97. Print-Ausgabe, Winter-LUST 08/09
 
Das Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen, nämlich das zu akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell“. Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
Hi Gay Guys n´ Girls,
im neuen Jahr kommen neue Herausforderungen auf uns zu, aber sie sind zu meistern, wenn wir uns angewöhnen, uns gegenseitig den Rücken zu stärken, statt uns gegenseitig in den Rücken zu fallen.

Kaum hat man es einigermaßen geschafft, zu akzeptieren, dass man lesbisch beziehungsweise schwul ist. Vater brüllt nicht mehr, Mutter heult nicht mehr, die Tanten haben aufgehört, ätzendes Gift zu in unsere Richtung zu versprühen. In Schule und Beruf kommen wir so zurecht, dass wir uns mit einer Mischung von Verschweigen, Verleugnen und offensivem Vertreten unseres lesbisch-schwulen Lebens durch die Konflikte schlängeln, und schon werden wir mit neuen Problemen konfrontiert.

Na gut, in der Szene, die wir nun kennen lernen, geht es leider gar nicht harmonisch zu. Wir haben die ersten Kontakte und Zurückweisungen erlebt und wissen nun, als Lesbe beziehungsweise als Schwuler zu leben, ist leider alles andere als einfach.

Und dann gibt es welche, überall wo wir sind, die sich aufbauen wollen, indem sie überall das über uns rumerzählen, was sie so von unserem Leben mitbekommen, wie sie dies und jenes werden und wie sie bei ihrem Publikum mit ihren Erzählungen gut ankommen.

Wir Lesben und Schwule sind für die meisten heterosexuellen Menschen nicht gerade Verbrecher, aber doch irgendwie gestört, unser Verhalten ist pathologisch, was soviel heißt wie „krank“, besonders dann, wenn wir uns nicht alles gefallen lassen wollen.

Ein Mensch, über den andere herziehen, hat dies gefälligst zu schlucken und darf diese Herrschaften nicht dabei stören, sich auf unsere Kosten aufzuspielen.

Nein, wir müssten blöde grinsend dabei sitzen und uns genau so verhalten, wie das in ihre Vorurteile hineinpasst. Dann sind sie wenig-stens darüber glücklich, dass sie recht haben. Und dann bestrafen sie uns, weil wir so sind wie sie es sich ausdenken.

Liebe Gay Guys n´ Girls, das ist eine Falle, aus der wir so nicht rauskommen. Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen. Wer auf unsere Kosten witzelt, dem müssten wir vor den ZuhöhrerInnen sagen: „Brauchst Du so etwas wirklich?“ oder gar, wenn wir es härter bringen wolle: „wer mit sich selber nicht zurechkommt, braucht andere zum Ablästern.“

Diese blöden Verhaltensweisen, oft in der altersgleichen „Peergroup“, wie das die Sozialarbeiter nennen, gehen aber nicht so einfach an uns vorbei. Es ist ja im Gegenteil so, dass wir uns die blöde Bemerkung „Du bist wohl schwul?“ ernsthaft reinziehen, weils halt stimmt. Und wir wissen, wie das gemeint ist: wir wären minderwertig! Das ist der Kern solcher Aussagen.

Nun gibt es einige unter uns, die lässt so etwas ganz kalt. Andere nicht, denn das brennt schon in uns drin. Und wenn nun jemand damit nicht so einfach zurecht kommt, dass nahezu die ganze Gesellschaft auf der Lauer liegt, um herauszufinden, was das Allerschlimmste an uns ist, der wird also neuerdings als ein Mensch klassifiziert, der an einer „Ichdystone Sexualorientierung“ leidet.

Schwule wollen nicht schwul sein, Lesben wollen nicht lesbisch sein, denn die Gesellschaft ist mit ihren Werten heterosexuelle und Homosexualität wird als Abweichung behandelt, als etwas, das man lieber nicht ist. Man ist es lieber nicht, weil einem die Gesellschaft ständig sagt, dass es besser wäre, so nicht zu sein wie man ist. Und dieser Konflikt, der im Coming-out in uns tobt, der wird also „Ichdystone Sexualorientierung“ genannt.

Das ist so, als sei unsere Homosexualität schuld, an unseren Problemen, und nicht die Schwäche der Leute, die glauben, sich auf unsere Kosten aufspielen zu können, weil wir „ihrer Norm“ nicht entsprechen.

Das ist so, als wenn viele dunkelhäutige Menschen versuchen, hellhäutig zu werden, weil sie glauben, dass dunkelhäutige Menschen schlechter und minderwertiger wären als hellhäutige.

Da müssen wir im Coming-out durch. Das müssen wir begreifen: dass es nicht an uns liegt oder unserer Homosexualität, sondern an der Dummheit und Borniertheit der anderen, wenn es Leute unter uns gibt, die schwer mit sich gerungen haben. Blöd ist, wenn man diesen Konflikt als eine Krankheit von Menschen mit unserer Sexualorientierung ansieht, denn schon droht die Ideologie wieder, dass Homosexuelle irgendwie krank wären.

Ihr müsst nicht alleine damit zurechtkommen, dass Ihr das seid, worüber andere für ihr eigenes Ego blöde Sprüche brauchen. Das zeigt deren Verunsicherung.

Und bei Euren Verletzungen, da gibts welche, die Euch beistehen, weil sie das kennen. Euer RoLü-Team

 Keine Pathologisierung von Coming-out-Prozessen
Sofortige Streichung der Diagnose „Ichdystone Sexualorientierung“

Die Lesbentelefone, die LAG Lesben in NRW, der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) und der Lesbenring haben eine gemeinsame Initiative zur ersatzlosen Streichung der Diagnosen „Psychische und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung“ (F66.- ICD-10 Gm) gestartet.
Dazu erklären Gisela Wolf, An-sprechpartnerin für die Lesbentelefone, Gabriele Bischoff, Vorstand LAG Lesben in NRW, Annette Hecker, Sprecherin des LSVD sowie Konstanze Gerhard für den Lesbenring:
Die Diagnosen „Psychische und Verhaltensstörungen in Verbindung mit der sexuellen Entwicklung und Orientierung“ (F66.- ICD-10 Gm) können zum Schaden von lesbischen, schwulen und bisexuellen Klientinnen und Klienten angewandt werden.
Sie pathologisieren die persönliche Auseinandersetzung mit hetero-normativen Zumutungen und gesellschaftlichen Diskriminierungen im Coming-out-Prozess.
Die Irritationen, die Lesben und Schwule verarbeiten müssen, weil sie in einer Gesellschaft leben, die sie nicht willkommen heißt, dürfen nicht stigmatisiert und als krankhaft etikettiert werden
.Wenn jemand sich im Coming-out-Prozess nicht akzeptiert, stellt das keine Persönlichkeits- und Verhal-tensstörung dar. Die Diagnose der „Ichdystonen Sexualorientierung“ (ICD-10 Gm, F66.1) bereitet den Boden für die Anwendung von gefährlichen Umpo-lungsansätzen. Wenn erst einmal die „Ichdystone Sexualorientier-ung“ aktenkundig ist, berufen sich darauf auch diejenigen, die nachweislich schädigende Psychothe-rapien mit dem Ziel der Konversion in Richtung einer heterosexuellen Orientierung anbieten.
Depressive Episoden und Leiden von Lesben, Schwulen und Trans-gender müssen ernst genommen werden, aber die professionelle Hilfe ist nicht auf eine Klassifizierung dieser Leiden als „Ichdystone Sexualorientierung“ angewiesen. Das Etikett „ICD-10 Gm, F66.1“ ist für eine fachkom-petente Diagnose redundant, es befördert Vorurteile und ist politisch gefährlich.
Wir haben uns deshalb in Briefen an das Bundesgesundheits-ministerium, an das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) sowie an das European Observatory on Health Systems and Policies (WHO) gewandt, um eine Stellungnahme gebeten und die Abschaffung dieser Diagnose gefordert.

www.lesbentelefone.de
www.lsvd.de
www.lesbenring.de