79. LUST, Sommer 04

Das neue Sozialhilferecht
Bei der Beurteilung des alten und des neuen Sozialhilferechts muss man
zwischen Lebenspartnern einerseits und Lebensgefährten andererseits unterscheiden. Den Begriff „Lebensgefährte“ verwendet der Gesetzgeber für Menschen, die in einer gleich- oder in einer verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft leben und nicht verpartnert bzw. verheiratet sind. Die Lebensgemeinschaft verschiedengeschlechtlicher Menschen, die nicht
verheiratet sind, wird als „eheähnlich“ bezeichnet. Eine genauere Analyse des neuen Sozialrechts (Sozialgesetzbuch II und XII), das am 01.01.2005 in Kraft treten wird, hat ergeben, dass sich die Situation hilfebedürftiger zusammenwohnender gleichgeschlechtlicher Lebensgefährten doch nicht verschlechtern wird. Gegenteilige frühere Äußerungen von mir treffen nicht zu.
Ab dem 01.01.2005 werden die bisherige Arbeitslosen- und die Sozialhilfe
“zusammengelegt“ und ersetzt durch:
- die Grundsicherung für Arbeitssuchende. Sie wird für erwerbsfähige Hilfebedürftigen ab 15 bis 65 Jahre geleistet. Der Hilfebedürftige selbst erhält „Arbeitslosengeld II“, seine nicht erwerbsfähigen Angehörigen erhalten „Sozialgeld“.
- die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Sie wird für Hilfebedürftige ab 65 Jahre und für voll erwerbsgeminderte Hilfebedürftige ab dem Alter von 18 Jahren geleistet.
Bei beiden Grundsicherungsformen werden Lebenspartner und eheähnliche Paare wie Ehegatten behandelt, das heißt ihr Einkommen und Vermögen wird bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers mit berücksichtigt und zwar unabhängig davon, ob er von seinem Partner tatsächlich Unterstützungsleistungen erhält oder nicht. Das stand zwar für Lebenspartner bisher so nicht im Gesetz, wird aber praktisch schon jetzt so gehandhabt, weil sich Lebenspartner realisierbare Unterhaltsansprüche gegen ihre Partner anrechnen lassen müssen.
Das Einkommen und Vermögen von gleichgeschlechtlichen zusammenwohnenden Lebensgefährten darf dagegen wie bisher bei den beiden Grundsicherungsformen nicht mit berücksichtigt werden, weil auch die neuen Gesetze gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht mit Ehegatten gleichgestellt haben. Es wird auch nicht vermutet, dass zusammenwohnende Hilfebedürftige von ihren gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten unterstützt werden.
Die Vermutung der Bedarfsdeckung bei zusammenwohnenden Personen (§ 36 SGB XII) gilt für die beiden Grundsicherungsformen nicht. Sie gilt nur für die Hilfe zum Lebensunterhalt (s. unten). Bei gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten dürfen daher nur tatsächliche Zahlungen angerechnet werden. Deshalb sollten zusammenwohnende gleichgeschlechtliche Lebensgefährten ineiner schriftlichen Vereinbarung festlegen, in welcher Höhe jeder von ihnen Beiträge zu den Kosten des Haushalts und der Wohnung leisten muss, und dass, wenn einer von ihnen diese Leistungen vorübergehend nicht aufbringen kann, der andere ihm nur vorschussweise aushilft.
Die beiden Formen der Grundsicherung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt (Sozialhilfe) vor. Die Hilfe zum Lebensunterhalt wird deshalb in Zukunft nur noch eine geringe Bedeutung haben, wenn z.B. die Rente, die Leistungen der Pflegeversicherung und die Grundsicherung im Alter nicht ausreichen, um die Kosten der Unterbringung eines pflegbedürftigen alten Menschen in einem Pflegeheim zu bezahlen.
Auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt sind gleichgeschlechtliche Lebensgefährten nicht mit Ehegatten gleichgestellt worden, nur Lebenspartner und verschiedengeschlechtliche eheähnliche Paare werden bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers wie Ehegatten behandelt. Deshalb darf auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt das Einkommen und Vermögen des gleichgeschlechtlichen Lebensgefährten nicht unabhängig davon angerechnet werden, ob der Hilfebedürftige tatsächlich etwas von seinem Partner erhält.
Hier gilt aber die Vermutung der Bedarfsdeckung bei zusammenwohnenden Personen. Die kann aber leicht durch eine entsprechende Vereinbarung widerlegt werden (s. oben).
Aus alledem folgt: Gleichgeschlechtliche Lebensgefährten, die hilfebedürftig sind oder damit rechnen müssen, demnächst hilfebedürftig zu werden, müssen sich darüber im Klaren sein, dass sich ihre Situation verschlechtert, wenn sie eine Lebenspartnerschaft eingehen. Dann wird nämlich das Einkommen und Vermögen ihres Lebenspartners bei der Prüfung ihrer Hilfebedürftigkeit unabhängig davon mit berücksichtigt, ob sie von diesem Unterstützungsleistungen erhalten oder nicht.
Für Lebenspartnerschaften, in denen Kinder leben, noch folgender Hinweis: Bei der derzeitigen Sozialhilfe wird vermutet, dass Hilfebedürftige, die mit Verwandten oder Verschwägerten zusammenwohnen, von diesen Leistungen zum Lebensunterhalt erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögenerwartet werden kann (§ 16 BSHG). Diese Vermutung gilt auch für die neue Grundsicherung für Arbeitssuchende (§ 9 Abs. 5 SGB II). Das ist vor allem bei hilfebedürftigen Stiefkindern von Bedeutung, die mit ihrer hilfebedürftigen Müttern oder ihren hilfebedürftigen Vätern und den Co-Müttern bzw. den Co-Vätern zusammenleben. Stiefkinder sind mit ihren Co-Eltern verschwägert.
Die Vermutung des § 9 Abs. 5 SGB II greift nicht ein, wenn die Eltern nachweisen, dass die Co-Mutter bzw. der Co-Vater tatsächlich nichts zum Unterhalt des Stiefkindes beiträgt. Deshalb sollten die Eltern in einer schriftlichen Vereinbarung festlegen, in welcher Höhe jeder von ihnen Beiträge zu den Kosten des Haushalts und der Wohnung leisten muss und dass die Co-Mutter bzw. der Co-Vater für den Lebensunterhalt des Stiefkindes nichts zu zahlen braucht.
Beste Grüße, Manfred Bruns