62. LUST, Oktober/November 00

Coming-out
ist eine entscheidende Situation im Leben eines Menschen,
nämlich das zu Akzeptieren, was man schon vorher geahnt oder befürchtet hatte: "Ich bin homosexuell."
Und nun muss man lernen, wie das ist, lesbisch oder schwul zu sein.

Hallo Gay Gays n´ Girls,
da gab es doch neulich "Talk im Schloss zu sehen", und ein Kirchenvertreter meinte, die homosexuellen Menschen würden von der Kirche nicht unterdrückt und diskriminiert. Nur, wenn man so veranlagt sei (er hat wirklich "veranlagt" gesagt), dann müsse man eben enthaltsam leben, um nicht zu sündigen. Das hörte sich an wie so manches Coming-out-Beratungsbuch, das heutzutage auf dem Markt ist. Doch der Kirchenmann ging noch weiter. Nur in der Ehe zwischen Mann und Frau sei die Sexualität keine Sünde, weil sie dem Zeugen von Kindern diene. Da kann man froh sein, dass die Gesetze des Landes nicht von der Kirche gemacht werden, sondern von unseren Volksvertretern. "Unseren"? Und die sollen uns nun Gesetze machen, mit denen wir glücklich auf unsere Art leben können?
In der 61. LUST haben wir, LesbGayGirl und OldGayMan zu Euch über die Schwierigkeiten geschrieben, eine Freundin bzw. einen Freund überhaupt erst mal kennenzulernen. In dieser 62. Ausgabe wollen wir mit Euch ein wenig über die Situation plaudern, die eintritt, wenn wir jemanden gefunden haben. Da sich das bei Lesben und Schwulen zwar ähnlich aber trotzdem völlig anders abspielt, werden wir uns mal lieber wieder, jede(r) um ihren/seinen Bereich kümmern.
Eure Lesbgaygirl und OldGayMan
 
Hallo Gay Girl,
tja, nehmen wir an, da triffst Du Dich nach langer vergeblicher Suche nun mit der Frau Deiner Träume, bist unheimlich verliebt, möchtest, dass das nie wieder aufhören soll usw. Und nehmen wir an, dass sie Dir versichert, dass es ihr genauso gehe. Ist das nicht toll? Und freut es dich nicht, wenn sie dann sagt, dass sie mit dir ihren Lebensabend verbringen will? Halt halt, denkst Du dann sicher, an den Lebensabend möchtest Du noch nicht denken. Dazwischen muss es auch noch was geben. Das ist dann doch vielleicht eine zu weit vorausschauende Planung. Immerhin, sie liebt Dich ganz und gar, mit Haut und Haaren, von früh bis Spät und für alle von ihr vorstellbaren Zukunft. Das ist nun mal klar.
Und nehmen wir weiterhin an, dass es unterdessen in Deinem Umfeld recht viele Frauen gibt, die alle Deine Angebetete anhimmeln (könnten), was soll man denn dann machen, um hier einen Riegel vorzuschieben? Es kann die Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es der "besten" Freundin nicht gefällt. Und Frauen können derart raffiniert sein, das weißt Du ja aus vielen Erlebnissen mit besten Freundinnen, aus Erlebnissen mit Deiner Mutter und aus diversen Spielfilmen. Und hastdunichtgesehen verhältst Du dich so, wie sich alle Frauen in den betreffenden Soups verhalten, vorausplanend und sehr raffiniert.
"Drei Ehen zur Freiheit", las ich vor vielen Jahren. In der ersten Ehe spielen wir das nach, was wir bei der Mutter erlebt haben. In der zweiten Ehe schwanken wir dazwischen und neuen Verhaltensformen und experimentieren sie zutode. In der dritten Ehe dann tut man des Guten zu wenig. Erst danach sei der Selbstrziehungsprozess, der Erfahrungsprozess, der Emanzipationsprozess so weit abgeschlossen, dass man nun in der Lage sei, den anderen Menschen, die Partnerin, als einen eigenständigen Menschen mit einem eigenständigen Willen zu akzeptieren, dessen Interessen zu achten sind, auch die, die nicht auf mich bezogen sind. Erst dann wärst Du in der Lage, ein solches Vertrauen zu entwickeln, das nötig sei, um die Partnerin als gleichberechtigtes mündiges eigenständiges Wesen zu akzeptieren, deren Freundschaft zu Dir gerade deshalb so gut sei, denn diese Freundschaft mache Dich (und sicherlich auch sie) stärker.
Ich halte nichts von solchen Prognosen und schon gar nichts von Zehlenspielen, denn nicht jede Freundschaft ist eheähnlich und es ist ja auch nicht sicher, dass man aus jedem Scheitern die richtige Erfahrung macht, nämlich die, dass es hier keine Schuld einer der Partnerinnen gibt, sondern dass die Schuld die Unwissenheit hat, die Unfähigkeit vielleicht auch, über die heterosexuell determinierten (klingt wissenschaftlich. Gell?) üblichen gesellschaftlichen Standarts hinauszudenken. Auf jeden Fall ist ja das Leben noch vor uns, und es gibt immer das Leben danach, zumindest so lange man selbst lebt. Aber das wäre eine andere Fragestellung.
Dein LesbGayGirl

Hallo Gay Guy,
schon wieder bist Du alleine nach Hause gekommen und liegst alleine im Bett und sehnst Dich nach einem solchen Mann, der deine nächtlichen (und was heißt da: nächtlichen, ich denke immer an Sex) Träume erfüllt. Eine Beziehung wäre da die Lösung, nimmst Du an, denn das liegt ja auf der Hand. Zmindest wenns sehr drückt, sehnt man sich nach dem Partner, der jetzt da wäre.
Und dann ist sie da, die Beziehung. Sie hat ganz ohne Pauken und Trompeten angefangen. Es haben keine Geigen gespielt, er war halt zum richtigen Zeitpunkt da. Er gefällt Dir, ist so zu Dir, wie Du es erträumt hast, er will auch meistens solche sexuellen Handlungen, die Du auch willst, kurzum: er ist Dein Freund, Partner, Mann, wie Du ihn halt so nennen möchtest.
Wenn er dann auch noch Zeit und Lust hat, Dich dann zu besuchen, wann Du Zeit und Lust hast, dann fühlst Du Dich beinahe zufrieden. Eine kleine Unruhe bleibt natürlich schon, zum Beispiel Samstagsabends, wenn Du Dich sonst auf die Pirsch gemacht hast. Aber Du hast ja nun Besseres zu tun, besonders Samstagsabends, denn dann ist Dein Freund ja da.
Aber wenn Du mit ihm in der Szene ausgehst, musst Du schon bei ganz normalen Gesprächen mit den Leuten, die Du seit Jahren kennst, vorsichtig sein; er will dann immer genau wissen, wer das war. Das ist dann doch manches Mal ein bißchen lästig. Andererseits ist es ja auch ein beruhigendes Gefühl, nicht alleine zu sein und jemanden zu haben, mit dem Du alles austauschen kannst. Alles? Nur, dass es da einen Mitschüler gibt, einen Arbeitskollegen oder anderweitigen Bekannten, der sehr faszinieren ist. Natürlich bist Du treu. Und wenn Du eine gute Gelegenheit ausschlägst, weil Du ja treu bist, dann erwartest Du das natürlich auch von ihm. Und wenn sich tatsächlich gelegentlich die Haut von Dir an der Haut eines anderen Menschcen reibt, man möchte ja nicht, dass einem was entgeht, dann hat das überhaupt nichts zu bedeuten, es war ja nur Hautreiben. Du liebst ja Deinen Freund alleine. Wenn allerdings Dein Freund sich immer mit jemanden unterhält, verdächtig oft immer mit ihm unterhält, dann kommt natürlich in Dir der Verdacht auf, dass sich da gelegentlich auch die Haut reiben könnte.
Das wäre zwar nichts Schlimmes, aber Du kennst ihn ja. Er ist immer mal so sprunghaft. Bei ihm ist das etwas ganz anderes, als wenn Du das tust, denn er lässt sich immer von anderen so beeindrucken.
Hallo, vertraust Du ihm so wenig? Wenn er doch Dein Freund sein will, wird er die Freundschaft mit Dir auch schützen, selbst wenn sich mal die Haut reiben sollte. Und wenn nicht, wäre er auch nicht Dein Freund.
Dein OldGayMan