78. LUST, Frühling 04

Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“.
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.

heute geht es mal um ein wichtiges Thema, um das sich viele Lesben und Schwule Gedanken machen, und nicht nur die. Wir schreiben Euch dieses Mal einen Beitrag

Über das Aussehen
seit zugegeben wurde, dass Frauen auch nach der Schönheit von Männern schauen, interessanterweise hauptsächlich auf den Männerarsch, kann man nicht mehr behaupten, dass nur Frauen gut auszusehen haben, bei Männern genüge die gefüllte Brieftasche. Aber bei uns, von Frau zu Frau und von Mann zu Mann, gibt es da einen speziellen Blick, der sich von den der Männer auf Frauen und dem von Frauen auf Männer unterscheidet? Aber wir sind ja als Frau mit unserer lesbischen Frauenrolle nicht die Ergänzung eines Mannes und bräuchten daher die Frauenrolle gar nicht in dieser Form zu erfüllen. Und als Mann sind wir ja nicht die Ergänzung einer Frau und bräuchten deshalb diese Männerrolle auch nicht zu erfüllen. Im Gegenteil, da unser Gegenüber das gleiche Geschlecht hat, ist das Erfüllen der gesellschaftlich anerkannten Geschlechterrolle im Beziehungsalltag sogar hinderlich und schädlich. Nur beim Kennen lernen benötigen wir teilweise diese angepassten Verhaltensweisen und körperlichen Merkmale. Und was sagen uns bestimmte körperliche Merkmale über das Verhalten eines Menschen? Gibt es da Zusammenhänge?

Hi Gay Girl,
du willst dich also für die Szene “schön” machen, um dort bei anderen Frauen gut anzukommen? Was ist denn nun schön? Also in der Szene kommen angeblich die schlanken Frauen besonders an, denn viele lesbische Frauen versuchen, schlank zu sein. Ist das wirklich so, dass in der Szene schlanke Frauen besonders gut ankommen oder übertragen wir hier nur die Mode, die für Männerblicke gemacht wurde auf unsere Szene?
Ja, wir übertragen diese Modeauffassungen aus der offiziellen Welt, die ja im wesentlichen hetig ist, denn in allen Medienbereichen wird das, was man dort für schön hält, auch schön dargestellt. Und was man dort für weniger schön hält, wird dann auch weniger schön dargestellt.
Das hat aber gar nichts mit dem Männerblick auf Frauen zu tun, sondern mit Arbeitsplätzen. Von den Fitnessstudios bis hin zu den Modedesignern leben viele kleine und größere Betriebe von dem Wunsch der Frauen, schlank zu sein. Dieses Schlankheits-Leitbild wird also angestrebt und damit verdienen viele Leute Geld. Auch in Fragen der Frisur ist das so. Natürlich kommen solche Frisuren besonders gut an, die viel kosten. Und auch bei den Klamotten ist das so. Solche Klamotten, mit denen frau besonders gut ankommt, die kosten auch viel Geld. Tja, und dann ist frau schön. Oder?
Mit dem Outfit demonstriert frau natürlich auch eine Rolle. Mag sie das kleine verspielte Hascherl sei, das alle herben Frauen gerne erjagen möchten, ob eingestanden oder auch nicht, dann muss frau eben im Outfit wie im Verhalten auch das Hascherl spielen. Also, frau ist verspielt und das zeigt sich eben auch im Outfit. Solche Verspieltheiten, die auch bei Männern gut ankommen, werden als sensibel-launig, gefühlvoll-feminin, humorvoll-spontan erwartet. Also entspricht diese Rolle eher der femininen Kindfrau. Die gespielte Kindchenrolle hat eine große Nähe mit der gespielten Frauenrolle. Also darfst du auch kaum strenge, selbstbewusste Züge zeigen. Das Verhalten, deine Blicke usw. sind in diesem Spiel aber wichtiger als das Outfit. Wenn du dich durchsetzen willst, muss das mit den sogenannten weiblichen Reizen und Methoden geschehen. Besser frage, ob du das oder das darfst, und die herbe Frau kann dann kaum noch nein sagen. Und schon hast du das erreichst, was du wolltest. Dies entspricht im Verhalten voll und ganz dem Filmdummchen, auf das die Männer in den Spielfilmen so fliegen.
Das Verhalten und das Aussehen muss übereinstimmen. Also ist Dein Outfit auch etwas verspielter. Aber nicht so wie die Sexmiezen in den Filmen, denn das fällt frau ja auf. Also zum Beispiel eine strengere Frisur und dort ein andersfarbiges Strähnchen rein, das auffallend keck wirkt. Auch bei den Klamotten kann das so sein. Der gekonnte Gegensatz macht es hier. In deine Bewegungen kannst du ruhig ein bisschen etwas Fließendes bringen, vielleicht auch bisweilen ein bisschen etwas Hilfloses, das schwill jeder herben Frau der Kamm, wenn sie dir helfen kann. Aber auch das darf nicht so übertrieben sein, denn frau möchte natürlich gar nicht erkennen und vor sich zugeben, dass sie auf das gleiche reinfällt wie der Macho-Mann. Du musst natürlich in der Öffentlichkeit der Szene mit deiner demnächst-Freundin ein durchaus partnerschaftliches Bild abgeben können, denn die will sich ja auch in der Szene nicht dafür schämen müssen, dass sie ein Dummchen zur Freundin hat.
Aber vielleicht bist du ja nun eher der herbe Typ Frau. Du bist als Kind zum Dummchen erzogen worden und hast dich durchaus von dieser Rolle aus eine Zeitlang um Männer bemüht, vor deinem Coming-out. Aber mit den Männern willst du diese Rolle los werden. Du weißt selbst, wo es lang geht, und du willst deshalb nicht einen Möchtegernvormund durch eine Möchtegernvormündin oder gar ein Möchtegernvormündchen austauschen. Du willst nun die wahre gleichberechtigte Partnerinnenschaft mit einer Frau, die nicht mit dir rivalisieren will und genau weiß, wie weit sie bei dir gehen kann, ohne dir auf die Nerven zu fallen. Das muss sich auch in deinem Outfit zeigen, in deinen Umgangsformen, in der Art, wie du schaust und dich bewegst. Schließlich soll deine zukünftige Partnerin in der Szene das auch erkennen können, wer und wie du bist.
Um das zu erreichen, musst du Entschlossenheit und Gradlinigkeit zeigen. Deine Frisur, deine Kleidung, deine Umgangsformen zeigen keine Verspieltheit. Allerdings musst du dich von den real existierende Männern schon noch unterscheiden, denn ein Frau, die dich sucht, sucht ja eine Frau und keinen Mann. Sie sucht kein Frauchen, sondern eine kraftvolle entschlossene Frau, die sie in ihren Bedürfnissen ernst nimmt und in der Lage ist, ihre Sehnsüchte und Wünsch zu befriedigen, bevor sie ausgesprochen wurden.
So ist also das Spiel in unserer Szene. Wie gesagt, es ist deshalb so, weil alle Frauen in der Gesellschaft das Rollenverhalten, das sich zwischen Männern und Frauen entwickelt hat, für normal hält. Zwar sind wir unter Frauen, aber wir wollen ja deshalb nicht als unnormal gelten. Oder?
Freilich, wenn wir anders leben wollen, müssen wir mit Ablehnung gerade aus unserer eigenen Szene rechnen. Deshalb versucht frau lieber das Andersleben mit der eigenen Freundin und nicht zu dem Zeitpunkt, wo du auf Partnerinnensuche bist.

Hi Gay Guy,
Du bist nun also neu in der Szene und willst dich angemessen kleiden und verhalten, damit du auch ankommen kannst. Du willst als “gut” aussehen. Aber was ist denn “gut” in der Szene? Ich verrate es Dir. Es ist das gleiche, was für “gut” in der Gesellschaft gehalten wird. Allerdings ist ja auch zu berücksichtigen, dass ein scharfer junger Kerl der nach einem eher männlichen Mann schaut, in der Heten-Gesellschaft nicht vorgesehen ist, und Frauen, die so auf Männer zugehen, werden dort als Schlampe oder Nutte bezeichnet.
Und in der Gesellschaft wird ein Mann als drahtiger Kerl dargestellt, der auch dort seinen Mann steht und sich keine Gefühle anmerken lässt. Übertragen wir denn dieses Verhalten in die Umgangsformen unserer Szene?
Ja, wir übertragen diese Modeauffassungen aus der offiziellen Welt, die ja im wesentlichen hetig ist, denn in allen Medienbereichen wird das, was man dort für gut hält, auch gut dargestellt. Und was man dort für weniger gut hält, beispielsweise sogenanntes unmännliches Verhalten und Outfit, wird dann auch als weniger gut dargestellt.
Das hat aber gar nichts mit dem Männerblick auf Frauen zu tun, sondern mit Arbeitsplätzen. Von den Fitnessstudios bis hin zu den Modedesignern leben viele kleine und größere Betriebe von dem Wunsch der gutaussehenden Männer, schlank zu sein. Dieses Schlankheits-Leitbild wird also angestrebt und damit verdienen viele Leute Geld. Auch in Fragen der Frisur ist das so. Natürlich kommen solche Frisuren besonders gut an, die viel kosten. Und auch bei den Klamotten ist das so. Solche Klamotten, mit denen man besonders gut ankommt, die kosten auch viel Geld. Tja, und dann ist man gut und wirkt auf andere Männer. Oder?
Nehmen wir also an, dass du dich nach einem kraftvollen Mann mit einem großen Schwanz sehnst, der den für Dich stehen lässt und dich sexuell ordentlich rannimmst, so dass dir Hören und Sehen vergeht, der dir aber auch eine starke Schulter zum Anlehnen bietet. Oder du suchst einen haarigen Mann, oder einen Mann mit großer Körperfülle, auf jeden Fall aber nach einem, der dir durchaus männlich und daher erotisch erscheint. Wie soll ein solcher Mann erkennen, dass gerade du der richtige für ihn bist?
Du musst eine gewisse Jungenhaftigkeit ausstrahlen, eine Mischung von Lausbub und durchaus selbstbewussten jung wirkenden Mann. Das musst du in der Kleidung, in der Frisur und auch im Verhalten demonstrieren. Um auf einen Mannmann erotisch wirken zu können, muss von dir ein gewisser Schwung ausgehen, der in der Hetengesellschaft als feminin empfunden wird. Aber du darfst natürlich nicht zu aufdringlich hetig-weiblich sein, denn der Mann such zwar schon die feminine Ergänzung, aber das ist ihm nicht so sehr bewusst, denn er sucht ja einen jungen Mann. Das Wesen eines jungen Mannes ist aber, dass er viel charmante Verhaltenseisen an sich hat, die allgemein als feminin angesehen werden. Da in unsrer männerdominierten Hetengesellschaft Sexualität und Erotik bei den Frauen gesucht werden, ist die erotische Ausstrahlung eben mit femininen Verhaltensweisen verknüpft. Die Faszination am bzw. Hinwendung zum Knaben, der gerade seine Pubertät bewältigt hat oder noch in ihr steckt, hat etwas mit dem Mann-Frau-Dualismus der Hetengesellschaft zu tun, denn der Knabe spielt dabei die Frau.
Also, nun weißt du bescheid, welchem Bild du nahe kommen musst, wenn du auf herben Männern stehst und dort erfolgreich sein willst. Wenn du dich aber zu deutlich weiblich verhältst, wird sich der Mann in der Öffentlichkeit mit dir schämen, weil seine Homosexualität zu deutlich offenbar ist. Außerdem ist er in der Auffassung gefangen, dass du ein partnerschaftlicher Partner für ihn bist, der genau spürt, was er so will. Das ist zwar die heterosexuelle Frauenrolle, doch wird er es darauf schieben, dass die Beziehung eben harmonisch ist. Und als harmonisch empfindet er eine Beziehung, wenn sie ihn glücklich macht. Wenn du älter bist und weniger Männer nach dir schauen, dann teilst du das Schicksal vieler Frauen, die von den Mannmännern kaum mehr Beachtung finden. Aber dann verfalle nicht in den Fehler, dich immer deutlicher lasziv und weiblich zu geben, denn dann kann es passieren, dass man dich als offensichtliche alte Tunte ablehnt. Was man bei jungen Schwulen noch charmant findet, findet man bei älteren Schwulen nicht mehr passend. Denn wir leben nicht nur in dem Rollenspiel zwischen Mann und Frau, sonder auch noch in einem Rollenspiel zwischen jung und alt. Vielleicht solltest du dir die Verhaltensweise älterer und würdevoller sowie angesehener Frauen genauer anschauen und überlegen, was davon du übernehmen willst.
Da es bei mannmännlichen Verbindungen immer gleich auch um Mannmännlichen Sex geht, wollen so manche Mannmänner auch beim sexuellen Spiel dich als Frau benutzen, ohne es direkt zu wissen. Das bedeutet, dass sie sich von dir ungern bumsen lassen, aber dich bumsen wollen, und dass sie beim Blasen sich lieber bedienen lassen statt selbst was tun zu wollen. Wenn das bei dir auf Gegenliebe stößt ist ja nichts dagegen zu sagen. Aber meistens ist es ja schon so, dass du ihn auch mal bumsen willst und es auch ganz gerne hast, wenn er bei dir bläst. In einer Beziehung dann gehen Mannmänner schon gerne auch darauf ein, doch beim Kennen lernen musst du mit der Erfüllung dieser Rollenbilder rechnen.
Nehmen wir aber an, dass du als schwulen Mann überhaupt nichts Feminines an dir hast und einen Partner suchst, der sich mit dir ergänzt. Wie soll ein solcher Mensch der Szene eigentlich erkennen, dass du für ihn der richtige wärst? Du stehst ohnehin dann für die Mehrheit der Schwulen, denn schwule Männer sind ja im wesentlichen durch die Gesellschaft zu Männern gemacht worden. Und die, auf die du stehst, sind dann für dich seltener zu finden, denn da gibt es nicht so viele, die den Mut und die Kraft haben, dort aus der Reihe zu tanzen. Mut und Kraft ist aber nötig, denn die Gesellschaft sanktioniert ja ein Männerverhalten, das nicht der Männerrolle entspricht. Und ein bisschen muss er ja schon aus der Reihe tanzen, damit er sich mit dir ergänzen kann.
Du darfst aber auch nicht unbedingt mit den Heten verwechselt werden. Deshalb orientiere dich bei deinem eigenen Verhalten, deiner eigenen Mode und Frisur durchaus an den Heten, trage aber mutig irgendein Erkennungszeichen an dir, zum Beispiel den Ring im rechten Ohr oder irgend einen Regenbogenschmuck. Früher gab es noch das Lambda (griechischer Buchstabe, Symbol für die Formel der Frequenzberechnung) als Symbol für Männer, die die gleiche Frequenz erkennen lassen wollen. Es gibt aber eine Organisation, die in Zusammenhang mit staatlichen Stellen jugendliche Lesben und Schwule dazu erziehen will, auf Dauer ausgerichtete altersgleiche und eheähnliche Beziehungen zu führen. Und diese Organisation benutzt nun das Lambda für sich, sodass viele Schwule, die sich eben nicht heterosexualisieren lassen, sich mit diesem Zeichen nicht mehr identifizieren können.
Diese Schwulen, die für dich als Ergänzung infrage kommen, sind sich allerdings ihres Wertes durchaus bewusst. Sie erwarten, dass du ihnen ständig deine besondere Zuneigung zeigst. Sie sind verwöhnt, legen oft ein Divenhaftes Wesen an den Tag, und da sie im Gegensatz zu Frauen nicht durch Kinder an die Beziehung gefesselt werden, ist mit einer Stabilität in der Beziehung nicht so sehr zu rechnen. Du kannst aber gegensteuern, indem du dich selbst schrittweise ein bisschen änderst. Sei doch selbst immer mal etwas lausbubenhaft und auch ein bisschen femininer. Das gibt deinem Partner die Möglichkeit, auch noch ein guter Kumpel für dich zu werden.

Also Gay Guys ´n Girls,
wenn wir uns heterosexualisieren lassen, wenn wir die Verhaltensweisen und Ausdrucksformen, die in der Gesellschaft für Frauen und Männer als selbstverständlich angesehen werden, übernehmen, klappen unsere Beziehungen nicht.
Zum lesbisch und schwul sein gehört mehr, als dass sich eine Lesbe eine Freundin und ein Schwuler einen Freund sucht. Wir müssen nicht nur die sexuelle Zuordnung infrage stellen, aber das tut ja jede Lesbe im Coming-out und jeder Schwule. Sondern wir müssen auch das Geschlechtsrollenverhalten infrage stellen, denn bei uns ergänzen sich weibliches und männliches Verhalten nicht in einer Beziehungsharmonie, weil wir eben keine Heten sind. Wir sind beides Frauen und beides Männer, falls es um eine Zweierbeziehung geht, die ja auch nicht “naturgegeben”, sondern als Modell von den Heten abgeschaut ist.
Zum Kennen lernen eignen sich diese Verhaltensweisen freilich schon, weil die Menschen in dieser Gesellschaft eben erst einmal nur leben wollen und nicht so sehr über all das nachdenken, was wir hier beschreiben. Aber wenn wir dann in einem Freundschaftsnetz leben (was die üblichen Beziehungsmodelle für Lesben und Schwule sind, die nicht heterosexualisiert sind), dann können wir dort in aller Freundschaft besser ausprobieren, welches Rollenverhalten für uns am angemessensten ist.
Über die Beziehungsnetze werden wir in einer der nächsten LUST-Ausgaben zu Euch schreiben, sofern uns nichts Wichtiges dazwischenkommt, auf das wir reagieren müssen.
Es grüßen Euch
LesbGayGirl und OldGayMan