61. LUST, August/September 00

Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen,
nämlich das zu Akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: „Ich bin homosexuell.“
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.
Viele fühlen sich nun berufen, Euch von ihren Weisheiten zu berichten. Und wir, LesbGayGirl und OldGayMan, werden Euch auf diesem Weg den einen oder anderen Tipp geben.

Hallo, Gay Girl,
wenn man sich die bunten Blättchen anschaut, die überall in den Lokalen kostenlos rumliegen, dann lässt sich leicht feststellen, dass dort viel von „Gay” die Rede ist, dass es also angeblich um Lesben und Schwule geht, denn dieses Wort steht für die Szene von Lesben und Schwulen. Leider geht es meistens nur um Schwule. Wo finden Lesben im Coming-out sinnvolle Tipps, um sich zu orientieren?
Die Lesbenszene ist nicht so sichbar wie die Schwulenszene. Es gibt viel weniger Lokale nur für Lesben, als es Lokale nur für Schwule gibt. Wo kann ich also als interessierte Lesbe andere Lesben finden? Wo bekomme ich Hilfe und Rat bei meiner Suche nach Frauen, die auch suchen?
Mütter sind in mehr Fragen des Lebens gute Ratgeberinnen, als wir oft wahrhaben möchten. Aber bei aller Freundschaft, hier ist mit keinem so großen Verständnis zu rechnen. Beziehungen und Freundschaften sind der Weg aus der Obhut heraus. Und Mütter können selten glauben, dass ihre Tochter „flügge“ wird. Und wenn die Tochter flügge wird, hätten sie gerne irgendwann Enkel.
Unsere gute Freundinnen und auch Freunde sind auch nicht unbedingt Vertrauenspersonen in dieser Frage. Wir hören ja, wie sie über andere reden. Also suchen wir nun nach Lesben.
Natürlich war es ein langer und nicht einfacher Weg für Dich, zu erkennen, dass die eine oder andere Frau durchaus eine erotische Faszination auf Dich ausübt, während die Mitschüler, Kollegen usw. Dir zunehmend mit ihren Versuchen, anzubändeln, lästig fallen. Möglicherweise hast Du Dich schon auf Jungs oder Männer eingelassen, vielleicht schon die eine oder andere Männerbeziehung überstanden, aber es wurde immer klarer: die Faszination, die Du durch Deine Mitschülerin oder Deine Lehrerein oder Deine Kollegin oder ... verspürst, diese Faszination hast Du noch bei keinem Mann verspürt. Doch leider, die betreffenden Frauen sind nicht an näheren Beziehungen interessiert, an bestimmten Stellen geht es einfach nicht weiter. Vielleicht könnten sie ja mit Dir eine glückliche Zeit verbringen, aber sie können oder wollen nicht, da sie gerade mit diesem blöden Typ zusammen sind und da sie davon überzeugt sind, dass ihnen das etwas Wundervollen bringt. Naja.
Vielleicht bist Du aber in Deinem Coming-out gar nicht mehr so jung, dass die Mutter eine Rolle spielen könnte. Vielleicht bist Du sogar verheiratet, vielleicht hast Du auch Kinder. Dann wird es für Dich besonders schwierig, lesbisch leben zu können. Nahezu alle Frauen und Männer werden Dir vorwerfen, dass Du eine Rabenmutter seist, dass Du Deine Kinder im Stich lassen würdest, wenn Du Dich auf eine Frau einlassen würdest. Und der „treusorgende Gatte“, mit dem Du Dich vielleicht gar nicht so schlecht verstehst, wird dann aber gar nicht so toll auf Dich reagieren, wenn Du ihm damit kommst.
In solchen Fällen haben sich schon Tragödien abgespielt, und immer wird die lesbische Frau als schuldig angesehen, dass sie so etwas überhaupt tut, anstatt auf ihr Lebensglück zu verzichten und ihre eheliche und familiäre Pflicht zu tun. Oft sind lesbische Frauen mit ihren Kindern in Frauenhäusern vor dem rabiaten Ehemann geflohen, aber oft sind die dortigen betreuenden Frauen auch nicht gerade lesbenfreundlich.
Warum ich das alles berichte? Um Dich zu deprimieren? Nein, um Dich zu ermutigen, den Schritt so früh wie Du es bemerkst zu gehen, damit er später nicht immer schwieriger wird. Also brauchst Du nun Kontakt mit anderen Lesben.
Lesben gibt es teilweise in Frauenzentren, manchmal gibt es Frauenlokale und ganz selten Lesbenlokale oder Lesbenveranstaltungen. Lesben gibt es auch in sogenannten Schwulenlokalen.
Dein Ziel im Coming-out, (dem Bewusstwerden, lesbisch zu sein) ist aber nun, Freundinnen kennenzulernen, die lesbisch sind. Vielleicht suchst Du auch nach „Der” Freundin, die mit Dir durch dick und dünn geht, mit der Du alles besprechen kannst. Vielleicht ersparst Du Dir so mancher Peinlichkeit mit Frauen, die mit Deiner Zuneigung nicht anfangen können oder wollen. Es ist aber ein Trugschluss, eine Freundin so einfach schnell mal suchen und finden zu können.
Nehmen wir die Tanzveranstaltungen, zum Beispiel eine FrauenLesben-Disco (Wieder so ein komisches Wort), die zu bestimmten Zeiten immer mal in vielen Städten stattfindet. Dort sind Cliquen von FrauenLesben, die sich kennen und die miteinander reden. Du dagegen stehst alleine da, gehörst (noch) keiner Clique an, und mit Dir redet im Moment keine.
Also wirst Du versuchen, immer mal recht nett in die eine Richtung zu lächeln, wo diese so sehr interessante Frau steht. Wäre sie ein Mann, hätte sie das längst als Aufforderung verstanden und sich irgendeinen blöden Gesprächsgrund ausgedacht, um mit Dir in Kontakt zu kommen. Sie ist aber eine Frau und da ist es so, dass diejenige, die etwas erreichen möchte, dazu meistens auch die nötigen Schritte selbst unternehmen muss.
Und wenn Du dich überwindest und selbst einen dummen Gesprächsvorwand überlegst, um diese eine Frau anzusprechen, dann kommt eine andere Frau aus gerade dieser Clique, die Dich immer mal beobachtet hat, und zieht Deine Angebetete schnell in irgendein Gespräch, denn solche Cliquen haben ihr Innenleben.
Vielleicht aber sucht sie gerade auch eine Frau. Und dann kann es klappen, dass das erste abtastende Gespräch entsteht. Jedenfalls wünsche ich Dir das,
Dein LesbGayGirl

Hallo Gay Guys ‘n Girls,
Während es für Lesben zu wenig Angebote gibt, die nächsten Schritte im Coming-out zu bewältigen, gibt es für Schwule im Coming-out eigentlich viele Stellen, die sich um Euch kümmern wollen, so dass man die Übersicht verlieren kann.
Dein LesbGayGirl und Dein OldGayMan

Hallo, Gay Guy,
Für Dich war es ja schwierig genug, zu erkennen, dass Du das bist, worüber die anderen Gleichaltrigen mitunter ein wenig distanziert, oft auch ablehnend reden, dass Du also schwul bist. Schon lange Zeit hast Du bemerkt, dass der in den Medien abgebildete Körper von Männern sehr viel interessanter ist als die überall so aufdringlich platzierten Frauenkörper.
Die Phantasiemenschen Deiner einsamen nächtlichen Begegnungen im Bett sind seit längerem männlich. Vielleicht sehnst Du dich dabei nach einem Mitschüler, Arbeitkollegen, Lehrer, oder eben ganz unkonkret nach einem schlanken männlichen Körper, vielleicht aber eher einem haarigen bulligen männlichen Körper, jedenfalls nach einem männlichen Körper.
Flecken im Bettuch oder der Unterwäsche könnte die Mutter entdecken, Sexualität von Dir ist etwas, das sich außerhalb der Welt befindet, die Du mit ihr teilst. Deine Mutter hätte sicherlich mehr Verständnis für Dich, wenn Du ihr eines Tages eine Freundin vorstellen würdest, die sie dann gründlich begutachten könnte. Aber wenn es ein Schulfreund ist oder ein Arbeitskollege ... Besonders problematisch würde das für Deine Mutter, wenn Dein Bekannter deutlich älter wäre als Du. Es gibt ja viele Berichte über böse Männer, und an solche Berichte müsste sie dann wohl denken.
Ein Erlebnis mit einem Mann, mit diesem Mann Deiner Träume, das wäre nun besonders in der Nacht das, was Dir gefallen könnte.
Am Tag aber hast Du Angst, die anderen könnten mitbekommen, dass bei Dir etwas anders ist als bei ihnen, wenn sie mit ihren nächtlichen Erlebnissen mit Freundinnen prahlen.
Wenn einer mal grinsend sagt: „Du bist wohl schwul”, dann könntest Du befürchten, dass er Dich durchschaut hat. Das ist aber gar nicht der Fall. Angeber, die das beweisen wollen, was sie für Männlichkeit halten, sagen das zu vielen anderen Männern, um sich über sie zu stellen. Dahinter steht die diskriminierende Auffassung, dass einer gar kein Mann sein könne, wenn er einen Mann liebt. Solche Auffassungen, die immer von Mann mit Frau ausgehen, nennt man heterosexistisch.
Nein, er hat Dich nicht ertappt, zumindest bis dahin nicht. Es kommt darauf an, wie Du reagierst. Wenn Du mit knallrotem Kopf sagst: “Nein, natürlich bin ich nicht schwul”, fühlst Du Dich nicht besonders gut. Der andere hat aber in seinem Machtspielchen über Dich schon gesiegt und wird Dich ständig, wenn er anderen gegenüber imponieren will, schwul nennen. Wenn Du aber grinsend sagst:” Aber sicher doch, wie wärs denn heute Abend?” dann kann er gar nicht mehr solche Sprüche machen, denn er hat nun Angst, selbst für schwul gehalten zu werden, und er muss übertrieben grinsend und bösartig die Tunte für Dich spielen, und für alle wird klar, dass Ihr beide wahrscheinlich nicht schwul seid.
Toll wäre es aber, Du hättest einen schwulen Partner, der zu dem Idioten sagen würde: „Ja, Na und?” Aber das ist leichter gesagt als getan. Der Schritt, das Coming-out öffentlich zu machen, ist nicht rückgängig zu machen. Du bist dann bei diesem Idioten abgestempelt. Sein Verhalten wird aber vielleicht auch besser werden, weil er meint, dass Du ja ohnehin nicht um die Mädels mit Dir konkurrieren wirst. Das ist aber sein Irrtum.
Du wirst schnell merken, dass sich nun deutlich mehr Mädels um Dich kümmern als vorher, vor Deinem Coming-out. Du wirst nun gerade weil Du nichts von ihnen willst für sie interessant. Die einen mögen Dich, weil Du nichts von ihnen willst, sozusagen als Freundin. Die anderen meinen, dass Du irgendwie leidest und wollen Dir beistehen. Andere wiederum meinen, dass sie Dich rumkriegen wollen, denn so ein netter Junge kann doch nicht schwul sein.
Wenn Du schon älter bist und nun endlich nicht mehr verdrängen willst, dass Du schwul bist, wird Dein Coming-out für Dich damit gar nicht einfacher. Während die Umwelt mit jungen Männern noch Mitgefühl hat, reagiert sie erwachsenen oder älteren Männern gegenüber kaum mitfühlend. Als wenn Du schuld wärst, dass Du schwul bist. Andererseits suchen Männer mit spätem Coming-out oft möglichst jugendliche Sexualpartner, denn sie haben sich als “Männer” daran gewöhnt, dass ihre Sexpartnerinnen jünger und kleiner sind als sie selbst, wie das in Heten-Beziehungen üblich ist. Wo gibts die jungen Männer? Nun, die sind in der Disco und halten ihrerseits Ausschau nach noch jüngeren Männern. Besser also, man verdrängt seine Homosexualität nicht, wenn man sie bemerkt, sondern versucht bald, einen guten Weg zu finden.
Ich wünsche Dir ein tolles Sexerlebnis mit dem Mann Deiner Träume, Dein OldGayMan