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- Grußwort zur 74. LUST
Die neue Weltordnung, die uns der Vater des gegenwärtigen
amerikanischen Präsidenten (der war übrigens gewählt
worden) angekündigt hatte, beginnt sich in ihren Konturen
zu zeigen.
- Also, es geht weltweit darum, dass alles, was irgendwie zu
Geld zu machen ist, dem internationalen Markt ohne Einschränkungen
offen stehen soll, dass jeder, der es sich leisten kann, darauf
zugreifen kann und darf. Und es geht darum,
dass diese neue Weltordnung, wenn es sein muss, dort, wo es sich
lohnt, mit Waffen erzwungen werden soll. Wo es was zu holen gibt,
aber irgend jemand es nicht einsieht, dass da jeder ran dürfen
soll, der es sich leisten kann, muss das erzwungen werden. Also
es geht um Krieg.
- Nach dem Zusammenruch des sogenannten Sozialismus ist die
siegreiche Marktwirtschaft bis in den letzten Zipfel der Sozialsysteme
des "alten Europa" auf dem Vormarsch, und schon bald
werden wir dank des GATS-Abkommens über die Liberalisierung
der Dienstleistungsmärkte unsere Erstklässler in Schulen
von Mc. Donalds schicken, und wenn wir den Wasserhahn aufdrehen,
können wir von ARAL oder anderen Konzernen beliefert werden,
wie sich das auf dem Strommarkt schon abzeichnet.
Um was geht es eigentlich? Seit einigen Jahren schon ist zu beobachten,
dass die Regierungen auch im alten Europa (im neuen Europa und
Großbritannien ohnehin) sich der sozialen Verantwortung
zu entziehen suchen, dass sie die soziale Verantwortung für
ihre oftmals verfehlte Politik der Bevölkerung selbst aufbürden.
Bildung, Sozialversicherungen, Versorgung der Bevölkerung
mit Energien und Wasser, öffentliche Verkehrsmittel, öffentliche
Medien usw. alles soll den Konzernen in den Rachen geworfen werden.
Zum Beispiel die Sozialversicherungen: Das Schlagwort von der
Eigenverantwortung verschleiert, dass wir uns entweder
privat versichern sollen oder eben das Risiko auf uns nehmen
sollen, mit immer weniger sozialer Versicherung zu leben. Das
ist die Goldgräberstimmung in den Versicherungen, das ist
andererseits der Abbau des Sozialstaates. Und so wird besonders
auch von den Versicherungskonzernen Druck gegen die sogenannte
Staatsquote gemacht, der Staat nehme viel zu viel Steuern ein,
die Lohnkosten seien zu hoch. Wenn aber der Staat immer weniger
Steuern einnimmt, kann er auch immer weniger ausgeben. Und wenn
die Sozialversicherungen immer weniger einnehmen sollen, können
sie auch immer weniger Leistungen erbringen. Aber das sei ja
auch gar nicht schlimm, das könne der Markt übernehmen.
Der Staat ist bald nur noch für die innere und die äußere
Sicherheit zuständig, alles andere wird dem Markt überlassen.
Dabei existiert aber das Problem, dass viele Menschen durch jahrelanges
oder lebenslanges Einzahlen in die Sozialversicherungen Ansprüche
erworben haben, was diese dann gemäß dem Generationenvertrag,
der über 120 Jahre durch alle Krisen funktionierte, aus
den aktuellen Einzahlungen begleichen müssen. Wer arbeitet
zahlt für die, die nicht arbeiten können; wer gesund
ist, bezahlt für die, die krank sind. Diese Ansprüche
belasten also deshalb die nachwachsenden ArbeitnehmerInnen so
stark, weil man dabei ist, ihnen neue private Formen der sozialen
Sicherung schmackhaft zu machen, während sie außerdem
noch in die alten Kassen einzahlen sollen.
Was hilft? Nun, zwischen den Generationen zu spalten, die älteren
Menschen nur noch als Belastung in den Medien darzustellen, obwohl
sie ihr Leben lang eingezahlt haben, ihnen vorzuhalten, es ginge
ihnen zu gut, und die jungen ArbeitnehmerInnen mit beiden Kosten
zu belasten. Das werden die sich nicht mehr lange gefallen lassen
und dann kann man die Ansprüche aus den Sozialversicherungen
einfach auskleckern lassen und die alten Menschen schrittweise
aus der Sozialhilfe ernähren, wenn es die noch gibt.
Im Hintergrund für diese Umwälzung steht die Krise
der marktwirtschaftlichen Ordnung überhaupt. Riesige Mengen
von Kapitalvermögen existieren (ohne Vermögenssteuer)
auf den Konten der Millionäre und Milliardäre währed
diekaufkraft der Löhne und gehälter immer weiter abgebaut
wird. Durch das Spekulieren mit Kapitalvermögen lassen sich
deutlich mehr Gewinne machen als durch die Produktion, denn die
langsam immer ärmer werdende Bevölkerung kann einfach
immer weniger kaufen. Warum soll also immer mehr in die Produktion
investiert werden, wenn die Rendite dort so niedrig ist?
Also sollen die Bereiche dem Markt geöffnet werden, in denen
es noch Kapitalvermögen gibt, der bisher dem Zugriff der
Konzernherren entzogen war, der öffentliche Dienstleistungsbereich.
Wie diese Zusammenhänge funktionieren, wie mit einer solchen
Politik zuerst der Mittelstand und dann das Staatswesen ruiniert
wird, hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Michel
Chossudovsky in seinem Buch Global brutal beschrieben,
das wir in dieser 74 Printausgabe der LUST vorstellen. Hier finden
wir z.B. den Zusammenhang zwischen Vorgaben der Weltbank und
der WTO und dem Ruin des Staates von Argentinien, der nun am
Tropf von Sponsoren aus der Reihe der Konzerne hängt und
handlungsunfähig ist. ds erinnert an die Zeit des Adels
kurz vor seinem Niedergang, als adlige Herren sich mit Wiisenschftlern
und Künstlern nach ihrem Gustus und von ihnen abhängig
umgaben. Die großen Konzernherren des Geldadels haben also
wieder das Mäzenatentum des Adels eingerichtet. Ohne Sponsoren
geht also nichts mehr. Auch die gegenwärtigen Kriege gehören
in dieses Szenario, währen in den Medien immer noch vom
Sturz von Diktatoren die Rede ist. Und Busch Junior, der nicht
die Mehrheit der Wahlbeteiligten hinter sich hatte, von den Wahlberechtigten
ganz zu schweigen, ist besonders durch die Öl-Lobby in das
Amt des Präsidenten gehievt worden.
Die hauptsächlich aus Gewerkschaften und Kirchen bestehende
Bewegung ATTAC möchte diese Entwicklung mit der Tobin-Steuer
bekämpfen, die spekulative Kapitalbewegungen besteuern und
damit eindämmen soll. Das Spekulieren mit Kapital soll wieder
teurer werden als das Produzieren. Ob dies, falls das überhaupt
durchsetzbar ist, den Zusammenbruch der marktwirtschaftlichen
Ordnung abwenden kann oder nicht, darüber streiten sich
die Wissenschaftler. Von Kirchenführern über Gewerkschaftsführern,
von kapitalistischen Wirtschaftswissenschaftlern über Fidel
Castro und andere Sozialisten, alle fordern die Tobin-Steuer
als Heilmittel.
Das Problem besteht darin, dass die einzelnen Nationalstaaten
in einen wahren Wettlauf untereinander verfallen sind, alles
Öffentliche zu privatisieren. Ständig werden neue Vorschläge
gemacht, wie funktionierende Staatsbetriebe in private Konzerne
umgewandelt werden können. Staatsbetriebe sind ja im Ursprung
Betriebe in den Bereichen, die aus politischen, kulturellen und
sozialen Gründen als notwendig angesehen werden, die sich
aber marktwirtschaftlich nicht rentieren und deshalb von marktwirtschaftlichen
Unternehmern auch nicht gegründet und geführt werden.
Der Sinn eines marktwirtschaftlichen Betriebes ist eben nicht,
Menschen kulturell zu unterhalten, Menschen sozial zu versorgen
oder Menschen preiswerte Verkehrswege zur Verfügung zu stellen.
Der Sinn ist auch nicht, für Arbeitsplätze zu sorgen,
sondern einzig Gewinne zu machen. Dies ist keine Propaganda,
sondern die Grundlage der marktwirtschaftlichen Ordnung, Lehrstoff
eines Betriebswirt-schaftsstudenten im ersten Semester.
Unterdessen ist es aber so, dass alles, was sich marktwirtschaftlich
nicht rentiert (also zu wenig Gewinne abwirft) als entbehrlich
und zu kostspielig betrachtet wird. Das führt dazu, dass
große Bereiche unseres kulturellen Lebens verschwinden
werden, dass ein Leben jenseits der Verdienstmöglichkeiten
der Konzerne überhaupt nicht mehr zur Kenntnis genommen
wird. Die Privatisierung von Schulen z.B. hat im Bereich der
Berufsausbildung in Hamburg dazu geführt, dass nicht mehr
der Staat durch beamtete Lehrer einen gewissen Standart an Wissen
zu garantieren versucht, sondern dass in staatlich gestützten
Projekten der Bildungsstoff nach seiner Tauglichkeit für
die marktwirtschaftliche Produktion sortiert wird. Auch in Universitäten
wird zunehmend die Zusammenarbeit mit größeren Konzernen
propagiert, was natürlich dazu führt, dass Bereiche,
die für diese Konzerne uninteressant sind, immer weniger
von Bedeutung sind.
Diese Tendenz wird auch Auswirkungen auf unsere Szene haben,
die noch zu untersuchen sein werden. Selbstorganisierte Zentren,
die von öffentlichen Trägern finanziert werden, werden
sich nicht mehr halten können. Überhaupt ist die Hinwendung
eines großen Teiles der wissenschaftlichen, kulturellen
und politischen Lesben- und Schwulenszene zu öffentlich
unterstützten Einrichtungen vor ihrem Ende. Solche wissenschaftlichen,
kulturellen und politischen Einrichtungen sind für eine
Szene, die einen Emanzipationsanspruch hat und sich die Kraft
verschaffen muss, für sich selbst einzutreten, von entscheidender
Bedeutung. Hübsche Jungs in einer Disco anbaggern ist eben
nicht alles, was homosexuelle Männer zu interessieren hat.
Ein Wollhändler muss außer günstig einkaufen
und teuer zu verkaufen auch noch darauf bedacht sein, dass der
Handel mit Wolle unbehindert vonstatten geht., schreibt
Brecht im Galilei. Und ohne schwule Geschichte wird es uns nicht
möglich sein, auf Anforderungen, die die Zukunft für
uns bereit hält, sinnvoll und erfolgreich zu reagieren.
Eine schöne und harmonische Beziehung einzurichten, wird
für Lesben nicht ausreichend sein, wenn nicht dafür
gesorgt wird, dass die Emanzipation der Frau den Spielraum für
Beziehungen von Frau zu Frau ermöglicht und aufrecht erhält.
Wenn unsere Institute an den Universitäten und
unsere sozialen sowie kulturellen und politischen Einrichtungen
nur mehr von Sponsoren abhängig sein werden, möglicherweise
wirtschaftlich geführt von den Gay-Managern und politisch
kontrolliert von Lesben und Schwulen in der Union, wird es mit
unserer Emanzipation nicht so weit her sein.
Politische Szenen benötigen eine gut funktionierende Infrastruktur,
wenn sie in ihrer Vielfalt erfolgreich sein wollen. Dass die
Betreiber der Entwicklung, die ich hier beschreibe, auf Menschlichkeit
keine Rücksicht nehmen, geht nicht nur aus dem gegenwärtigen
Krieg hervor. Der US-Präsident, der sich als Präsident
der Welt aufspielt, hat offensichtlich die Macht und die Möglichkeit,
vor der Uno deutlich erkennbare gefälschte Beweise vorzulegen.
Er belegt damit, was er von demokratischen Institutionen hält.
Die Kosten, die der Krieg verursacht, hätten sicherlich
ausgereicht, die gesamte Führungsspitze des Irak ins Exil
zu kaufen. Allerdings würden dann vielleicht amerikanische
und englische Truppen nicht die Ölquellen kontrollieren.
Und so scheint es keine Rolle zu spielen, wieviele Menschen durch
die Bombardierung der großen Städte umkommen. Dabei
haben wir das Problem, dass wir die Aroganz und Anmaßung
der Macht des amerikanischen Präsidenten einerseits ablehnen,
den Machthabern den Sieg des Krieges eigentlich gar nicht gönnen.
Angriffskriege und die Begründung, dass man einer möglichen
Gefahr, die nicht da ist, vorbeugen wolle, das stellt alle Vereinbarungen
über Krieg und Frieden zwischen Staaten in Frage. Andererseits
können wir natürlich schon gar nicht einem Sadam Hussein
den Sieg gönnen. Auch dies würde der Welt Signale geben,
die zu Missverständnissen führen könnten.
Globalisierung ist Sozialabbau und Krieg, das erweist sich zunehmend.
Unter den unser aller Leben beeinflussenden Ereignissen einschließlich
des dazugehörenden Irak-Krieges verblassen andere interessante
Themen. Die Dominanz der Globalisierung ist auch in dieser Ausgabe
der LUST zu spüren, aber es gibt ja keine Möglichkeit,
diesen Themen zu entgehen. Daher glauben wir, dass sie auch in
eine Zeitschrift wie die LUST gehören.
Die Lüstlinge der LUST-Redaktion wünschen Euch viel
Genuss an der wieder aufblühenden Natur als Erholung von
all den Sorgen,
Euer Joachim von der LUST
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