Grußwort zur 68. LUST
Der diesjährige Friedenspreis des deutschen Buchhandels
ging an Jürgen Habermas, einem Philosophen und Vertreter
der Frankfurter Schule, die den theoretischen Hintergrund der
sogenannten 68er Revolte bildete und gleichzeitig auch ihr schärfster
Kritiker war, indem zum Beispiel Jürgen Habermas den politischen
Streitbegriff des Linksfaschismus prägte. Es geht bei der
Philosophie der Frankfurter Schule um die Kontinuität einer
Kultur der Aufklärung, die nur durch kritische Distanz als
grundsätzliches Prinzip in ihrem Bestand lebendig bleiben
kann. Dieses kritische Prinzip ist nur dann möglich, wenn
die kritische Auseinandersetzung, der Streit, der positiv gewertet
werden muss, gewaltlos vonstatten geht. Bei der Anwendung von
Gewalt ist ein anderes Prinzip notwendig, nämlich das der
Verteidigung.
In seiner Rede ging er natürlich
besonders auf das aktuelle Thema ein, den religiösen Fundamentalismus.
Es stellte dar, dass sich, anders als bei uns, als der säkularisierte
Staat den religiösen Staat verdrängte, den Menschen
in den Ländern des Islam keine bessere Alternative aufzeige.
Eine Alternative hin zum Besseren.
Bei uns sei das religiöse Prinzip, dass der Mensch ein Ebenbild
Gottes sei, auch für den Nichtreligiösen als ethisches
Prinzip verständlich, indem das Göttliche eben auch
im anderen zu erkennen sei. Und für religiöse Menschen
sei der säkulare Staat, der sich neutral gegenüber den
Religionen verhält, insofern die religiösen Menschen
auch das Recht der anderen religiösen und nichtreligiösen
Menschen zu achten haben, eben auch von den religiösen Menschen
zu akzeptieren. Aber als die Sünde zur Schuld wurde, sei
auch etwas verlorengegangen. Der Nationalstaat, der so viel Leid
über die Menschen gebracht habe, hätte nun im Zuge der
Globalisierung zum Weltstaat hin eine andere Aufgabe erhalten,
nämlich diese ethischen Werte in ihrer Differenz zu verteidigen.
(Der säkulare Staat ist weltliche Staat, der es den Menschen
ermöglicht, über ihre jeweils eigenen religiöse
Grenzen hinaus zu gehen.)
Die islamischen Staaten erleben derzeit, dass im Zuge der immer
stärkeren Globalisierung ihre Grundlagen und Werte ins Wanken
kommen. Da diese säkularen Werte im Zusammenhang mit dem
Kapitalismus und nahezu ausschließlich aus dem Westen über
die islamischen Länder hereingebrochen sind und hereinbrechen,
müsse es in diesen Ländern wie ein Kreuzzug erscheinen,
der die Fundamente ihres bisherigen Seins ins Wanken bringe. Eine
Zeitlang habe es nach den Anschlägen vom 11. September so
ausgesehen, als werde dieser vorsäkularer Angst vor einem
Kreuzzug des Westens mit einem ebenfalls vorsäkularem Kreuzzug
begegnet.
Dieses Prinzip, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen
sei, also auch der andere Mensch, werde durch die Gentechnologie
gefährdet. Es werde nämlich der Mensch vom Menschen
geschaffen, was es möglich mache, das Göttliche im anderen
Menschen nicht mehr zu sehen. Als nichtreligiöser Mensch
könne er auch so sagen, dass die Achtung vor dem Menschen,
wie er sich zeige, zum Beispiel auch dadurch verlorengehe, indem
wir versuchen, den Menschen selbst zu verfassen.
Es war dies eine sehr beeindruckende Dankesrede des ausgezeichneten
Preisträgers, der als Laudator Jan Phillip Reentsma erbeten
hatte. Man hat den Eindruck, dass die konservativen Kräfte
in unserem Land mit den kritischen Geistern eines neuen demokratischen
Aufbruches im Deutschland der späten 60er Jahre ihren Frieden
machen wollen. Denn jahrelang vorher waren die Entscheidungen
des Börsenvereins doch sehr umstritten. Reentsma hob in seiner
Laudatio auch hervor, wie sich Habermas im sogenannten Historkerstreit
dagegen verwehrte, dass der Terror der deutschen Nazi-Herrschaft
durch deutsche Historiker relativiert würde. In den Bibliotheken
der Universitäten weltweit von Bogota bis Peking stünden
die Bücher des Soziologieprofessors Habermas, was bedeute,
dass er als der bedeutendste Philosoph Deutschlands gelte, wenn
nicht als der deutsche Staatsphilosoph. So weit also der Inhalt
der Dankesrede von Habermas und der Laudatio von Reentsma.
Es scheint aber auch so zu sein, möchte ich einwenden, dass
der Westen den islamischen Ländern nicht nur die Aufklärung
und den säkularen Staat bescherte, sondern auch das Gegenteil,
nämlich den religiösen Fundamentalismus und die Hinwendung
zum Mittelalter. Schließlich sind die Taliban und auch Ben
Laden mit westlichen Geldern aufgepäppelt und diesen Ländern
übergestülpt worden.
Die aktuellen politischen Ereignisse hatten sich lähmend
auf die MitarbeiterInnen unserer Redaktion ausgewirkt. Dass diese
Ausgabe der Lust so spät zu Euch kommt, hat nicht nur mit
den üblichen Erwägungen zu tun, sondern auch mit unserer
Hilflosigkeit angesichts der aktuellen politischen Vorgänge.
(Wir geben uns aber Mühe, die nächste Ausgabe etwas
früher erscheinen zu lassen und die übernächste
Ausgabe dann zum angedachten Termin.) Es scheint so zu sein, dass
neue Weichenstellungen in der Politik frühere Fragestellungen
vorerst einmal unwesentlich erscheinen lassen. Es scheint auch
so zu sein, dass Fragen wie Menschenrechte und unsere speziellen
Rechte in einem sich nun abzeichnenden Strudel des Sicherheitsdenkens
nicht so sicher sind, wie es bislang schien.
Die nächste LUST ist indes schon in Vorbereitung. Sie wird
Mitte Dezember da sein, denn wir wollen unsere längere kreative
Pause doch nutzen und die verlorene Zeit aufholen. Geht bitte
nicht so hart mit uns ins Gericht, wenn Ihr warten musstet. Immerhin
machen wir die LUST seit Jahren neben unserer normalen Berufstätigkeit,
und die geht vor, wenn es klemmt, denn die finanziert in Wirklichkeit
die LUST.
Ich grüße Euch, auch im Namen der anderen Lüstlinge,
Euer Joachim von der LUST