- Grußwort zur 71. LUST
-
- Ihr seht das Inhaltsverzeichnis dieser Ausgabe und findet
sicher, dass in dieser Ausgabe recht viel Beiträge zu finden
sind, die von allgemeiner gesellschaftspolitischer oder parteipolitischer
Bedeutung sind, die aber nicht direkt etwas mit unserem Leben
zu tun haben.
Das mag etwas damit zu tun, dass
man uns Lesben und Schwule im Moment noch unbehelligt lässt,
dass man sich im Moment noch andere Minderheiten vornimmt. Man
kann ja sogar als Schwuler eine rechte Galionsfigur sein, wie
wir aus Holland wissen. Die Zeichen nicht nur in Deutschland
stehen auf rechts und das heißt, man sucht
Sündenböcke und projiziert auf sie das, was die Menschen
besorgt macht, um aus dieser Lage politische oder persönliche
Vorteile zu ziehen. Wer jetzt sein Ohren offen hat und auf Stimmungen
in der Bevölkerung achtet, dem kann das Grausen kommen.
Ich habe Angst vor einem möglichen Bundskanzler, der im
Moment taktisch Kreide frisst, der aber auch ganz anders kann,
nämlich der auch von der durchrassten Gesellschaft spricht,
Haider einladen wollte und dessen rechtspolitischer Sprecher
über homosexuelle Menschen sagt, sie seien pervers und geistig
krank. Dies dann in Koalition mit einer FDP, die schleichend
dem rechten Rand nach dem Munde redet.
Ihr wisst, ich bin Lehrer. In Sozialkunde habe ich einmal angesprochen,
dass der FDP-Slogan 18 nicht zufällig gewählt
worden sei. Er symbolisiere die Volljährigkeit und auch
die Jugendlichkeit einer Spaßgesellschaft, wollte ich fortfahren,
doch Rechtsgerichtete in der Klasse klärten mich anders
auf. Da man den Deutschen Gruß nicht benutzen
dürfe, erklärten sie, würde man die
Post mit zweimal dem 8. Buchstaben unterzeichnen. Na und?
fragte ich begriffsstutzig, 18 ist doch nicht 88.
Die Eins stünde eben für den 1. Buchstaben, dem A wie
Adolf, erklärten sie mir. Alle Rechten hätten das gleich
verstanden.
Damals hielt ich diese Unterstellung für sehr weit hergeholt.
Inzwischen bin ich da nicht mehr so sicher. Wenn man das mit
Möllemanns Aussagen verknüpft, ist es gar nicht mehr
so abwegig, dass man diesen Nebeneffekt vielleicht auch durchaus
wollte.
Was könnte ich von solch einer Regierung erwarten, wenn
diese beiden Parteien regieren können, in einem Umfeld in
Europa, wo es nur noch konservative Regierungen gibt, in vielen
Ländern in Verbindung mit rechtspopulistischen oder rechtsradikalen
Parteien, nämlich in Portugal, Italien, Österreich,
Niederlande, Dänemark, Norwegen. Habe ich da welche vergessen?
Was kann man da von der Zukunft erwarten? Die 16 Jahre schwarzgelber
Regierung haben den Staat immer höher verschulden lassen,
die Arbeitslosigkeit immer größer werden lassen, Regierungskriminalität
war ja angeblich hier nicht der Fall. Der entsprechende Verdacht
konnte von diversen Untersuchungsausschüssen nicht bewiesen
werden. Nach einem kurzen unbedeutenden Zwischenspiel nun das
ganze weiter, aber aufgepoppt mit einem braunen Aroma? Was kann
man da erwarten.
Wir haben bei der Bundestagswahl, die vor uns liegt, offensichtlich
die Wahl zwischen schlecht und noch viel schlechter.
Die Rechten und Rechtsradikalen geben sich in vielen europäischen
Ländern wirtschaftsliberal, das heißt, dass sie alle
Formen staatlicher sozialer Fürsorge abbauen. Das heißt
aber nicht, dass die wenigen Regierungen mit sozialdemokratischem
Anteil darauf verzichten. Ich bin seit langem nicht mehr innerlich
so aufgewühlt wie bei dieser Wahl, die vor uns liegt. Ich
empfinde es so, dass es in Fragen Sozialversicherungen, die es
zu verteidigen gilt, kaum einen Unterschied zwischen den beiden
Blöcken gibt. Dass es in Fragen Arbeitsrecht, also Rechte
von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz erhebliche Unterschiede zwischen
den beiden Blöcken gibt. Alle von der Regierung Kohl eingeleiteten
Einschnitte in den Arbeitsschutz sind rückgängig gemacht
worden und das Arbeitsrecht ist in einigen Bereichen sogar verbessert
worden: Betriebsverfassungsgesetz, Kündigungsschutz usw.
Im gesellschaftspolitischen Bereich, in Fragen menschlicher Emanzipation
sind Verbesserungen eingetreten oder sagen wir: Änderungen,
die von den 20 bis 40-Jährigen als Verbesserungen empfunden
werden. So die sogenannte Homo-Ehe, Beendigung der Diskriminierung
homosexueller Soldaten bei der Bundeswehr, Frauen sind (als Freiwillige)
Männern etwas mehr gleichgestellt usw. Prostituierte bekamen
ihren Beruf anerkannt. Aber alle diese Reformen wurden auch gleichzeitig
halbherzig und unvollständig durchgeführt, hängen
zwischen Tür und Angel, wie man so schön sagt.
In diesen beiden Bereichen (Arbeitsrecht und Gesellschaftspolitik)
ist bei einem Regierungswechsel mit keinen Verbesserungen zu
rechnen, eher mit der Wiederherstellung der Zeit vorher und dem
weiteren Ausbau mittelalterlich erscheinender Familienstrukturen,
die ja ohnehin bei den 14 bis 18-Jährigen im Trend und im
Kommen sind.
Ich habe Angst, dass wir nun statt rotgrünem Murks schwarzgelbe
Klarheiten oder Eindeutigkeiten erhalten, mit braunem Geruch
nebenbei. Es sieht alles danach aus. Und ich habe Angst, dass
weiterhin Tabugrenzen überschritten werden, dass die Gesellschaft
immer menschenverachtender wird, immer weiter nach rechts abgedrängt
wird. Ich habe Angst, dass 20 bis 30 Jahre zähes Ringen
um mehr Mitmenschlichkeit und um mehr sozialer Wärme zwischen
unterschiedlichsten Menschen jetzt weggewischt werden.
Das geht in meinem Kopf rum und deshalb könnt Ihr hier auch
keine euphorischen Jubelschreie über den Sommer und den
CSD vorfinden.
Ich grüße Euch, auch im Namen der anderen Lüstlinge,
Euer
Joachim von der LUST