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- Grußwort zur 78.LUST, Frühling 04
- Da ist wieder einmal eine Ausgabe der Zeitschrift LUST. Und
sie hat wieder ein buntes Spektrum an Themen in dieser grauen
Zeit für Euch bereit. Und dass die Zeiten so grau sind,
dass einem das Grauen kommt, wenn man sich umsieht, dass weiß
schließlich jeder und damit erzähle ich ja gerade
Euch nichts Neues.
In den Lokalen wird es leerer, und das hat auch etwas damit zu
tun, dass man sich das Geld einteilen muss. Alles wird teurer.
Die wichtigsten Ausgaben kommen zuerst, für die Kneipe bleibt
nicht mehr so viel. Schrittweise werden die Sozialversicherungen
privatisiert, die Preise für die vielen kleine Dinge, die
man so im Leben benötigt, nehmen rundum zu. Dann sind noch
Lebensmittel zu besorgen, das Geld ist weg, ohne dass man mal
ausgegangen ist.
Wo soll man noch jemanden kennen lernen? Wo kennt man uns mit
unserem Namen? Wo fällt es auf, wenn wir nicht da sind beziehungsweise
wenn wir da sind? Unsere sozialen Vernetzungen, ich meine die
unserer Szene, so erbärmlich sie sind, zerreißen immer
mehr: Es droht die Vereinzelung von vielen Menschen unserer Szene.
Egal in welche Bereiche des Lebens wir schauen, überall
bekommt man nur schlechte Nachrichten. Das spiegelt sich natürlich
auch in den Beiträgen in dieser Ausgabe der LUST. Ich hoffe
aber, dass wir den Zeitgeist derart eingefangen haben, dass Ihr
Euch zwar in den vorliegenden Beiträgen wiederfinden könnt,
dass ihr aber durch uns nicht noch weiter entmutigt werdet.
Konservative PolitikerInnen schmücken sich mit Erfolgen
beim Lohn- und Sozialabbau und in Deutschland auch angeblich
nicht Konservative.
Die Medien haben Verständnis für den Abbau, weniger
Verständnis zeigen sie für die Menschen, die durch
den Sozialabbau in Katastrophen geworfen werden. Der designierte
Bundespräsident, der den Sozialabbau für ein Naturgesetz
zu halten scheint, bestimmt schon öffentlich, wer Kanzlerin
werden soll. Da kommt was auf uns zu. Könnt ihr es euch
vorstellen, dass wir ab 2006 oder schon früher wieder von
der Union regiert werden?
Das bedeutet wieder die konservative Familienpolitik, die weitere
Belastung von Kinderlosen, eine Veränderung der Lage der
Lesben und Schwulen, denn für konservative PolitikerInnen
ist es eher selbstverständlich, sich gegen uns zu ereifern,
statt uns nicht weiter zu helfen. Deutschland wird wieder ganz
eng mit den USA zusammenarbeiten, wie z.B. Spanien vor der Wahl,
und wird in jedem Krieg mitmischen, der von Bush angezettelt
wird. Das Dumme ist, dass die gegenwärtige Regierung nur
in ganz wenigen Bereichen eine Alternative gegenüber dem
Szenario darstellt, das mit dem anstehenden Regierungswechsel
auf uns zukommt.
Könnt ihr euch vorstellen, was es bedeutet, wenn die CDU
mit einer absoluten Mehrheit in Berlin regieren wird, mit einer
Mehrheit bei den Bundesländern und weiteren Mehrheiten in
allen Gremien? Da kann ich nur sagen, es kann wohl immer noch
schlechter kommen.
International hört man auch nur von terroristischen Anschlägen,
was uns beinahe vergessen lässt, dass es viele rechtsradikal
verhetzte Menschen in Deutschland gibt, die mindestens eine genauso
große Gefahr für Lesben und Schwule darstellen wie
islamische FundamentalistInnen, von deren Terrorkommandos ganz
zu schweigen. Aber es gibt auch gute Nachrichten, wenn wir über
die Grenzen schauen. Es lohnt sich, besonders nach Südamerika
zu sehen.
Gibt es wenigstens im Kulturbereich Erscheinungsformen, die uns
aus der Frühlingsdepression herausholen können? Wir
haben uns umgeschaut und wenig gefunden.
Bleibt vielleicht das zwischenmenschliche kleine Glück,
sofern es sich einstellt. Stellt es sich ein? Die Voraussetzungen
dafür sind ja nicht so schlecht, sollte man meinen, weil
Zwischenmenschliches dann Konjunktur zu haben scheint, wenn es
nichts anderes zum Freuen gibt. Andererseits, wenn du derzeit
alleine bist, sind doch die Bedingungen schlechter geworden,
jemanden kennenzulernen. Schon wieder etwas Depressives?
Nun muss es ja nicht so sein, dass man/frau die schlechten Nachrichten
als KommentatorIn ständig weiter erzählt, als ob man
nicht doch das eine oder andere selber tun könnte. Wir zumindest
mischen uns wieder in die Politik ein, natürlich gegen Krieg,
Sozial- und Lohnabbau, und siehe da, wir treffen auf Leute, die
auch nicht nur mutlos rumjammern, sondern sich mit einiger Hoffung
engagieren. Irgendwie schienen wir vergessen zu haben, wie man/frau
sich wehren kann. Aber nicht hinsehen nutzt ja auch nichts.
Übrigens, lesbische und schwule Emanzipation scheint sich
weltweit auf das Thema Homoehe zu reduzieren. Wenn unsere PartnerInnenschaften
eheähnlich werden, sind wir dann glücklicher? Sind
dann auch die meisten unserer Probleme weg? Gibt es eigentlich
jenseits der Ehefragen heutzutage spezielle Probleme für
Lesben und Schwule?
Und ob! Schleichend entsteht ein neues Selbstverständnis
über den Umgang der Heten mit erkannten Lesben und Schwulen.
Besonders junge Schwule haben es in ihrem altersgleichen heterosexuellen
Umfeld wieder mit ihren Bedürfnissen schwerer, zu sich selbst
zu stehen. Und besonders ältere Schwule haben dieses Problem
im schwulen Umfeld.
Was die LUST betrifft, so wird sie noch einmal in dieser euch
bekannten Form erscheinen. Nur keine Angst, unsere Arbeit soll
besser werden und wieder enger mit der Szene verzahnt.
Wir wünschen euch schöne anregende Frühlingstage,
'ne erholsame Fastenzeit und danach dicke bunte Eier. Sehen wir
uns zu Pfingsten in Mainz auf der Zitadelle?
Es grüßt euch, auch im Namen der anderen Lüstlinge,
euer
Joachim von der LUST
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