74. LUST, Frühling 03, März/April/Mai
 
Ein Briefwechsel unter dem Zeichen der Zeit
Auf dem E-Mail-Empfänger erhielten wir u.a. die folgende Anfrage, die uns etwas in Erstaunen versetzte.
Wie Ihr seht, haben wir in dieser Veröffentlichung die Namen unkenntlich gemacht, denn man kann ja nicht wissen, ob denen die Veröffentlichung ihres Namens recht wäre.
 
Der Brief an uns
 
Hallo,
wir sind eine Gruppe von vier Studenten am IMK Wiesbaden, die eine Werbekonzeption für ein Unternehmen ausarbeiten. Eine Zielgruppe sind Schwule und Lesben. Wir benötigen dringend demographische Daten für Deutschland. Haben Sie Kenntnisse über:
- Anzahl der Schwulen in Deutschland
- Anzahl der Lesben in Deutschland
(bitte immer getrennt angeben)
- Anzahl der Schwulen im Rhein-Main-Gebiet
- Anzahl der Lesben im Rhein-Main-Gebiet
- Wieviel Prozent der Schwulen sind gesetzlich verheiratet
- Wieviel Prozent der Lesben sind gesetzlich verheiratet
- Einkommensstruktur der Schwulen
- Einkommensstruktur der Lesben
Sollten Fragen auftreten, können Sie gerne XXXX XXXX unter XXXX/XXXX anrufen. Wenn Sie Tipps haben, wo weitere seriöse Informationen über Schwule und Lesben abrufbar sind, wären wir für entsprechende Links oder Adressen dankbar.
Herzliche Grüße und vielen Dank im voraus
XXXX XXX, XXX XXXX, XXXX XXXX, XXXX XXXXX
IMK Wiesbaden
 
Unsere Reaktion darauf
Wir haben in unserer Freitagsgruppe über diesen Brief diskutiert und waren uns bald darüber im Klaren, dass man solch eine Anfrage nicht beantworten kann, denn kein Mensch kann solche Fragen beantworten. Andererseits wollten wir den jungen Studenten von der IMK(?) das auch mitteilen, denn von StudentInnen kann man ja erwarten, dass sie ein bisschen darüber nachdenken, was sie uns da eigentlich fragen.
Also wurde Joachim ausgeguckt, einen sachlich gehaltenen Antwortbrief zu formulieren, der von der Gruppe begutachtetet wurde und dann so weggemailt werden sollte.
Zuvor fanden wir aber noch im Internet heraus, was das denn für eine Schule ist, von der aus uns die StudentInnen angemailt hatten, denn als Wiesbadener EinwohnerInnen war niemanden von uns diese Bildungseinrichtung bekannt.
Wir fanden folgende Information: Privates Institut für Marketing und Kommunikation, Wuth´sche Brauerei. Ausbildung Werbekaufmann; Aufbaustudium Marketing-Kommunikationswirt; Dauer 2 Jahre bzw. 1,5 Jahre; Abschluss: staatlich anerkannter Abschluss; IHK-Prüfung.
Also handelt es sich hier wohl um eine kaufmännische Lehre mit IHK-Prüfung und eine Art Erweiterung durch eine Berufsfachschule.
 
Unsere Antwort lautete:
 
Hallo,
das ist wirklich ein seltsames Ansinnen. Denn erstens lässt sich ja nicht genau definieren, was eine Lesbe und was ein Schwuler ist. Wie oft muss jemand mit dem gleichen Geschlecht im Bett gewesen sein? Wie muss er/sich dabei gefühlt haben? Steht er/sie hinterher noch dazu oder schämt er/sie sich darüber, weil er/sie erzogen wurde, dies als Sauerei anzusehen?
Es kann keine seriöse Schätzung darüber geben, wie groß der Anteil der Männer und Frauen ist, die gelegentlich, oft oder ausschließlich homosexuell verkehren, weil es kein Zählstelle gibt, wo man sich melden muss, wenn man das bei sich wahrnimmt. Wenn jemand behauptet, genaue Angaben zu haben, kann er nicht mehr den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben. Außerdem, wenn man homosexuelle Neigungen verspürt, dann ist man vielleicht Szene-Gänger oder man taucht nie in der Szene auf.
Es gibt Leute, die versuchen mit behaupteten großen Zahlen an öffentliche Gelder zu kommen oder ihre Bedeutung von sich und ihrer Organisation aufzuwerten. Dann gibt es wieder andere, zum Beispiel aus klerikalen Kreisen, die „das Problem Homosexualität“, wie sie meinen, klein reden wollen.
Was es gibt, ist eine Szene, in der sich recht unterschiedliche Menschen tummeln, auch viele heterosexuell eingeschränkte Menschen (wir gehen von der Bisexualität des Menschen aus), die einfach, weil was los ist, dort auftauchen. Das haben wir bei Umfragen auf Gay-Festivals ermitteln können. Die Szene ist zu großen Events wie dem CSD alleine schon deshalb groß, weil viele FestivalbesucherInnen gerne von Stadt zu Stadt reisen und überall auftauchen. Der Rest des Jahres ist da eher kleiner. Da die Szene immer dort auftaucht, wo etwas im Trend ist, ist die dort geschätzte Anzahl der Leute viel zu unstabil, um Aussagen machen zu können.
Es ist Mode geworden, besonders von homosexuellen Wirtschaftleuten, damit in der Öffentlichkeit aufzutreten, dass Lesben und Schwule eine größere Kaufkraft hätten als Heten. Aber ein schwuler Friseur verdient nicht mehr als sein hetiger Kollege. Solche Aussagen lassen sich also auch nicht treffen. Man kann nur schätzen, dass Singles eben mehr Geld für Mode und Fitness-Ausgaben als Familien-Menschen.
Es ist schon gar nicht möglich, anzugeben, wie groß der Anteil von lesbischen und schwulen Lebensgemeinschaften, die sich verpartnern lassen, an der Gesamtzahl lesbischer und schwuler Parnerschaften ist. Vielleicht gibt es bei den Standesämtern oder anderen Stellen Statistiken darüber, wie viel Menschen sich überhaupt verpartnert haben. Aber das kann man ja nicht in Relation mit einer Gesamtzahl aller Schwulen und Lesben setzen, weil es keine solche Gesamtzahl geben kann.
Tut uns leid, dass wir Euch nicht einen Teil Eurer Arbeit abnehmen konnten. So wie Ihr Euch das denkt, geht es jedenfalls überhaupt nicht.
(Wenns bei Euch ein paar hübsche Lesben und Schwule geben sollten, würden wir uns Freuen, wenn sie bei uns mitmachen würden.) Aber im Ernst, niemand bei uns weiß, wie man Euch real helfen könnte.
Schaut mal in http://www.lust-zeitschrift.de rein, falls Ihr wirklich an uns Meschen interessiert seid und holt Euch Eure Statistik bei Leuten, die behaupten, sie wüssten da was. Es kann sie seriös nicht geben, meinen wir, aber man kann ja einfach was behaupten.
Seid gegrüßt
für die ROSA LÜSTE
Joachim
 
Da keine weitere Antwort kam, hatten wir die Angelegenheit dann bald vergessen. Aber offensichtlich müssen sich die jungen Damen und Herren über unsere Antwort geärgert haben, denn die nachfolgende Reaktion zeigt wohl an, dass sie sich nicht über ihre Fragen ein bisschen geschämt haben (denn sie sind ja, genau genommen, recht dumm), sondern dass sie es wohl als Unverschämtheit ansehen, dass wir sie nicht beantwortet haben. Auf jeden Fall haben sie wohl aus dem Brief an sie nichts gelernt. Natürlich hatten wir es vermieden, wie Ihr seht, ihnen ihre Dummheit vorzuhalten.
 
Es kann tatsächlich noch dümmer kommen:
 
Hallo Joachim,
mit verwundern habe ich Deine E-Mail an Bekannte von mir gelesen. Nun muss ich Dich fragen, ob Du einen Schuss hast, oder besser gefragt, bist Du unbefriedigt?
Ich beziehe mich auf eine Mail vom 18.01.03, die Dir Studenten geschickt haben und n der Ihr, die Rosa Lüste, gefragt wurdet, ob bei Euch irgendwelche demographische Daten über Schwule und Lesben herumliegen, die vier Studenten für ein Werbekonzept brauchen.
Es kann, und dass meine ich als Schwuler sein, wohl nicht sein, dass man(n)? so Menschen behandelt, wie DU es getan hast. Überlege mal - Wenn Dich jemand so behandelt, reagierst auch Du allergisch bzw. reagieren Schwule, und auch ich bin einer, als würde man sie, wie es Früher war, beschimpfen.
Denke, dass Du bei der Befreiung vergessen wurdest. Warum auch! Bist halt eben NUR schwul ….
Für die Zukunft sollest Du bei Anfragen jegwelcher Art bzgl. dem Thema Schwul und Daten anders reagieren, denn es ist doch schön zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die sich für DICH bzw. auch für mich interessieren.
Solltest Du nun auch mit dieser Mail ein Problem haben, rate ich Dir gehe zum Psychiater und rede mit dem, denn der bekommt dafür Geld. Sogar auf Rezept.
Einen ganz lieben Gruß aus Mainz
XXXXX
 
Tja, was kann man dazu sagen? Kann denn dieser Mensch aus Mainz ernsthaft einer Aussage in unserer Antwort widersprechen? Hat er andere Informationen?
Was also stört ihn an unserer Antwort eigentlich? Das ist nicht aus seinen Äußerungen zu erkennen. Vielleicht hätten wir ja versucht, in einem Dialog mit ihm zu klären, was er denn eigentlich will.
Der anzügliche und anmaßende Tonfall seines Schreibens aber machte es uns als Gruppe unmöglich, auf ihn einzugehen. So lassen wir mit niemanden aus unserer Gruppe umgehen, zumal an seinem/unserem Schreiben wirklich gar nichts zu kritisieren gibt.
(ROSA LÜSTE)