87. Ausgabe, Sommer-LUST 06
 
Das Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“. Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
 
Hi gay Guys n´ Girls
Du bist nun lesbisch oder schwul. Und auf dem Weg zum nächsten Lokal, der Disco oder zum Freund beziehungsweise der Freundin kann man nicht übersehen, dass sich viel im Lande ändert. Die Fußballweltmeisterschaft beschleunigt das, was konservative PolitikerInnen ohnehin seit langem wollen. Überall sieht man die Fahne der deutschen Bundesrepublik, jugendliche Betrunkene rasen fahneschwenkend durch die Straßen der Städte (das sieht schon echt ein bisschen lächerlich aus, macht ihnen aber anscheinend Spaß).

CDU/CSU-PolitikerInnen möchten mehr Werte vermitteln, dabei denken sie an eine staatliche geförderte Religionsverkündung, sie wollen Religionskritiker mit Gefängnis bestrafen. Es ist nämlich für die Regierung praktisch, wenn die Leute religiöse Dulder sind und das so sehen: Wenn der Staat in Deine eine Tasche greift, dann halte ihm auch noch die andere hin.

Die gleichen PolitikerInnen wollen die Bundeswehr im Inneren einsetzen, nennen Deutsche mit einer anderen Hautfarbe „Fremde“ oder „Ausländer“ und beschimpfen andere, die aufdecken, dass in bestimmten Gebieten in Deutschland jugendliche Nazi-Schläger bestimmen wollen, wer dort die Straßen entlanggehen darf. So werden diese jugendlichen Nazi-SchlägerInnen ermutigt.

Und die gleichen PolitikerInnen gehen mit uns Lesben und Schwulen nicht besonders verständnisvolle um, ebenso wie die streng Religiösen und die Nazis. Das alles liest sich nicht besonders ermutigend und sollte Euch nun nicht erschrecken, aber doch warnen. Die Zeiten werden nicht einfacher, auch wenn wir Lesben und Schwulen noch nie in der Geschichte so viel Respekt und Akzeptanz erfahren hatten, wie wir heute Respekt und Akzeptanz erfahren. Also, uns geht es derzeit vergleichweise gut, und deshalb müssten wir auch daran interessiert sein, dass es auch so bleibt.
Jedoch, je mehr es in der Gesellschaft nach rechts geht, je mehr auch religiöse Werte verbreitet werden, um so schlechter kann unsere Lage wieder werden.

Und bei Jugendlichen ist die Verachtung homosexueller Menschen wieder stärker zu spüren. Es sind dies die gleichen Jugendlichen, die patriotischer sind, religiöser und vor allem menschenverachtender sind.

Wir können solche Strömungen und Entwicklungen kaum nennenswert beeinflussen, aber wir müssen sie nicht auch noch unterstützen. Und dennoch gibt es rechte Lesben und rechte Schwule von der CDU/CSU bis hin zur NPD oder in anderen Organisationen, die sich ganz toll vorkommen und die Zusammenhänge so nicht erkennen. Doch je stärker die konservative Strömung in der Gesellschaft vorankommt, um so stärker haben sie auch ihre konservative Familienpolitik im Schlepptau, um so stärker sind sie auch WegbereiterInnen der religiösen Vernebelung der Menschen und des zunehmenden politischen Einflusses der Religionsgemeinschaften. Na Klar, Gott ist Liebe, Islam bedeutet Frieden usw, wir kennen ja all diese religiösen Sprüche. „Wenn es keinen Gott gäbe, müsste man ihn erfinden,“ sagte ein großer geistlicher Würdenträger im späten Mittelalter, „denn damit lässt es sich prächtig leben sowie Macht und Einfluss gewinnen“, hätte er ergänzen können, aber, ich denke, er hatte schon genug gesagt. Genau wie wir älteren Lesben und Schwule, die die Zeit der Verfolgung noch nicht vergessen haben, besorgt sind, über das, was Schritt für Schritt entwickelt wird, genauso müsste auch die jungen Lesben und Schwulen besorgt sein über das, was ihnen noch drohen könnte.

Hier in dieser Ausgabe der LUST berichten wir ausführlich über Probleme und Strukturen in Osteuropa, in anderen Ausgaben haben wir über die islamischen Länder berichtet. Es sind nur wenige Länder, in denen Lesben und Schwule unbehelligt leben können. Daher ist es auch gut, dass junge Lesben und Schwule ihr Leben genießen, ihr Lebensglück feiern, sofern sie an einem lesbischen oder schwulen Lebensglück teilnehmen können. Wie das gehen kann, dabei helfen wir Euch nach Kräften mit der Zeitschrift LUST, mit der regionalen Lesben- und Schwulengruppe ROSA LÜSTE, mit dem regionalen LUSTBLÄTTCHEN, ganz besonders mit unserem Beratungstelefon, montags von 19 - 21 Uhr.

Also, im Prinzip können wir unser Leben gestalten, und wenn jemand noch nicht alles weiß, dann kann er die Beratungstelefone anrufen. Und wenn dann der 1. Schhritt des Coming-outs bewältigt ist, wenn man/frau sich Gedanken über Partner-Innenschaften macht, kommt es auf das Umfeld an, wo man die Menschen trifft, die halbwegs infrage kommen.

Die meisten orientieren sich nach dem Alter, oft noch nach Modetypen, weil die den Anschluss an eine bestimmte Gruppe, zu der man auch gehören möchte, zu versprechen scheinen.

Wie sieht das mit dem politischen Selbstbewusstsein aus? Ist es denn nicht wichtig, auch darauf zu achten, dass der/diejenige Dich nicht in ein konservatives, religiöses oder gar rechtradikales Fahrwasser zu bringen versucht, sondern eher in ein emanzipatorisches und weltoffenes Umfeld.
Man könnte sich fragen, warum bestimmten politischen Kreisen daran liegt, dass die Bevölkerung religiöser oder nationalistischer wird. Sie werden dann natürlich auch intoleranter und lesben- und schwulenfeindlicher. Wir vermuten, das tun sie, um ihre Aktivitäten zu tarnen. Die „Reformen“, die schon angekündigt wurden, und die, die sie noch vorhaben, verlangen weitere Nachteile von der Bevölkerung. Wie kann man das den Leuten klarmachen, wenn nicht patriotische oder nationalistisch? Es dient uns allen gemeinsam, wird man sagen, und man soll nicht egoistisch sein.
Natürlich ist es von Euch viel verlangt, Euch darüber Gedanken zu machen, denn das ist so, als müsse jemand, der gerade anfängt einer Lohnarbeit nachzugehen, schon an die Rente denken müsste. Aber nicht nur die Rentenreform, auch die Gesundheitsreform bedroht uns. Sowohl für Rente und für Gesundheit sollen wir immer mehr privat zahlen. Dich die Lebenshaltungskosten steigen insgesamt immer mehr, und die Löhne werden eher abgebaut statt erhöht. Das kann doch jeder Mensch sehen, der sehen will.

Nationalismus und Religion sind die beiden Ideologien, mit denen man große Opfer rechtfertigen kann, mit denen man auch Menschengruppen fanatisieren und gegeneinander aufhetzen kann. Beide Ideologien führen auch dazu, das man uns nicht so miteinander lieben und leben lassen will, wie es uns gemäß ist, auch wenn im Moment noch nicht die Rede davon ist.

Daher laden wir Euch ein, mit uns Kontakt aufzunehmen und uns dabei mitzuhelfen, dazu beizutragen, dass Ihr auch in Zukunft unbehelligt als lesbische Frauen und schwule Männer leben könnt. Immerhin, da Ihr jünger seid als wir, sind die von uns hier aufgezeigten Gefahren für Euch größer als für uns, also könnt Ihr sie nicht so einfach abtun.

Also verknüpft doch einfach Euer lesbisches und schwules Leben mit Eurem Engagement, das wäre was.
 
Eure LesbGayGirl und OldGayman
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