen oder abzulehnen, wenn Du ihn für ein sexuelles Erlebnis einladen willst.
Die Grundlage des Coming-outs, das Selbstbestimmungsrecht über Deinen eigenen Körper, geht ganz allgemein von Körperfreundlichkeit aus. Diese kann aber eben mit Deinem Gewissen in Konflikt kommen, wenn man Dir vorher glauben machen konnte, dass z.B. Deine Begegnung mit den lustvollen Möglichkeiten Deines Körpers irgendwie nicht in Ordnung sei. Obwohl viele Leute gar nicht so religiös sind, wie sie behaupten, sind sie doch auch recht flink mit dem Verurteilen von Menschen, die zum Beispiel sich körperlich selbst entdecken. „Wichser” ist da ein übliches Schimpfwort. Man könnte hier getrost antworten: „Danke gleichfalls”, weil dies mit Sicherheit stimmt. Die Ideologie hinter dem Schimpfwort aber richtet sich gegen die körperliche Selbstbestimmung.
Wenn ein Mann oder eine Frau nicht positiv zum eigenen Körper stehen kann, wie soll der/die sich so mit dem Körper anderer Menschen beschäftigen können, dass diese das als positiv empfinden können? Sexualität hat in den meisten Religionen eine einzige Funktion, nämlich Nachwuchs zu zeugen. Alles sexuelle Lust, die dazu nicht dient, wird als Verfehlung angesehen. Der Schlüssel also dazu, selbst befriedigend und für andere befriedigend zu leben, ist die positive Einstellung zur körperlichen Lust.
Nun gehen die homosexuellen Menschen unterschiedlich damit um, die glauben, dass es ein solches über den Menschen stehendes Wesen gibt, und dass die Organisation (z.B. Kirche), die ihnen dies beigebracht hat, auch richtigen Schlüsse daraus zieht und die richtigen Vorschläge macht oder die richtigen Befehle (Gebote) erteilt.
1. Es gibt Lesben und Schwule, die sich ihre Religion ein bisschen anders auslegen, als sie ihnen bisher verkündet wurde, damit sie ein bisschen lesbisch oder schwul leben können. Sie meinen, diese Kirche irrt sich hier und da ein bisschen und sie sehen das richtiger. Im übrigen übernehmen sie dann die Verantwortung gegenüber dem Überwesen für ihre Entscheidung. Das bewirkt aber, dass ein sexuelles Erlebnis mit ihnen kaum was bringt. Sie sind nämlich dabei derart gehemmt, dass kaum was rüberkommt. Da macht man sichs doch besser selbst. Und weil sie derart viele innere Kämpfe mit sich selbst auszutragen haben, wollen sie ständig andere beraten und bevormunden, besonders natürlich junge Leute im Coming-out. Sie sind eine allgemeine Plage und einfach absolut schrecklich
2. Es gibt welche, die glauben, dass ihre ReligionsverkünderInnen schon recht haben, dass aber ihr böser Trieb oder die Verführung durch das Böse ihnen schon wieder mal einen Streich gespielt haben, wenn sie sich mit eine(m/r) PartnerIn des gleichen Geschlechts vergnügt haben. Und hinterher fühlen sie sich nicht gut, sondern sündig. Und dafür haben sie dann so ihre Methoden, nämlich Buße tun oder irgend etwas anderes. Mit denen kann Sex viel Spaß machen, denn wenn sie schon mal sündigen, dann machen sie es auch richtig.
3. Andere wieder finden, dass ihre Partnerin, ihr Partner in diesem süßen Spiel der eigentlich Sündige sei und nicht sie, denn er/sie habe sie raffiniert verführt, und sie reden in bösen Tönen über ihn, nach dem Orgasmus, wenn sich der Druck entladen hat. Mit denen kann es zwar Spaß machen, aber hinterher ist es blöd. Die wollen dann sofort weg und hinterlassen das Gefühl, dass es nicht gut war. Auf jeden Fall sind wir dann an allem schuld.
4. Solche von ihnen sind am Engagiertesten, die nicht nur ihrer ehemaligen Organisation den Rücken kehren, sondern auch nicht mehr daran glauben können, dass es ein solches Wesen geben kann, das uns alle ständig eifersüchtig überwachten und kontrollieren will und dennoch allmächtig und allwissend sei. Diese richten sich überlegt ihr Leben ein und sind gute und faire PartnerInnen.
Warum wir Euch in dieser etwas lockeren Art mit dem Thema Religion ansprechen? Wir nehmen an, dass Ihr auch an Weihnachten die vielen Familienverpflichtungen überstehen musstet, die Fragen danach, ob man nicht bald mal heirate usw. Und es geht da doch auch um höhere Werte als nur das Körperliche. Oder?
Ja, so soll das gesehen werden. Aber, genau genommen sind die höheren Werte das, was man in der Gersellschaft gelernt hat, und was der Körper Dir signalisiert, das bist Du. Wir haben es im Zusammenhang mit unserer Erziehung gelernt, alles unter einen höheren Zweck zu stellen. Wir wollen Dir damit auch nicht sagen, dass die höheren Zwecke alle Blödsinn, Fremdbestimmungen und schlecht für Dich sind. Aber es ist nun mal so, dass man auf eigene Bedürfnisse verzichtet, sie zurückdrängt, und zwar zugunsten von angeblich Höherem. Oft ist es wohl auch Höheres, aber oben in der Gesellschaft sind die, die davon profitieren, dass wir selbst z.B. unsere eigenen Körper disziplinieren und längerfristig ihnen das in ihre Kasse klingelt.
Morgens im Bett, da möchte man vielleicht noch ein bisschen bleiben usw. Das zumindest signalisiert uns unser Körper. Dennoch stehen wir auf, weil wir zur Schule oder Arbeit wollen. Wollen? Naja, wir müssen es halt und wir sehen ja auch ein, dass das so sein muss. Dennoch, was der Körper signalisiert ist das, was wir wirklich nun wollen. Und so ist das auch mit der Sexualität. Klar?
Viele Grüße und ein bisschen Mut, wenns um eigene Gedanken geht, wünschen Euch
LesbGayGirl und OldGayMan