94. Print-Ausgabe, Frühlings-LUST 08
 
Das Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“. Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
 
Hi Gay Guys n´ Girls,
natürlich freut man sich, wenn man beachtet wird und ein gewisses Ansehen erworben hat.

Du möchtest also etwas Bedeutendes sein? Etwas darstellen? Vielleicht entdeckt werden und eine große Rolle spielen?
Weißt Du denn nicht, dass Schauspieler und Schauspielerinnen Rollen spielen, die gar nichts mit ihnen selber und ihrem realen Leben zu tun haben? Weißt Du denn nicht, dass Musiker und Sänger von berühmten Bands ein ganzes Team von Textern, Psychologen, Managern usw. haben, die ihnen bist ins Detail vorschreiben, wie sie in Interviews zu antworten haben, welche Kleidung sie tragen, wie sie sich zu bewegen haben usw.

Denn damit ist viel Geld zu verdienen, und z.B. hinter den Boys von Tokyo Hotel sind bis zu 50 und mehr Arbeitnehmer, eine ganze Industrie ist damit beschäftigt, solche Effekte zu erzeugen, die Dich zum Kauf der CDs bewegen. Und jetzt stelle Dir vor, dass Du ein solcher Sänger oder eine solche Sängerin z.B. von New Angels wärst, dann würdest Du Deinen Job machen, das wäre alles.
Ähnlich ist das natürlich auch mit berühmten Schauspielerinnen und Schauspielern.

Wie andere Dich dann sehen würden, das bist Du doch gar nicht. Und Du würdest ihnen auch nicht nur die schönen Rollen vorspielen können.

Und in Wirklichkeit ist das im Leben auch so. Du wirst gar nicht geliebt, weil Du das bist, sondern weil die/der andere gerade etwas sucht, von dem er/sie annimmt, dass Du so ähnlich sein könntest.

Die/der will gar nicht Dich, sondern seinen/ihren Wunsch nach ihrem/seinen Traum erfüllt bekommen, und da glaubt sie/er vielleicht im Moment, das ginge mit Dir.

Warum soll denn auch sie/er anders suchen als Du? Interessiert Dich denn wirklich, was sie/er Dir so alles zu erzählen hat? Bist Du ernsthaft an ihrem/seinen Leben interessiert?

Oder denkst Du nur ungeduldig: „Wann hört er/sie denn man mir zu?“ Oder: „Wann will sie/er denn endlich mit mir ins Bett?“ Oder, wenn Du schon etwas sauer vom langen Warten bist, dann denkst Du vielleicht: „Mensch, hat die/der denn keinen Friseur, dem die/der alles erzählen kann? Da hält doch kein Mensch aus, das Gequatsche.“

Nun gut, vielleicht interessiert uns das Gesagte der/des anderen ja auch zum Teil. Man will ja auch wissen, ob man vielleicht doch ein paar Gemeinsamkeiten hat.

Mach Dir nichts vor. Sie/er mag Dich, wenn Du als Pusselstein in ihre/seine Welt ein Stück hineinpasst. Für jeden Menschen ist das so, er ist der Mittelpunkt und Du passt oder Du passt nicht und er sieht nicht Dich, sondern was dieser Mensch von Dir sehen kann und will. So ist das.

Und wenn Du irgend jemanden was bedeuten willst, oder vielen etwas bedeuten willst, wenn Du groß rauskommen und riesig ankommen willst, dann musst Du aufhören, Du selber zu sein und nur noch das sein, was andere von Dir sehen wollen.

Und wenn Du Dich dann so aufgibst, muss das noch lange nicht heißen, dass sie/er Dich als etwas Gutes, Liebenswertes sehen. Es kann auch sein, dass sie Dich als Drecksack sehen, und deshalb immer mal ganz gut brauchen können, wenn ihnen danacht ist.
Also, versuche lieber nicht, immer groß anzukommen, sondern trau Dich, Du selber zu sein, das ist viel besser für Dich.
 
Hi Gay Guy,
Wir gehen mal davon aus, dass Du Dir jeden Mittwoch den Videorecorder oder den Rechner mit der nötigen Einrichtung einstellst, um Dir am nächsten Tag die aktuelle Folge von „Queer as Folk“ anzusehen. Oder nicht? Manche bleiben mittwochs auch die nacht auf. Vielleicht ist das in den Schulen ein Erkennungszeichen: wer ist schwul?

Es ist schon erstunlich, dass auch der Anteil von lesbischen Zuschau-erInnen bei Queer as Folk recht hoch ist, höher als bei L-Mag. Und L-mag ist ja nun auch erst einmal gecan-celt worden, während Queer as Folk zur Gespensterstunde gesendet wird.
Bei Qeer as Folk handelt es sich nicht um eine schlichte Soup, auch wenn die meisten Protagonisten dort über recht viel Geld verfügen, aus besserem Hause kommen usw. Und wenns mal blöde kommt, helfen sie sich gegenseitig da wieder raus. Wo gibt es denn das in der Schwulenszene. Wenn da einer unten liegt, treten die anderen noch drauf.

Nun ja, wollen wir mal nicht ungerecht sein. Es gibt in unserer Szene auch verantwortungsvolle Menschen mit fairen Umgangsformen, selbst wenn man nicht als Sexpartner infrage kommt.

Aber dort wird die Szene schon recht realistisch gezeigt. Und es werden die Gefahren gezeigt, in die man geraten kann, wenn man als schwuler Mann dort oder dort lebt.

Im Moment ist die Serie dort angelangt, wo alle Schwulen in engen Zweierkisten ihr Glück finden wollen, während Brian, der zwar Beziehung aber keine Bindung will, dadurch von den anderen immer weniger verstanden wird. Was die Interessen der Szene und der Freunde betrifft, so hat er allen schon auf vielfache Weise geholfen. Es scheint so, als wäre er nicht meit einem Partner, sondern mit der ganzen Szene verheiratet.

Wenn die Serie weiterhin so intelligent ist, wie sie es bisher war, dann kommen die Protagonisten der engen Zweierbeziehung nun deshalb in Gefahr, weil es diese romantischen Konstruktionen auf diese Weise gar nicht gibt, nicht in der Welt der Heten und schon gar nicht in unserer Welt, in der Welt der schwulen Männer.

Es gibt Verliebtheit, es gibt tiefe Liebe, die so tief ist, dass sie der Eifersucht nicht bedarf und das Hautreiben mit einem anderen Mann als eine lustvolle Belanglosigkeit ansieht, die man dem Partner gönnt und die eine solch tiefe Liebe nicht irritieren kann.
Doch die andere, die Zweierkiste der romantischen Filme, die hat nichts mit unserem Leben zu tun. Und wer naiv darauf setzt, lebt in zwei Welten: die vorgegebene und die andere, die sich dann zur Ergänzung einstellt.

Und das ist die Doppelmoral, wo man nicht ehrlich miteinander sprechen kann und will, und daher zum Beispiel auch für Aids gefährdeter ist, als die, die die zwischenmännliche Sexualität besser kennen als die erotischen aber sexlosen Bolly-woodschauspieler.
Komm, junger Mann, stehe zu Dir selbst und Deinen Sehnsüchten.

„Don´t dream it, be it!“ Und wenn Du dann das bist, was Du bist, junger schwuler Mann, dann musst Du natürlich richtig mit den Realitäten umgehen.

Zum Beispiel eine Barebackparty, die ist zu gefährlich nicht nur für Dich, wenn dein Freund an Dich glaubt. Und wenn Du nicht mit ihm darüber reden könntest, weil er Dir dann nicht mehr trauen könnte, obwohl er sicher auch andere Erfahrungen macht, belanglose Erfahrungen, versteht sich. Aber eben doch Erfahrungen.

Zwar ist der gleiche Sero-Status zwischen Euch beiden vielleicht eine Möglichkleit, auf den Pariser zu verzichten, doch bei „beiden negativ“ ist es viel zu gefährlich, dass dann doch nicht nach außen alles so sicher ist/war.

Und wenn zum Beispiel durch Medikamente die Anzahl der Viren bis unter die Nachweisbarkeit gedrückt wird, ist es dennoch nicht sicher, dass eine Infektion ausgeschlossen ist.

Safer Sex, auch in einer Beziehung ist wichtig, auch wenn man sich gegenseitig das verspricht, was den jungen Leuten heutzutage so viel Schwierigkeiten macht: kein Seitensprung. Spring nur, aber mit Ehrlichkeit und Pariser.
 
Hi Gay Girl,
Hab doch Mut, Du weißt es doch schon längst. Lass Dich nicht um Jahre von Deinem Lebensglück zurückhalten, Und Du wünschst es Dir doch, das Leben mit einer Partnerin, die Du liebst, und einem Umfeld von Lesben und auch Schwulen, das Dich nicht dafür tadelt, wie Du nun mal bist.

Sie verstehen Dich und helfen Dir dabei, wie auch Du solch ein Lebensglück erfahren kannst, was einen Menschen glücklich machen kann und was ein Mensch einfach zum Leben braucht. Sonst ist es doch nichts. Und diese neuen Freundinnen und Freunde erlebst Du in Freundeskreisen, den lesbisch-schwulen Festen und besonders dem CSD in vielen Städten der Welt.

Eine solche schöne Gemeinschaft findest Du auch im jährlichen großen Lesbenfrühlingstreffen, dieses Mal in Dresden. Mehr als tausend Lesben auf einen Haufen. Wird das in Deiner Vorstellung problematisch, grauenhaft oder wunderbar?

Kommt wohl auch ein bisschen auf Dich an, wie es für Dich wird. Trotz des möglichen Glücks zu zweit solltest Du nicht alle Brücken hinter Dur/Euch einreißen. Paare sind sehr schnell zusammen in Isolation, weil ja niemand das Glück stören soll oder auch will. Ach, Du bist noch in gar keiner Beziehung?

Im Ernst, einerseits ist das schön und macht stark, wenn Du siehst, Du bist gar nicht alleine und da gibt es sehr viele, die sich trauen, wie Du.

Andererseits kommt es schon auch darauf an, dass Du ganz genau dort, wo Du täglich bist, in der Schule, auf der Arbeit, in der möglichen Beziehung gut zurechtkommst. Und in einer Beziehung kann man auch ganz schön isoliert sein, wenn man sich nicht auch hier nur in der großen Emotionalität verliert, sondern schon auch noch ein wenig Vernunft übrig lässt, ooh, eine ganze Menge Vernunft, damit unser Leben wirklich und real lebbar ist.

Schwarzmaler? Nee, das sind wir nicht. Pessimisten? Schon gar nicht. Aber vielleicht Menschen, die auch lernen mussten, dass etwas mehr Realismus sinnvoll ist. Und davon abgeleitet sind wir vielleicht doch SkeptikerInnen geworden und glauben nicht so recht an die ewige Liebe und das ewige Glück.

Es ist schon nicht nur eitel Sonnenschein, das wirst Du ja auch nicht glauben, was so alles auf Dich zukommen kann, denn auf alle Beziehungen und Lebensläufe kommt ja nicht nur Gutes zu, aber eben auch Gutes, wenn Du es einigermaßen gut machst.
Und damit Du es gut machen kannst, wenn Du im Zweifel bist, gibts auch FreundInen und Gay-Hotlines.
 
Hi Gay Guys n´ Girls,
Unser Leben ist natürlich nicht immer einfach. Blöde Auffassungen gegen Lesben und Schwule nehmen wieder zu. Und in Beziehungen von Frau zu Frau oder von Mann zu Mann ist der Weg für uns auch nicht so sehr geeebnet. Sind wir eingermaßen überlegt, und muss nicht jederzeit alles 100%ig sein, denn das gibt es nicht, dann kann es wirklich heiß und schön und soweit zufriedenstellend sein.
Viel Spaß dabei wünscht Dir
das Team der RoLü