- Grußwort zur 62. LUST
- Und schon wieder ist eine LUST fertig, die Dritte nun als
Verkaufszeitschrift für einen erlesenen Kreis von LUST-LeserInnen
mit dem erlesenen Lese-LUST-Gerschmack. Liebe Fan-Gemeinde also.
Seid nicht sauer, dass sie etwas
später kommt als erwartet. Wir haben ja hier keinen Veranstaltungskalender,
der uns zwingt, pünktlich zu sein. Und da ist es mir lieber,
alle guten Beiträge sind zusammen, als dass wir zwar pünktlich
sind, aber es sind aus den Fingern gesogene Pseudo-Beiträge
dort, wo der zugesagte Beitrag nicht pünktlich kam.
Vielleicht irritiert es Euch, dass wir einen Beitrag hervorgeholt
haben, den wir vor Jahren in der NUMMER veröffentlichten,
zur Gründung des Bundesverbandes Homosexualität, den
es übrigens längst nicht mehr gibt. Aber dieser Beitrag
ist derart wichtig und lesenswert für unsere Szene, dass
wir ihn nicht in der Versenkung verschwinden lassen können
und wollen, besonders wenn es Überlegungen in der Lesbenszene
gibt, wie es weitergehen soll; was wir in dieser Ausgabe aufgegriffen
und diskutiert haben. Gibt es überhaupt eine Lesbenbewegung?
Die lesbischen Redaktionsmitarbeiterinnen grinsten etwas bei
dieser Fragestellung. Nun gut, Ihr könnt ja unsere Überlegungen
dazu lesen. Sie korrespondieren mit dem Beitrag von Lautmann.
Schönen Gruß auch, Rüdiger.
In dieser LUST findet Ihr auch einen Beitrag zu den Kontaktanzeigen,
besser gesagt zu den Gesetzmäßigkeiten auf dem Kontaktanzeigenmarkt.
Dort haben wir ja all die Jahre viele Erfahrungen und Kenntnisse
sammeln können, obwohl dies nun, wo die LUST an einen kleineren
LesrInnenkreis verkauft wird, etwas nachlässt. Sind denn
die lesenden Lesben und Schwulen weniger an Kontakten interessiert?
Vielleicht schon, mal sehen, wie sich das entwickelt.
Es haben sich nach unserem Aufruf an Euch, für die LUST
zu schreiben, einige LeserInnen gemeldet, und das ist gut so,
damit nicht jeder zweite Beitrag von mir ist. Es soll ja auch
noch andere Talente in der Szene geben, denke ich mir. In der
nächsten, der 63. LUST wird es eine weitere Themen- und
AutorInnenvielfalt geben, auch wenn die Themen in dieser LUST
schon was hermachen. Auf diese Ausgabe können wir stolz
sein.
Ich meine überhaupt, dass unsere Zeitschrift, seit wir vom
kostenlosen Blättermarkt unabhängig wurden, wieder
besser und besser wird, vielleicht, weil sie wieder mit mehr
LUST produziert wird.
Natürlich würden uns mehr LeserInnen helfen, dieses
Projekt zu stabilisieren, und da wäre es prima, wenn Ihr
im Sinne eines Steines, der ins Wasser geworfen wird, andere
möglicherweise Interessierte auf unser hervorragendes Blättchen
aufmerkssam machen würdet. Auch wenn in verschiedenen Buchläden
die LUST verkauft wird, in verschiedenen Lokalen (dort eher schleppend),
so ist das Hauptstandbein der AbonnentInnenstamm. Und der würde
mit der Zeit kleiner, denn wer soll denn wissen, dass es die
LUST gibt, wenn Ihr sie nicht weiterempfehlt.
Wer das Ehe-Thema in dieser Ausgabe weitgehend vermisst, dem
möchte ich dagen, dass es weit mehr Themen gibt als nur
das eine, was als Dauerthema im Szenenblätterwald die Spalten
füllt.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mich beunruhigen
die rechten Übergriffe auf Minderheiten schon sehr. Das
findet ja nicht nur in Deutschland statt, aber eben auch sehr
unangenehm hier.
Dumme Kids in einem Alter, bei dem viele besorgte Eltern noch
den Staatsanwalt bemühen würden, wenn sie schwule Freunde
hätten, solche also machen sich einen Spaß daraus,
Menschen durch die Straßen zu jagen, sie zu bedrohen und
zu Quälen, in viel zu vielen Fällen auch totzuschlagen.
Diese mordenden jugendlichen Bestien, die teilweise in Tränen
ausbrechen, wenn sie verurteilt werden, oder sie gefallen sich
darin, cool weiterhin menschenverachtende Sprüche abzulassen
und Drohungen von sich zu geben, diese entmenschten Bestien werden
natürlich auch älter und überlegter. Aber werden
sie überlegter, was ihre dumpfen grausigen Ziele angeht,
oder überlegter, was ihre Methoden angeht?
Schon spekulieren Soziologen und Pädagogen, dass ebenso
wie die 68er Jugendrevolte die Gesellschaft nachhaltig veränderte,
diese rechten Jugendlichen längerfristig nun auch die Gesellschaft
nachhaltig verändern werden. Das macht mir Angst.
In Folge der 68er Jugendrevolte und auch Sexrevolte entstanden
soziale Bewegungen als Massenerscheinung neu: Die Frauenbewegung,
die Friedensbewegung, die sogenannte Alternativbewegung. Im Schlepptau
die studentische Schwulenbewegung.
Die damaligen Protagonisten dieser Schwulenbewegung, so sie nicht
an Aids gestorben sind, leben noch und gehören noch immer
zu den Aktiven unserer Szene.
Was für Bewegungen, was für Ziele und Inhalte würden
als gesellschaftliche Stömungen von diesen rechten Jugendlichen
ausgehen? Wie und in welche Richtung werden sie die Gesellschaft
der Zukunft beeinflussen? Irgendwie habe ich den Eindruck, dass
vieles, was wir alle zusammen erreicht haben, ob es die Frauenbewegung
ist oder die Friedensbewegung, Vieles, wenn nicht gar alles kann
wieder zurückgedreht werden.
Irgendwie habe ich manchmal den Eindruck, dass dieser Prozess
längst in kleinen Salamischeibchen eingesetzt hat, auch
wenn das noch nicht überall so aussieht. Sehe ich alles
zu schwarz, wie mir besonders Jüngere sagen, oder sehe ich
das sogar noch zu rosig, wie mir das auch Jüngere grinsend
sagen, als freuten sie sich darauf.
LUST-LeserInnen, meldet Euch doch mal. Vielleicht könnt
Ihr ja mal mir etwas Mut machen, wie wir seit Jahren versuchen,
Euch Mut zu machen.
Es grüßt Euch auch im Auftrag der anderen Lüstlinge
Joachim von der LUST