Grußwort zur 61. LUST
Wir leben wahrscheinlich in der besten Zeit, die je Lesben und Schwule in Deutschland hatten. Kaum mehr staatliche Diskriminierungen und große Akzeptanz in der Bevölkerung.
Doch genauer hingeschaut, ist es nicht ganz so, wie es aussieht. Unter den alles sanft bedeckenden bunten Plastikplanen rumort es, und es gibt immer mehr Anzeichen, dass sich da leise etwas zusammenbraut. So entwickeln sich die Verhältnisse.
Bisher nicht beachtete Anzeichen adieren sich. Kaum hat man begriffen, dass sich da etwas zusammenbrauen könnte, ist es schon da, und schon wird man von den Ereignissen überrollt. Man erkennt, man hat früher doch schon das eine oder andere bemerkt, befürchtet, verworfen, sich nicht damit aufgehalten. Parties machen mehr Spaß als Besorgnisse, die man nicht ständig hören und lesen möchte. Doch: der Bachlash ist da. In der Union diskutiert man gerade eine Kampagne zum Schutz der Familie gegen die Homo-Ehe ähnlich der Staatsbürgerschaftskampagne, und wenn sie kommen sollte, wird sie sicherlich zynisch nur zu unserem Schutz stattfinden, wie damals die Unterschriftenkampagne zum „Ausländerintegrationsgesetz”.
Am Samstag, 29.07. Demonstrierte in Stuttgart die NPD für den Schutz der Deutschen Familie gegen die Homoehe. Das war der Tag des Stuttgarter CSD. In Hamburg und Frankfurt verteilte die rechte Sekte “Christliche Mitte” Hetzschriften gegen die Homosexualität. Können wir demnächst nicht mehr in der Öffentlichkeit feiern?
So sehr werden wir in der Öffentlichkeit geachtet, dass man uns das verweigert, was man selbst für sich in Anspruch nimmt? Man toleriert uns, so lange wir in der Schmuddel-Ecke bleiben? Und der Sprecher des LSVD, Volker Beck, der früher in unseren Reihen für die Homoehe warb, bemüht sich neuerdings, überall darzustellen, dass die eingetragenen Partnerschaften nichts mit Ehe zu tun haben, und dass die Länder Geld (Sozialhilfe) sparen, wenn Lesben und Schwule füreinander sorgen.
Und schon habe ich die wesentlichsten Themen angerissen, die in dieser Ausgabe der LUST eine Rolle spielen: Backlash, Homoehe und rechte Bedrohung. Hinzu kommt dieses Mal noch ein großes Stück Kritik der Politik der offiziellen Amtskirche. Die Sekten, die uns gerade attackieren, brauchen da nichts Neues zu erfinden, denn die Vorlagen der Amtskirchen sind ja vorhanden und nachzulesen.
Die zweite Ausgabe der Abo-Zeitschrift LUST lieg vor Euch, und Ihr könnt Euch überzeugen: wir haben wieder ein Menge wichtiger Informationen zusammengertragen. Eigentlich müsste dieses Projekt ein erfolgreiches Projekt sein.
Was unsere Reputation, die Anerkennung, die wir von unseren LeserInnen erhalten, betrifft, können wir uns nicht beklagen. Aber - wir produzieren für eine Minderheit in der Minderheit; nämlich für die Minderheit, die über das Feiern hinausschauen möchte. Das ist keine so große Szene, und alle, die zu ihr gehören können wir nicht so einfach erreichen.
Erfolgreicher wären wir wirtschaftlich, wenn wir den Stamm der AbonentInnen vergrößern könnten, und wenn wir in noch mehr Buch- und Zeitschriftenläden präsent sein könnten. Das hat nun freilich seine Schwierigkeit.
Neue Leute, die uns abonnieren könnten, die erreichen wir nicht mehr dadurch, dass die LUST kostenlos in relativ großer Dichte rumliegt. Wie also sollen die Leute der Szene überhaupt wissen, dass es uns, das engagierte Nachrichtenmagazin der Szene, gibt? Da sind wir nun ganz und gar auf unseren LeserInnenstamm angewiesen, der unsere Arbeit zu schätzen weiß. Schlichte Aufmachung, guter informeller Inhalt, der im wesentlichen nur bei uns angeboten wird, das ist und war schon immer unsere Devise.
Buch- und Zeitschriftenläden sind zögernd, ein neues Produkt in ihre Auslagen zu legen. Die Kunden sind wählerisch und greifen nach der LUST eher gelangweilt, wenn sie uns noch nicht kennen. Und eben auch die Gebildeten unter ihnen greifen offensichtlich zuerst dort hin, wo nacktes Fleisch abgebildet ist. Beim Blättern bleiben sie bei uns nicht auf unseren Seiten kleben, weil dort eben Buchstaben und keine aufreizenden Bilder zu finden sind. Und für 6 DM, da will man auch bunte Bilder sehen. Ist das nicht traurig? Für die bunten Bilder gibt es doch andere Medien. Die “Markt”gesetze sind aber keine Naturgesetze, und was sich marktwirtschaftlich rechnet ist deshalb doch nicht von Qualität. Es gibt eben Qualitäten, die außerhalb markwirtschaftlichen Erfolgsdenken existieren. Läßt sich zum Beispiel gegenseitiges Vertrauen und Ehrlichkeit, Solidarität mit anderen Menschen, Liebe und Hingabe erfolgreich marktwirtschaftlich rechnen? Und schon haben wir ein weiteres Thema angesprochen, was in dieser LUST zu finden ist, die Medienlandschaft.
Wir versuchten beim CSDchen in Wiesbaden, dem CSD in Frankfurt und bei der Mainzer Sommerschwüle neue AbonentInnen zu gewinnen. Hätten wir die LUST zu Tüten gerollt und damit Pommes Frites zu 20 DM verkauft, dann wären wir erfolgreicher gewesen. Unsere ehemaligen LeserInnen sind, scheints, von uns enttäuscht, dass wir das, was wir nach Feierabend mühsam zusammenstellen, nicht mehr kostenlos verteilen, damit sie mehr Geld für andere Vergnügungen beim CSD übrig haben. Die LUST lässt sich aber weder essen noch trinken. Und woher sollen wir das Geld nehmen, sie weiter zu beschenken, bei einem Schuldenstand von 10.000 DM? Da gab es derbe Worte an uns, als wir nichts verschenken wollten, als sei es eine besondere Ehre für uns, wenn solche Leute die LUST überhaupt annehmen.
Tja, unser Erfolg hielt sich also in Grenzen. Aber ich will nicht ungerecht sein. Einige neue AbonentInnen konnten wir doch gewinnen. Und das Netz an Verkaufsstellen erweitert sich stetig (aber sehr sehr langsam). Vielleicht will ich alles schneller, als es geht.
Für die Lüstlinge grüßt Euch
Joachim von der LUST