73. LUST, Winter 02/03
Statt eines Jahresrückblickes:
Arbeitslosigkeit und Arbeitsbelastung
Wir haben über 4 Millionen arbeitslose Arbeitssuchende,
sicherlich noch einmal 2 bis 3 Millionen Arbeitsfähige ohne
Erwerbsarbeit, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in
der Statistik auftauchen. Unternehmen entlassen massenhaft Arbeitnehmer,
machen dennoch höhere Umsätze beziehungsweise Gewinne.
Hinzu kommt, dass sich die Einkommen aus Erwerbsarbeit im Vergleich
zu den Preisen für Lebensmittel, Mieten usw. in den letzten
15 Jahren deutlich verschlechtert haben. Von allen Einkommen eines
Jahres hat sich das Verhältnis zwischen Erwerbsarbeit und
Kapitalerwerb in den letzten 13 Jahren deutlich verschoben. War
dieses Verhältnis 1990 75% Einnahmen durch Erwerbsarbeit
zu 25% Einnahmen aus dem Kapitalerwerb, so waren im Jahr 2002
knapp 60% aller Einnahmen aus der Erwerbsarbeit zu erzielen, mehr
als 40% aus Kapitalvermögen.
Die Arbeitslosigkeit steigt ununterbrochen, statt abzunehmen,
und dies nicht erst seit der rotgrünen Regierungszeit, sondern
weit mehr noch aus der schwarzgelben Zeit, also unabhängig
von der Regierung. Das sind interne Prozesse der Wirtschaft und
von den Regierungen genau so stark zu beeinflussen wie die Wetterverhältnisse.
Es geht derzeit bei dem Abbau der Arbeitsplätze hier auch
nicht in erster Linie um die Rationalisierung in Form von Maschineneinsatz,
der Arbeitsplätze überflüssig werden lässt,
sondern im wesentlichen um die Verdichtung der Arbeit in den bezahlten
Arbeitsverhältnissen. Aufschluss gibt da ein Artikel den
man am 21.10.02 in der Frankfurter Rundschau lesen konnte:
Arbeitsbelastung in Büros um ein Drittel angewachsen
HANNOVER; 20. Oktober (dpa). Die Arbeitsbelastung in Deutschlands
Büros ist nach Expertenansicht in den vergangenen 15 Jahren
um rund ein Drittel gewachsen. Die Unternehmen haben vielfach
ihre schwächeren Angestellten entlasse. Die Stärkeren
nehmen deren Arbeit willig auf und schaffen es auch, das auszugleichen,
sagte der Abteilung klinische Psychiatrie und Psychotherapie an
der medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Professor Hinderk
Emrich, der dpa. Die Gesunden dürfen immer mehr machen.
Die Kranken werden bei dieser Entmischung ausgesondert.
Hintergründe seien die Angst vor Jobverlust und die Verbreitung
amerikanischer Arbeitsmuster mit Teambildung und flexiblen Arbeitszeiten.
(...)
Was mit den Menschen geschieht, die aufgrund der Tatsache,
dass sie aus den Betrieben gemobbt wurden oder anders entlassen
wurden, interessiert natürlich die Unternehmensleiter genau
so wenig wie die im Hintergrund wirkenden Großaktionären
und anderen Kapitaleigner. Psychische und körperliche Erkrankungen
nehmen zu, die Sozialversicherungen haben nicht nur weniger Einzahler,
sondern auch höhere Ausgaben.
Die Regierungen versuchen fieberhaft, sich von den Kosten der
Sozialversicherungen abzugrenzen und abzusetzen.
Sie fühlen sich zunehmend dafür nicht mehr verantwortlich,
weil sie es schlicht nicht mehr können. Schließlich
haben sie ja die Vermögenssteuer abgeschafft und die Besteuerung
der höheren Einkommen reduziert. Damit ist aber die wirtschaftliche
Belastung der Arbeitnehmer, die von Erwerbsarbeit leben, weiter
gestiegen. Es handelt sich also um eine Umschichtung von Vermögen
auf Kosten der Lohn- und Gehaltsempfänger. (js)