60. LUST, Juni/Juli 00
Haider schwul?
Süffisante und schadenfrohe Anspielungen über den österreichischen
Demagogen und angeblichen Saubermann geistern durch die linke
Presse (zum Beispiel die taz Berlin) und durch so manches schwules
Blättchen. Man muss sich fragen, ob die Outing-Spezialisten
aus der Vergangenheit so wenig gelernt haben. Sicher mag es Hinweise
geben, das legt zumindest ein entsprechender Artikel in der seriösen
Wiener Lesben- und Schwulenzeitschrift LAMBDA-Nachrichten nahe.
Wir von der LUST halten solche Überlegungen für völlig
unwichtig, besonders halten wir das Outen für falsch. Hinter
einem solchen Outen steckt immer ein Stück Schwulenfeindlichkeit,
weil es beinhaltet, dass es sich bei dieser Nachricht um eine
erwähnenswerte negative Eigenschaft handelt, durch die der
Betreffende diskreditiert sei. Wichtig ist bei einem Politiker
nicht, mit wem er ins Bett geht, sondern welche Politik er macht.
Deshalb hat uns auch nicht interessiert, ob sich Klinton einen
blasen ließ oder nicht.
Ganz allgemein gesprochen: Es gibt Schwule und Lesben in allen
politischen Richtungen, natürlich gibt es z.B. auch Schwule
unter den Nazis und Nazis unter den Schwulen. Ob man das für
vernünftig, moralisch oder wie auch immer hält, das
ändert nichts an diesen Tatsachen. Als die SPD die Homosexualität
von Ernst Röhm aufdeckte, schadete dies weder Röhm noch
den Nazis. Die Nazi-Anhänger hielten das für eine Lüge,
die schwule Nazis fühlten sich dadurch bestätigt, denn
der Führer stand zu seinen Leuten. Nur das antischwule
Klima in der Bevölkerung wurde dadurch noch weiter angeheizt.
Röhm verhinderte nicht, dass in der Hitler-Zeit Schwule verfolgt
wurden, Hitler nutzte die Homosexualität Röhms zu einem
ihm brauchbaren Zeitpunkt, ihn abzuservieren und umbringen zu
lassen. Schwule Nazis kamen auch in die Konzentrationslager oder
brachten sich selbst um (wir wissen von einem Fall in Wiesbaden),
obwohl sie sich sicher fühlten.
Die Nazi-Gegner ihrerseits (besonders solche, denen es auch um
einen starken unterdrückenden Staat ging) machten aus den
Nazis eine homosexuelle Verschwörung.
So schreibt Wilhelm Reich, der wohlwollend zur Kenntnis nahm,
daß in der jungen Sowjetunion Homosexualität anfangs
nicht bestraft wurde:
Im März 1934 erschien ein Gesetz, das den Geschlechtsverkehr
unter Männern verbietet und bestraft, von Kalinin unterzeichnet.
Es erschien nach einem Privatbericht als Notverordnung, da Gesetzesänderungen
nur vom Sowjetkongreß beschlossen werden könnten. Diesem
Gesetz nach wurde der Geschlechtsverkehr unter Männern als
`soziales Verbrechen´, das in leichten Fällen mit 3
- 5 Jahren, und im Falle der Abhängigkeit des Partners vom
anderen mit 5 - 8 Jahren bestraft wird. So erschien die Homosexualität
wieder in der Reihe der anderen sozialen Verbrechen wie Banditismus,
Konterrevolution, Sabotage, Spionage ect. Die Homosexuellenverfolgungen
standen in bestimmten Zusammenhang mit dem Vorgehen in Deutschland
anläßlich der Röhm-Affäre 1932 - 33. Die
Sowjetpresse hatte einen Feldzug gegen Homosexualität als
eine `Entartungserscheinung der faschistischen Bourgeoisie´
eröffnet. Wie mir berichtet wurde, schrieb der bekannte Sowjetjournalist
Kolzow eine Artikelserie, in der er von den `warmen Brüdern
des Propagandaministeriums Göppel´ und von den `sexuellen
Orgien in den fascistischen Ländern´ sprach. Entscheidend
wirkte das Eingreifen Gorkis, der in einem Artikel `Proletarischer
Humanismus´ schrieb: `Das Gedächtnis streubt sich dagegen,
auch nur jener Abscheulichkeiten zu gedenken, die der Fascismus
so üppig erzeugt.´ Gemeint waren Antisemitismus und
Homosexualität. Es hieß dann wörtlich: `Während
in den Ländern des Fascismus die Homosexualität, die
die Jugend verdirbt, ungestraft agiert, ist sie in dem Lande,
wo das Proletariat kühn und mannhaft die Staatsmacht erobert
hat, als ein soziales Verbrechen erklärt und streng bestraft.
In Deutschland ist schon das geflügelte Wort entstanden:
Rottet die Homosexuellen aus und der Fascismus ist verschwunden´
... (Wilhelm Reich, Sexualität und Kulturkampf, Koppenhagen
1936, Seite 188)
In der Berliner taz war vor Jahren auch schon mal ein Beitrag
von einem obskuren konservativen Philosophen Nicolaus
Sombart veröffentlicht, der die Nazis als Homo-Verschwörung
definierte. So etwas vergnügt den linken Hetero nämlich.
In einem Kommentar der LAMBDA-Nachrichten wird eine ähnliche
Haltung zur Haider-Outing vertreten, wie wir sie vertreten. Wenn
auch die Haider-Partei FPÖ mit den Nazis (noch?) nicht zu
vergleichen ist, denn das wäre wirklich eine Verharmlosung
der Nazis, ist sie doch eine Partei, die Demagogie gegen Minderheiten
zu ihrem eigenen Aufstieg nutzt, was das Klima für diese
Minderheiten verschärft. In dem LAMBDA-Artikel finden sich
auch Belege dafür, dass sich die FPÖ auch antischwuler
Demagogie bedient. Aber auch wenn es für Lesben- und Schwulenfeindlichkeit
keine offenen Hinweise gäbe, wäre es unerträglich
für mich, Demagogie gegen Minderheiten in irgendeiner Form
zu tolerieren.
Und nebenbei, mich interssiert überhaupt nicht, wer schwul
oder lesbisch ist und wer nicht. Unter den Schwulen und Lesben
habe ich Freunde und unter den Heten auch. Unter den Schwulen
und Lesben gibt es IdiotInnen und unter den Heten auch. Mich interessiert
nicht einmal, ob der Typ, mit dem ich gerade im Bett liege, schwul
ist, sondern ob er mit mir im Bett liegen will und ob er mir gefällt.
Aber das nur nebenbei. Und den LAMBDA-Nachrichten bin ich dakbar
für ihren informativen und guten Artikel. (js)