95. Print-LUST, Sommer 08
 
Das Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“. Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
 
Hi Gay Guys n´ Girls,
„Unterdrückung von Lesben oder Schwulen, das gibt es doch gar nicht mehr. Euch geht es doch gut“, sagte einer, der es ja wissen musste.
„Ihr habt Eure Kneipen, wo ihr euch treffen könnt, ihr könnt sogar heiraten“, sagte er kopfschüttelnd. „Und dann macht Ihr noch große Feste und Paraden, was nun wirklich nicht auch noch sein muss“, sagte er.
„Warum muss das denn nicht sein?“ fragen wir interessiert und verstanden sein Anliegen noch nicht so richtig. „Naja, dass muss doch nicht sein, so in der Öffentlichkeit,“ antwortete er, erstaunt, dass wir ihn nicht verstanden.
„Muss zwar nicht aber kann doch auch, oder?“ fragten wir zurück. „Das könnten doch Kinder sehen“ antwortete er irritiert. Aha, das uralte Argument mit dem Schutz der Kinder. Das kennt man ja. Und es müssen nicht unbedingt Kinder sein, die vorgeschoben werden. Diese „Beschützer der Armen“, wie man sie nennen kann, beschützen eigentlich immer nur ihre eigenen Interessen und nie die, die sie vorgeben zu beschützen. Aber was hat er denn nun wirklich gegen den Christopher-Street-Day, den CSD?
Er würde nie zugeben, was er dagegen hat.
Ein andere redete viel von Solidarität in dem linken Bündnis, in dem wir mitmachen. Versöhnlich sagte er dann, als wir uns als SprecherInnen einer Lesben- und Schwulengruppe vorstellten: „Andere Leute sind oft noch viel perverser.“ Als jemand von uns fragte:
„Willst Du damit sagen, wir sind pervers?“, antwortete er etwas hastig und irgendwie verwundert: „Nein, das nicht“. Aber er suchte dann schnell andere GesprächspartnerIn-nen, von denen er Solidarität verlangte.
Eine Leben- und Schwulengruppe in einer Stadt musste sich ständig verschiedener Vorwürfe erwehren, die zum Ziel hatten, besonders Jugendliche vor ihnen zu warnen und den Kontakt mit ihnen zu verhindern. Manche der Gruppenmitglieder gingen sozusagen „in sich“ und überprüften, ob durch das von ihnen für selbstverständlich gehaltene Leben für Jugendliche irgend eine Gefahr darstellen könnte. Sie konnten aber keine mögliche Gefahr erkennen, als dass die Jugendlichen in den lesbischen und schwulen Leuten keine Gefahr erkennen. Übrig blieb die Frage, was der Hintergrund dieser Kampagnen war oder ist.
Ein uralter Button aus der Schwulenbewegung, der eine satirische Verfremdung des Atomkraft-Nein-Danke-Buttons ist, führte schon zu verschiedenen Anfeindungen von solchen Leuten, die und gegenüber ohnehin Misstrauen hegen.
Sie meinen mit diesem Button würden Heterosexuelle diskriminiert. Unsere Reaktion darauf ist die Frage, wenn es denn ein Mann ist: „Möchtest Du denn von einem Mann geliebt werden?“ Und wenn es eine Frau ist: „Möchtest Du denn von einer Frau geliebt werden?“
Besonders lesbische Frauen tragen diesen Button sehr gerne, denn die meisten von ihnen haben unangenehme Erlebnisse mit heterosexuellen Bekanntschaften.
Aber ob Du nun lesbisch oder schwul bist, es ist schon ein für uns selber ein sehr verletzendes wenn nicht gar erniedrigendes Erlebnis, als lesbische Frau in eine Hete oder als schwuler Mann in einen Heten verliebt zu sein. Denn sie genießen die Freundlichkeiten von uns und die Aufmerksamkeit, die wir ihnen gewähren, aber sie bestimmen immer, wie weit es gehen darf. Selbst wenn sie auch ein bisschen erotisch auf uns zugehen, dann löst sich nicht unsere große Sehnsucht auf, die sich letztlich auf des sexuelle Erfüllen reduziert ist.
Vorwurfsvoll wedeln sie mit dem Konzept einer „reinen Freundschaft“ vor uns rum und machen uns so zu Wesen, die sich für ihre sexuellen Sehnsüchte schämen müssen.
Könnt ihr denn keine ganz normale Freundschaften haben, ihr Lesben und Schwulen? Was ist denn ganz normal? Dass es eine „reine“ Freundschaft ist und keine „unreine Freundschaft? Sex ist unrein?
Das alles ist der schwierige Weg, den viele Lesben und Schwule machen müssen, wenn sie erkennen, dass sie lesbisch bzw. schwul sind und der Faszination eine Frau bzw. eines Mannes erliegen, die/der die Ideologie im Kopf hat, einen Menschen der gleichen Geschlechts nicht körperlich lieben zu können. Sie können und wollen es ja schon, in bestimmten Situationen ihres Lebens. Aber es ist eben doch nicht das, was sie wirklich wollen , bzw. was sie gelernt haben, zu wollen.
Bei einem Festival erklärte ein Jugendlicher zu unserem Button: „Das ist faschistisch“. Eine ältere Frau meinte bei einem CSD, sie sei immer für Toleranz uns gegenüber gewesen. Und jetzt würde sie von uns nicht toleriert. Sie will also von uns geliebt werden, aber nach ihren Bedingungen. Dürfen wie Lesben und Schwulen denn nicht „Nein Danke!“ sagen?
Die Aufzählung diverser seltsamer Verhaltensweisen uns Lesben und Schwulen gegenüber zeigt, wie schwierig es ist, als öffentliche Lesbe bzw. als öffentlicher Schwuler durch die Welt zu gehen, wie sie sich uns zeigt. Es ist deshalb schwierig, weil die Heterosexuellen nämlich weder verstehen können noch es wollen, was sie uns ständig zumuten.
Wenn sie uns schon mal tolerieren, wollen sie bestimmen, ,wie weit ihre Toleranz geht. Sie wollen uns ihre Grenzen setzen. Es geht ihnen um ihr Gefühl, über uns zu stehen.
Es geht ihnen um unser Gefühl, einsehen zu sollen, dass wir eben im Grunde unter ihnen stehen.
Das ist so, als ob das Opfer einer Diskriminierung den Diskriminierer dafür trösten soll, dass wir ihm die Möglichkeit des Diskriminierens verwehren. Einer Lesbe bzw. einem Schwulen ist zu zeigen, wer das Sagen hat.
Dieser tägliche Kleinkrieg muss täglich von uns auf eine Weise geführt werden, dass wir unsere Selbstachtung nicht verlieren. Das ist schwer genug. Und ohne den ständigen Eingriff von Heten in unser Leben ist dieses auchschwer genug.
Denn es gibt in und außerhalb unserer Szene Lesben und Schwule, die psychisch schwer geschädigt sind und die nicht die selbstgerechte Hetero-Normalität als die Ursache davon ansehen, sondern das selbstbewusste lesbische und schwule Leben.
Und dann gibt es auch noch solche PolitikerInnen, die mit den Vorbehalten uns gegenüber ihr politisches Süppchen kochen wollen und wieder zunehmend erfolgreich sind. Und neben ihnen stehen solche Lesben und Schwule, die über diese ihre Karrieren versuchen.
Und zuguter Letzt gibt es noch solche Vereine, die von sich behaupten, dass sie für irgendein Überwesen sprechen, an das wir glauben sollen, und dass besonders wir SünderInnen sind.
Wenn die Religionsverkünder und die konservativen PolitikerInnen dann noch zusammen kommen und sich gegenseitig in die Hände spielen, ist es um unser Leben wirklich sehr schlecht bestellt.
Das alles habt Ihr (leider) zu bewältigen, wie auch wir, selbst wenn wir älter sind.
Aber wir können uns dabei gegenseitig unterstützen.
Das denkt dazu Euer RoLü-Team