Grußwort zur 72. LUST

Es sieht so aus, als entscheide der bevorstehende Angriffskrieg der USA gegen den Irak die Wahl in der Bundesrepublik und die Bevölkerung hier scheint überwiegend gegen diesen Krieg zu sein. Aber in den Medien mehren sich die "besorgten" Stimmen, dass "Deutschland" in die Isolation gerate, wenn es nicht an diesem Krieg teilnehme.
Nach einem (erfolgreichen) Krieg gegen den Irak würden die USA mehr als die Hälfte der Erdölreserven der Welt kontrollieren, und in den ehemaligen südsowjetischen Republiken, die auch mit Öl zu tun haben sind (zur Terroristenbekämpfung) ebenfalls amerikanische Militärstützpunkte errichtet worden, die so ausgebaut werden, dass mit einem langen Verbleiben gerechnet werden kann. Nun ist aber die Kontrolle der Ölreserven ebenso im Mittelpunkt des Interesses von Terroristen geraten wie die Verbindungswege, die Pipelines und überhaupt das gesamte Transportnetz und die gesamte Logistik um diesen wichtigen Rohstoff. Und dieses ganze Netzwerk ist absolut verwundbar. Also ist der "Kampf gegen den Terrorismus" noch lange nicht beendet, darauf wird man sich dann wohl einzustellen haben.
Die Überschwemmungen nach den ungewöhnlich heftigen Regegüssen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sind vorerst einmal vorbei und (weil vor der Wahl möglicherweise auch wahlentscheidend) unter großen finanziellen Kraftanstrengungen werden Schäden behoben, die sichtbar sind. Man wird wohl bei dieser Gelegenheit die Dämme und Schutzmaßnahmen auf Wiederholungen umrüsten.
"Global 2000" hieß der Untersuchungsbericht des "Club of Rome", in dem man dies aber schon alles nachlesen konnte und kann, und wir werden uns zukünftig mit weiteren Katastrophen dieser Art abzufinden haben, die nicht alle zu solchen finanziellen Kraftanstrengungen führen werden, weil man sich daran gewöhnt hat und weil das Profite schmälert. Langfristige Versuche, das Klima nicht weiter zu belasten, werden bestenfalls vielleicht in 30 Jahren erste positive Auswirkungen haben. Da kann man ja wohl mit dem Beginnen noch ein bisschen warten und dies anderen Leuten überlassen. Oder?
Wie die Bundestagswahl ausgehen wird, ist mir, während ich das hier schreibe, natürlich nicht klar. Doch wenn Stoiber rankommt, mit ihm die Seilschaft, die wir aus 16 Jahren Kohl schon kennen, ist mit einigen Änderungen zu rechnen.
Der Atomausstieg wird beendet, aus dem Verbraucherschutz wird wieder die Lobby-Arbeit zugunsten der Agrarfabriken, die Förderung von erneuerbarer Energie wird wieder eingestellt.
In Fragen Homo-Ehe wird es die zweite Reform nicht geben, die für Erbschafts- und Steuerfragen wichtig wäre. Die Anerkennung der Prostitution als Beruf würde möglicherweise wieder zurückgenommen und im Familienrecht würde mehr auf die Ehe mit Kindern und weniger auf die Lebensformen gebaut.
Die Außenpolitik wird wieder mehr auf Schulterschluss mit den USA setzen statt einer stärkeren europäischen Mündigkeit.
Im 100-Tage-Programm wird der Kündigungsschutz in den Betrieben reduziert, das Betriebsverfassungsgesetz geändert und dadurch für Arbeitnehmer schwächer gemacht, Mitbestimmung und Betriebsrat sollen geschwächt werden. Staatliche Programme werden mit höherer Verschuldung finanziert, während der Abbau der Sozialversicherung zugunsten der Gewinne privater Versicherungsgesellschaften vorangehen wird. So oder ähnlich kann oder wird es kommen.
Bliebe das Duo Schröder/Fischer im Amt, dann hätte diese Regierung eine Ländermehrheit gegen sich, wäre aber auch im Verbund der europäischen Staaten in der Schwierigkeit, sich mit konservativen und neoliberalen Extrempositionen auseinander zu setzen. Es wäre nicht sicher, dass das Arbeitsrecht weiter ausgebaut oder erhalten bleibt, doch aufgrund der vergangenen 4 Jahre spricht einiges dafür. Es wäre nicht sicher, dass die Sozialversicherungen erhalten bleiben, und auch andere "Härten" gegenüber Arbeitnehmern werden nicht unbedingt abgewehrt.
Es könnte aber auch Schröder/Westerwelle oder die große Koalition entstehen. Aber über solche schrecklichen Vorstellungen möchte ich nicht nachdenken.
Leider können wir am Wahlabend nicht mit einem Glas Rotwein in der Hand laut schimpfend oder in hysterische Schreie verfallend den Wahlausgang würdigen, weil sowohl ich als auch Thomas in unterschiedlichen Wahllokalen zu Wahlhelfern berufen wurden, wogegen man sich nicht so gut wehren kann. Und in Hessen wird ja auch noch über drei Verfassungsänderungen an der hessischen Verfassung abgestimmt, und das will ja auch abgezählt sein.
1. Sport soll Staatsziel werden. Man ist also dann für den Schutz der Menschenwürde, der Demokratie, der Natur und des Sports.
2. Die Legislaturperiode soll von 4 auf 5 Jahre verlängert werden. Man wird also einen ungeliebten Ministerpräsidenten erst nach 5 Jahren los statt nach 4.
3. Und das Land soll zahlen, wenn es Aufgaben auf die Gemeinden verschiebt. Dass das bisher nicht existiert, ist sehr verwunderlich.
Aber lassen wir das nun mal mit der Politik und wenden wir uns der Zeitschrift LUST zu. Wir haben trotz vieler Unkenrufe noch immer durchgehalten und die Zahl der AbonentInnen steigt, zwar sehr langsam aber steigt immerhin. Wir wollen aber besser werden und unsere Arbeit interessanter machen. Dazu brauchen wir neue Autorinnen und Autoren im Redaktionsteam. Nein, nicht solche Leute, die daherkommen und uns sagen wollen, wo es langgeht. Das können wir nicht gebrauchen und dazu sind wir nun wirklich zu alt. Aber wir brauchen Leute, die mithelfen wollen, die sich mit politischem und sozialen Engagement einbringen wollen.

Es grüßt Euch auch im Namen der anderen Lüstlinge

Joachim von der LUST