60. LUST, Juni/Juli 00
Schwule Soldaten im Bundestag

Das Bundesverteidigungsministerim hat sein Haltung bezüglich homosexueller Soldaten in Führungsfunktionen vollkommen geändert. Die sexuelle Orientierung scheint nun kein Grund mehr zu sein, Soldaten von Vorgesetztenpositionen auszuschließen.
Seltsame Vorurteile über Homosexuelle sind wohl schrittweise in sich zusammengebrochen, wobei deren nicht zuletzt die Haltlosigkeit auch in Fragestunden zum Ausdruck kam. Interessant auch, dass in der Oppositionsrolle von Parteien eine Rolle gespielt wird, die in der Rolle der Regierungsverantwortung in den vergangenen 16 Jahren ganz anders gesehen wurde. Von einigem Unterhaltungswert ist in diesem Zusammenhang die Fragestunde des Bundestagens am 23. Februar 00, bei der die F.D.P.-Abgeordnete Ina Lenke nachfragte und der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesministerium für Verteidigung Walter Kolbow diese Fragen für die Regierung beantwortete. Die Leitung dieser 89. Sitzung hatte der Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters.

Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Ina Lenke auf: “In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung die Geltendmachung von Entschädigungszahlungen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (September 1999), in dem entlasenen britischen Armeeangehörigenbestätigt wurde, dass die durchgeführte Befragung nach dem Bekenntnis ihrer homosexuellen Veranlagung gegen Art. 8 der Europäischen Konvention für Menschenrechte verstößt und somit eine grobe Verletzung der Privatsphäre war und ihnen daher wegen ihrer Entlassung aus der Armee aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Entschädigungsansprüche zustehen, vor dem Hintergrund, dass Bundeswehr und Militärischer Abschirmdienst ebenfalls solche Befragungen durchführen und bei Bekanntwerden einer homosexuellen Neigung dies entweder zum sofortigen Ende der Karriere des Soldaten oder zum systematischen Herausdrängen aus der Bundeswehr führt?”
Staatssekretär Walter Kolbow: Herr Präsident,wenn Sie erlauben, würde ich die beiden Fragen (Frage 7 und Frage 8) der Kollegin im Zusammenhang beantworten wollen.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Dann rufe ich die Frage 8 der Kollegin Ina Lenke ebenfalls auf:
“Sind Informationen zutreffend, dass die Personalakten von homosexuellen Soldaten mit einer Kennzeichnung versehen werden, dem “Rosa Reiter”?” (Anmerkung der Redaktion: Ein Reiter ist ein klammerartiger Stecker an einer Akte)
Staatssekretär Walter Kolbow: Die Bundesregierung erwartet nicht, Entschädigungsleistungen zahlen zu müssen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist unseres Erachtens nicht auf die Bundeswehr übertragbar. Im übrigen knüpft die Bundeswehr an die homosexuelle Neigung eines Soldaten keine unmittelbaren Entlassungsfolgen. Zu Frage 8 möchte ich anfügen, dass die Personalakten homosexueller Soldaten in keiner Weise besonders kenntlich gemacht werden.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Zusatzfrage.
Ina lenke (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, es gebe keine unmittelbare Folgen. Es gibt diese unmittelbaren Folgen sehr wohl. Zum Beispiel darf ein homosexueller Soldat kein Ausbilder sein. Stimmt das? Ich würde gerne weiter wissen, ob dem Militärischen Abschirmdienst von der Bundesregierung untersagt worden ist, bei Recherchen die sexuelle Orientierung von Soldaten einzubeziehen.
Staatssekretär Walter Kolbow: Die letzte Frage kann ich nicht bestätigen. Zur ersten Frage möchte ich sagen: Es gibt zurzeit einen Fall vor dem Bundesverfasungsgericht, über den noch vor der parlamentarischen Sommerpause entschieden wird und der bestimmte Entwicklungen in den Überlegungen unseres Hauses zur Folge haben wird.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Ina lenke (F.D.P.): Herr Staatssekretär, vor dem Verfasungsgericht - so haben Sie gerade gesagt - ist ein Fall anhängig. Also müsste zumindest bei dem einen Fall eine Information in der Personalakte stehen. Von daher frage ich, ob Hiweise über besondere sexuelle Orientierungen von Soldaten in die Personalakte aufgenommen werden?
Staatssekretär Walter Kolbow: Nein Frau Kollegin, der genannte Fall ist ein Fall des Outens, wie man neudeutsch sagt. Der Soldat bekennt sich zu seiner sexuellen Orientierung und wird damit als Soldat zu einem bestimmten Problem, was das Führen und Ausbilden angeht. Hier befinden wir uns in enger Abstimmung mit dem militärischen Führungsrat und der politischen Leitung, um eine angemessene Lösung zu finden.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine weitere Zusatzfrage
Ina Lenke (F.D.P.): Herr Staatssekretär, können Sie Ihre Formulierung “bestimmtes Problem” an einem Beispiel darlegen? Welches bestimmte Problem sieht die Bundesregierung in solchen Fällen?
Staatssekretär Walter Kolbow: Die Bundesregierung verlässt sich in diesem Zusammenhang sehr auf den militärischen Rat der Inspekteute der Teilstreitkräfte und der Führer, die die Truppe letztlich zu leiten haben. Dabei werden wir darauf hingewiesen, dass Ausbilden und Führen durch homosexuelle Soldaten in der Truppe ein Problem sein kann. Wir versuchen zurzeit - auch innerhalb der Bundesregierung -, dies aufzuarbeiten und einer Lösung zuzuführen.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine Zusatzfrage des Kollegen Niebel.
Dirk Niebel (F.D.P.): Herr Staatssekretär, wenn ich mich recht entsinne, war ein wesentliches Argument dafür, dass Homosexuelle keine Führungsfunktionen in der Bundeswehr übernehmen können, das der potenziellen sexuellen Anziehungskraft zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. In Anbetracht des Urteils des Europäischen Gerichtshofes zu Frauen in der Bundeswehr, wozu jetzt eine Anhörung stattfindent, frage ich: Ist die Bundeswehr bereit, die Fragen zur sexuellen Anziehungskraft zwischen Führern und Untergebenen neu zu überdenken?
Staatssekretär Walter Kolbow: Die Bundesregierung ist immer bereit, interessante Ausführungen und Erklärungen zu überdenken.
Zwischenruf Rainer Brüderle (F.D.P.): Das ist sehr unscharf!
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine Zusatzfrage des Kollegen Seifert.
Dr. Ilja Seifert (PDS): Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage nach den besonderen Gefährdungen - oder wie immer man das sehen will - nicht beantwortet. Sie haben nur darauf verwiesen, dass Sie sich daran halten, was die Führungskräfte Ihnen sagen. Wenn ich mich recht entsinne, gibt es in der Geschichte der BRD bereits einschlägige Beispiele, dass Generäle ziemliche Karriereschwierigkeiten aufgrund eines solchen Verdachtes bekamen. Können Sie vielleicht doch ein bisschen näher näher ausführen, wie sich ein junger Mann verhalten soll, der zur Bundeswehr muss und homosexuell orientiert ist? Soll er gleich von vornherein sagen: “Ich melde mich bei den Latrineputzern”, oder soll er sagen: “Ich muss jetzt hier meinen Dienst tun und möchte den versehen wie alle anderen”?
Staatssekretär Walter Kolbow: Die sexuelle Orientierung eines Soldaten ist keine Benachteiligung von vornherein, auch nicht im Dienst. Wir müssen aber beim Ausbilden und beim Führen der Truppe darauf achten, dass daraus keine Schwierigkeiten im militärischen Bereich entstehen. Jeder, der eine sexuelle Orientierung, wie sie in der Fragestunde jetzt angesprochen worden ist, hat, ist in der Bundeswehr willkommen und hat letztlich auch keine Nachteile zu erwarten.
Zwischenruf Ina Lenke (F.D.P.):
Oh!
Zwischenruf Rolf Kutzmutz (PDS): Was ist mit denen, die keine Orientierung haben?
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine Zusatfrage der Kollegin Ostrowski.
Christine Ostrowski (PDS): Herr Staatssekretär, die Frage von Frau Lenke ist ja immer noch offen. Was sind denn nun die bestimmten Probleme, die Schwierigkeiten bereiten, wenn homosexuell Orientierte in Führungspositionen sind? Bitte beantworten Sie die Frage konkret.
Walter Kolbow: Ich habe wiederholt vom Führen und Ausbilden in militärischen Einheiten gesprochen. Es ist leider - ich sage: leider - in unserer Gesellschaft, möglicherweise auch in Teilen der Bundeswehr, noch so, dass eine homosexuelle orientierung diskreditiert ist. Dies wollen wir nicht, aber wir müssen dies beim Führen und Ausbilden von jungen Männern im militärischen Betrieb unserer Streitkräfte auch wissen und umsetzen. Deshalb müssen wir sehr sorgfältig vorgehen, um Homosexuelle in den Streitkräften auch dann nicht diskriminieren zu lassen, wenn sie sich als solche bekennen.
Zwischenruf Dr. Ilja Seifert (PDS): Doof darf er sein; bloß richtig orientiert muß er sein!
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Fink.
Dr. Heinrich Fink (PDS): Zeichnet es nicht gerade einen Ausbilder aus, wenn er ehrlich und offen zu seiner sexuellen Neigung steht? Hat er nicht dadurch einen bestimmten Schutz? Wird ihm das nicht in irgendeiner Weise als ehrenwert angerechnet?
Staatssekretär Walter Kolbow: Herr Kollege, ich persönlich teile die in ihrer Fragestellung zum Ausdruck kommende Bewertung. Ich weiß aber, dass sie nicht in allen Bereichen einer Männergesellschaft wie der Bundeswehr geteilt wird. Damit müssen wir verantwortungsvoll umgehen, auch zum Schutz der Betroffenen.
Bundestagsvizepräsident Rudolf Seiters: Frau Kollegin Lenke hat eine weitere Zusatzfrage:
Ina Lenke (F.D.P.): Herr Staatssekretär, kenne Sie den Brief aus dem Wangerland, den einige Soldaten geschrieben haben, als ihr Ausbilder wegen homosexueller Neigungen vom Dienste suspendiert worden ist? Sie wollten unbedingt, dass dieser Ausbilder weiter bei ihnen tätig ist. Von daher halte ich Ihre grundsätzliche Aussage, dass homosexuelle Soldaten als Ausbilder nicht geeignet sind, für sehr fragwürdig. Ich finde es sehr mutig, dass Sie namens der Bundesregierung solche Aussagen machen.
Walter Kolbow: Frau Kollegin, Sie unterstellen mir etwas, was ich nicht gesagt habe. Wir halten auch Ausbilder mit einer solchen sexuellen Orientierung für durchaus führungs- und verant-wortungsfähig. Nur, wir müssen sie als Führer und Ausbilder auch im militärischen Betrieb sowie in die Ausbildung und Erziehung einordnen. Nichts anderes habe ich zum Ausdruck bringen wollen. Mir zu unterstellen, dass ich als Vertreter der Bundesregierung homosexulle Soldaten diskreditiere, ist nicht redlich.
 
Verteidigungsministerium gibt auf:
Sieg für schwulen
Oberleutnant Stecher
Maria Sabine Augstein, Rechtsanwältin von Oberleutnant Stecher vor dem Bundesverfassungsgericht und Landessprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) Bayern erklärt:
Im Rahmen des laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens erklärt sich das Verteidigungsministerium nunmehr bereit, Oberleutnant Stecher wieder als Ausbilder von Rekruten und Zugführer- Offizier einzusetzen; eine schriftliche Zusage liegt mir vor.
Endlich ein wichtiger Erfolg im Kampf gegen die Diskriminierung Homosexueller in der Bundeswehr und auf Seiten des Ministeriums eine Abkehr von der Linie des früheren CDU-Verteidigungsministers Rühe!
Oberleutnant Stecher war im Mai 1998 aus dieser Verwendung abgelöst und in die Schreibstube versetzt worden, da das Bekanntwerden seiner Homosexualität nach Ansicht des Verteidigungsministeriums die Gefahr einer Minderung der dienstlichen Autorität als Vorgesetzter begründe. Oberleutnant Stechers Beschwerde gegen die Versetzung und ein anschließendes Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht blieben erfolglos. Deshalb erhob ich im Auftrag von Oberleutnant Stecher im Dezember 1998 Verfassungsbeschwerde und beantragte die Rückgängigmachung seiner Versetzung.
Das Verteidigungsministerium wollte ganz offensichtlich eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht hatte das Ministerium im Oktober 1999 zur Stellungnahme aufgefordert, auf welchen tatsächlichen Grundlagen die Befürchtungen einer möglichen Störung des Dienstbetriebs der Bundeswehr durch die Homosexualität eines Vorgesetzten beruhten. Diese Anfrage hatte das Ministerium nicht beantwortet, sondern zwei mal um Fristverlängerung gebeten.
Bei einer Aussprache im Deutschen Bundestag am 13.3.2000 kündigte Verteidigungsminister Scharping nunmehr eine grundlegende Kurskorrektur an. Künftig sollen aus der homosexuellen Orientierung eines Vorgesetzten keine automatischen Schlußfolgerungen mehr gegen seine Eignung gezogen werden. Der Minister stellte die Erarbeitung eines Verhaltenskodex bis zu den Sommerferien in Aussicht; dienstrechtliche Konsequenzen würde es dann nur bei Verstößen gegen diesen Kodex geben.
Die rotgrüne Bundesregierung versprach in der Koalitionsvereinbarung, dafür einzutreten, das niemand wegen seiner/ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Es ist höchste Zeit, das das Verteidigungsministerium das Berufsverbot für homosexuelle Offiziere beendet.
 
10.4.2000
Thema: Bundeswehr/Schwule
Der Nächste bitte,
Herr Scharping!

Zur Rücknahme der Versetzung von Oberleutnant Stecher durch das Verteidigungsministerium erklärt die lesben- und schwulenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Christina Schenk: „Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung endlich die Unhaltbarkeit ihrer diskriminierenden Position gegenüber Homosexuellen in der Bundeswehr erkannt hat. Mit der Rückversetzung von Oberleutnant Stecher in seine Position als Ausbilder ist die Bundesregierung ihrer unausweichlichen gerichtlichen Niederlage zuvorgekommen. Die Bundesregierung muss jedoch noch nachlegen. Bei den Verwaltungsgerichten sind weitere Verfahren von Soldaten anhängig, die wegen ihrer Homosexualität nicht als Berufssoldaten übernommen wurden.
Also, Herr Scharping: Der Nächste bitte!“