- 80. LUST, Herbst 04
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- Unter uns!
- Dies ist also die 80. Ausgabe der Zeitschrift LUST, die als
kostenlos verteiltes und durch Werbung finanziertes Blatt begann.
Vorher gab es eine Szenenzeitung namens NUMMER. Und davor haben
wir das IHM-Info herausgegeben. Wir machen also schon recht lange
Zeitungen und Zeitschriften. Wir haben auch schon viele Menschen
mit der IHM-Info, der NUMMER und der LUST in ihrem lesbischen
bzw. schwulen Leben begleitet, und zwar immer die, die das wollten.
Unser Verlag hat vor (also wir haben vor), wieder was Neues zu
machen, während die vierteljährlich erscheinende LUST
als Schatzkästchen erhalten bleiben soll.
Die LUST bietet die Möglichkeit, Themen etwas intensiver
und tiefgründiger zu betrachten, als das in den Szeneblättern
möglich ist. Warum muss man tiefgründiger untersuchen?
Weil es durch dieses Behandeln eines Themas möglich ist,
der sogenannte Aufklärung auf die Sprünge zu helfen.
Ein Mensch kann eigentlich nur dann fachkundig über eine
Sache urteilen, wenn er sich fachlich kundig gemacht hat. Wir
suchen als LeserInnen für die etwas elitäre Zeitschrift
LUST nicht den Massengeschmack, sondern vorrangig eher die fachkundigen
Meinungs-führerInnen der Szene.
In dieser Ausgabe haben wir wieder eine gelungene Mischung gesellschaftspolitisch
relevanter Themen zusammengestellt. Es geht mit dem Titelthema
um biologistische Argumentation, die immer häufiger zu lesen
oder hören ist. Nur, meistens haben Biologisten mit ihren
Behauptungen, mit der sie uns pfiffig attackieren, wie sie meinen,
nicht einmal recht. Und deshalb ist es nötig, sich mit solchen
Themen auch zu beschäftigen.
Das wichtigste Thema dieser Ausgabe ist aber das zur Arbeitsmoral
und begleitend, zu Sexualmoral, weil die Bedingungen der Arbeitswelt
sich gegenwärtig weltweit ändern. Und in Deutschland
heißen diese Änderungen Hartz I, II, III und IV sowie
Agenda 2010. In anderen Staaten werden sie anders genannt, bewirken
aber das gleiche: wer an der Arbeit verdient ist nicht der, der
die Arbeit macht. Wer die Arbeit macht, soll möglichst wenig
erhalten. Er soll so wenig erhalten, dass er auf andere Hilfen
angewiesen ist, die ihn zwingt, sich dem Staat gegenüber
so gläsern wie möglich zu offenbaren. Hier wächst
schrittweise der autoritärer werdende starke Staat heran.
Warum ist es nötig, dass der Staat für die kleinen
Leute autoritärer wird? Nun, weil man ihnen noch mehr wegnehmen
wird und deshalb Unruhen (für die Oberschicht) ins Harmlose
kanalisieren und abdrängen will.
Auch die Reihe Körperwelten haben wir weitergeführt,
und während wir in der 79. LUST Anlass fanden, und kunsthistorisch
mit dem Begehren der Frau am Knaben zu beschäftigen, haben
wir uns dieses Mal des Männerbildes angenommen. Was wir
als normal männlich empfinden, was in der Kunst und in den
Medien als erstrebenwert männlich dargestellt wird, das
ist nicht Natur, sondern eine Konstruktion zugunsten
der wirtschaftspolitischen Interessen des Bürgertums. Und
besonders junge Männer halten sich an solche Vorgaben, unterstützt
von eben so naiven jungen Frauen, die jedes Abweichen von solchen
Normen als lächerlich diskriminieren.
Eine unbekümmerte neue Generation junger schwuler Männer
möchte sich nicht mehr sexuell bevormunden lassen, das scheint
emanzipatorisch zu sein. Aber sexuelle Emanzipation hat sich
in der Vergangenheit gegen religiöse und staatliche Moralapostel
und ihren freiwillen HilfspolizistInnen gerichtet.
Nicht so emanzipativ ist es, wenn es sich gegen die Notwendigkeit
richtet, sich und andere vor Aids zu schützen. Oder doch?
Wenn die Aids-Aufklärung mit der neuen Moralwelle verknüpft
wird, was zwar nicht durch die Aids-Hilfen, wohl aber in der
Jugendszene geschieht, dann kann es passieren, dass sich die
jungen Menschen von den Appellen nicht mehr angesprochen fühlen
und bareback sehr hohe Risiken eingehen.
Nichts wäre nun unsinniger, als erneut den moralischen Zeigefinger
zu erheben. Und so hat sich Bernd sehr sachkundig mit diesem
Thema beschäftigt.
Familienleben und also sexuelles Leben ist ein Menschenrecht.
Und für homosexuelle Menschen ist demzufolge auch homosexuelles
Leben und unsere Form unseres Beziehungsleben ein Menschenrecht.
Das sehen solche Heten nicht ein, die offensichtlich in ihrem
Persönlichkeitsselbstbild, das offensichtlich ein selbstschmeichelndes
Zerrbild ist, durch uns irritiert werden. Wie anders ist zu erklären,
dass es noch immer gewalttätige Übergriffe gegen uns
gibt, einfach nur deshalb, weil wir da sind? Auch um dieses Thema
haben wir uns in dieser Ausgabe der LUST gekümmert. Ihr
seht also, wenn wir nicht da wären, wer würde das alles
analysieren und aufarbeiten?
Und so können wir Euch stolz wieder einmal eine LUST präsentieren,
die den Anspruch erheben kann,
ein Blatt der Emazipationsbewegung zu sein.
Wir Lüstlinge wünschen Euch LUST-Fans einen schönen
Herbst mit vielen angenehmen und erbaulichen Stunden beim LUST-Lesen,
Euer
Joachim von der LUST
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