- 100. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 09
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- Interview vom 10.07.09
Tommy und sein Weg
Wir stellen Euch hier den Tommy vor, der in der Aidshilfe Hanau
arbeitet, und zwar für Männer, die Sex mit Männern
haben. Er stammt aus Dänemark und ist über eine schwule
Freundschaft nach Hanau gekommen.
Wir haben ihn bei einer Fachtagung in hessischen Sozialministerium
kennen gelernt. Obwohl er noch einen anderen Termin in Wiesbaden
wahrnehmen wollte, war er bereit, und ein Interview zu geben.
Die Fragen für die LUST stellte Joachim.
LUST: Sag mal Tommy, warum
bist Du überhaupt zu dieser Fachtagung gegangen. Was hat
Dich an dem Thema Emigration interessiert?
Tommy: Ja, die zwei Komponenten, die da waren. Weil ich
habe auch in Dänemark fünf Jahre lang bei "Stop
AIDS" gearbeitet. Und dann war immer diese Zielgruppe die
schwierigste Gruppe in Griff zu kriegen.
LUST: Bei was hast Du gearbeitet?
Tommy: "Stop AIDS" heißt das. Das ist
eine HIV-Organisation für schwule Männer.
LUST:
in Dänemark.
Tommy: Genau!
LUST: Und da
Was meinst Du mit "in Griff kriegen"?
Tommy: Ja, was mein' ich damit.
LUST: Die MigrantInnen beraten zu können?
Tommy: Ja genau. Die haben unsere Angebote nicht so genutzt,
wie wir es gerne hätten. So wie heute eigentlich auch manche
gesagt haben: "Was können wir für die lesbischen
und schwulen Migranten machen? Oder warum machen die sowas nicht
selbst, so ne Dings?" Das haben die dann in Kopenhagen gemacht.
Das nennen wir "Salon Oriental". So es heißt
nicht "türkische" oder "griechische"
oder irgendwas. Aber alle, die irgendwie aus anderen Ländern
nach Dänemark kommen, die gehen zum "Salon Oriental".
Die machen Beratung, die machen Partys, die machen alles Mögliche.

LUST: Das haben wir ja leider im Rhein-Main-Gebiet nicht,
so etwas.
Tommy: Das kommt vielleicht noch!
LUST: Ja, vielleicht kommt es
Also, wir haben Flugblätter
gemacht, wir haben versucht homosexuelle Migranten anzusprechen,
ob sie nicht hier her kommen wollen zu uns. Aber es hatte keine
Resonanz. Ich denke mal, wir können Flugblätter machen,
aber wir können nicht, wenn die Migranten ein Fest machen,
dort hingehen und das verteilen. Das kriegen dann meistens nur
Schwulenfeinde in die Hände und die anderen nicht. Wir erreichen
die vielleicht gar nicht.
Tommy: Genau! Und ich sehe es auch so: Manche von den
Migranten sind auch so gut integriert in der Schwulenszene und
haben es dann nicht nötig. Aber es gibt auch andere, die
haben es nötig.
LUST: Es gab schon mal eine Fachtagung zu dem Thema Migration
im Sozialministerium und da haben wir erfahren, dass in diesen
Familien eine viel stärkere Familienbindung ist, also in
der Herkunftsfamilie, und die gar nicht individuell sich lösen
können. Wenn sie sich individuell lösen würden,
würden sie sich von vielem lösen und das würden
sie nicht verarbeiten können.
Tommy: Ich glaube bei denen heißt es "du bist
für uns" oder "du bist gegen uns". Aber da
kann man ja auch diese Weltkarte, die dort war, mal angucken.
Jedesmal wenn man einen Migranten vor sich hat, kurz auf die
Weltkarte gucken, aus was für einer Problemstellung kommt
dieser Mensch eigentlich. Vielleicht aus einen Land, in dem es
ein Todesurteil ist, schwul zu sein. Und dann ist es klar, wenn
seine oder ihre Familie diese Einstellung hat, dann ist es ganz
schwierig.
LUST: Ja, und jetzt arbeitest du in Hanau in der AIDS-Hilfe.

Tommy: Genau!
mit Beratung und auch Präventionsarbeit
in Schulen. Da arbeite ich mit der Zielgruppe alle, auch
Heteros. Aber mein Schwerpunkt und warum die mich dahin geholt
haben, ist um da was Neues zu schaffen für MSM - so nennen
wir das. Männer, die mit Männern Sex haben.
LUST: Und als Hobby massierst Du? Deine Visitenkarte ist
Reklame
Tommy: (lacht) Ja, ich habe
eigentlich bin ich
ja zum Englischlehrer und Sportlehrer ausgebil-det
dann
später Schwimmlehrer, dann Aerobic-Instrukteur, dann Fitness-Instrukteur
und dann habe ich extra Psychologie studiert, um Persönlichkeitstester
zu werden. Und meine letzte kleine Ausbildung ist jetzt wieder
Anatomie, Physiologie usw., um Masseur zu werden.
LUST: Und hast Du einen Platz in Hanau, wo Leute hinkommen
können, um sich von Dir massieren zu lassen?
Tommy: Gerade jetzt nur bei mir zuhause in der Wohnung.
Aber ich habe mich jetzt gerade bei einem Fitness-Center beworben.
Die haben einen freien Raum und möchten eigentlich gerne
einen Masseur einstellen. So bekomme ich dort vielleicht ein
bisschen Extraarbeit.
LUST: Es geht nicht um erotische Massagen?
Tommy: (lacht) Bei mir nicht! Nur mit meinem
wie
heißt das auf Deutsch
Boyfriend.

LUST: (lacht auch) Ah ja. O.K.!
Tommy: Aber da gibt's mehrere Möglichkeiten.
LUST: Du hast mir gleich gesagt, Du ist HIV-positiv.
Tommy: Ja.
LUST: Warum?
Tommy: Ja, weiß ich auch nicht. Du hast ich ja angesprochen
wegen der Fotos und dann habe ich ein Blatt gesehen, wo da auch
vorne mit diesem Foto ein Interview war. Und dann hab ich gedacht,
o.k. vielleicht kann ich mehr als ein Foto sein und was zu dem
Foto sagen und zwar in einem Interview. Und da ist es für
mich immer wichtig, Vorurteile abzubauen, uns als Schwulen und
Lesben gegenüber aber auch HIV-Positiven gegenüber.
Und das habe ich in Dänenmark in den letzten Jahren auch
sehr oft gemacht, im dänischen Fernsehen, Dokumentarfernsehprogrammen,
in Zeitungen und überall. Ich mach das gerne und ich hab
die Erfahrung gemacht, dass das auch was bringt. Also die Rückmeldungen,
die von den Leuten kommen
LUST: Welche Rückmeldungen sind das, von denen Du
den Eindruck hast, dass das war bringt?
Tommy: Also von unserer Familie, so nenne ich das immer,
die LGBT-Community hat mich sehr unterstützt und fand es
toll und stark, dass ich das mache. Und von vielen anderen in
der sogenannten normalen Bevölkerung von Dänemark,
waren die Rückmeldungen auch sehr stark und sehr mutig.
Meine Intension damit ist ja, dass Leute dann in diesem sicheren
Raum, wie heute ja auch gesprochen worden ist, dass die Leute
dann im Fernsehen ein Programm anschauen und da sitzt so ein
Mann und er hat Kinder und er glaubt an Gott und er ist HIV-positiv
und er ist eigentlich ganz normal. Und dann können die Leute
zuhause im sicheren Raum über sowas dann reden. Und dann
bilden sich dann schon die ersten Eindrücke und dann bewegen
sich die Leute schon in die Richtung, die ich gerne möchte,
mehr Offenheit und mehr Platz und Vielfalt usw. Das ist das wichtigste
für mich, warum ich das mache.
LUST: Das ist eine zweite Form von Coming-out?

Tommy: Ja. Und das war meine Erfahrung. Auch die zwölf
Jahre verheiratet sein mit dieser Frau, meiner Ex-Frau und die
zwei Kinder usw. In die Scheidung kam ich ja als schwuler Mann
und das war schon ein großer Sprung und für meine
Eltern und die Kirche und das Ganze war Ende von alles. Konnte
sie gar nicht mitmachen. Die Scheidung alleine, dann kam ich
raus als schwul, dann sechs Monate später kam ich an mit
einem schwarzen Mann aus den USA. Er konnte kein Wort dänisch
und er hat mich dann mit HIV angesteckt. Aber dann hab ich gedacht,
ich kann nicht noch mal so in Schrank rein steigen und meine
HIV-Positivität für mich behalten und dann
meine
Erfahrung meines Coming-outs als schwuler Mann hat mir soviel
Kraft oder Freiheit oder Lebensfreude gebracht irgendwie. Und
dann hab ich gedacht, ich schaff es nicht nochmal jahreslang
irgendetwas zu verstecken. Denn ich rede immer zu viel
und dann ist es leichter wenn jeder alles weiß. Und dann
brauch ich mir nicht immer zu überlegen "weiß
er das oder weiß er das" oder "wo kann ich das
sagen und wo nicht". Und so, wie du gesagt hast, mein zweites
Coming-out als Positiver kam dann ganz schnell.
LUST: Es gibt ja Menschen die konservativ sind, in einem
konservativen Umfeld sind und ihre Homosexualität nur heimlich
leben und die ganze Zeit einen "normalen Bürger"
auf ihrer Arbeit oder in ihrem Umfeld zeigen. Das wäre jetzt
für Dich genau das Gegenteil. Das wäre nicht Dein Leben.
Tommy: Jetzt nicht mehr. Früher war mein Leben genauso.
Ich war ja Prediger in der Lutheranischen Kirche.
LUST: Ach so?
Tommy: Meine Ex-Frau hat aber in den ganzen 12 Jahren
gewusst, dass ich nebenbei Sex mit Männern hatte. Das hatte
ich vor der Ehe und während der Ehe und jetzt immer noch.
Ich meine, ich war immer schwul. Aber die Umgebung und die Kirche
und die Erwartungen der Leute hatten mich dazu gebracht, eine
Frau zu heiraten. Aber das war falsch. Aber jetzt bereue ich
das nicht.
LUST: Aber Du hast immerhin Kinder.
Tommy: Genau.
LUST: Wie viele Kinder?
Tommy: Victoria Valentine ist die Älteste. Sie ist
jetzt 17 Jahre alt. Und Alexander Albert, ein Junge, er ist 14.
Die zwei
LUST: Zwei Kinder. Und die wissen, dass Du schwul bist?
Tommy: Oh ja!
LUST: Und sie sind auch schwul oder lesbisch?
Tommy: (lacht)
Wissen wir noch nicht.
(alle lachen)
Tommy: Nee, ich glaube nicht. Wie ich das mitkriege, ist
das ganz o.k. für die Kinder. Die gehen ja auch mit mir
Ich mache ja auch Drag und wenn ich da Damenschuhe kaufe
oder ein wunderschönes Kleid, dann sind die ja auch manchmal
mit dabei.
LUST: Also Ihr wohnt noch zusammen?
Tommy: Nee.

LUST: Aber das war so. Ihr hattet zusammen gewohnt.
Tommy: Ja. Also nach der Scheidung haben wir nur so fünf
Minuten voneinander gewohnt. Dann habe ich fünf Jahre drei
Stunden voneinander entfernt gewohnt. In Kopenhagen
die
wohnen ja in Arhus, zweitgrößte Stadt in Dänemark.
Und jetzt ein halbes Jahr acht Stunden entfernt, hier in Deutschland.
LUST: Und die akzeptieren das?
Es bleibt ihnen
ja auch gar nichts anderes übrig.
Tommy: Ja
Ja, es funktioniert ganz gut. Ich sitze
immer noch im Vorstand in der Schule von meinem Sohn in Arhus.
So muss ich jede fünfte/sechste Woche sowieso dorthin zum
Treffen und dann wohne ich immer im Haus meiner Exfrau.
LUST: Dänemark war ja in der deutschen Literatur,
in der schwulen Literatur, immer ein günstiges Land, weil:
dort gab's keine Strafgesetze gegen Homosexuelle.
Tommy: Echt?
LUST: In Deutschland war Homosexualität noch verboten,
in Dänemark war es nicht mehr verboten.
Tommy: Ja, Dänemark war am Anfang schon ganz vorne
und Dänemark war ja auch das erste Land auf diesem Planeten
Im Jahr 89 die registrierte Partnerschaft war Dänemark
das erste Land. Aber danach hängen wir
LUST: Also eine Ehe gibt es nicht.
Tommy: Nein. Aber jetzt haben wir am Ende dieses Monats
ja Outgames 2009, diese große Schwulenolympiade. Ganz großes
Programm
ganz großes politisches Programm und ganz
großes kulturelles Programm. Und da werden die Politiker
immer was zu unterschreiben. Und da hoffen wir, dass Dänemark
jetzt den nächsten großen Schritt in die richtige
Richtung machen wird. Und dann werde ich auch da sein.
LUST: Und Deine Kirche, von der Du Pfarrer warst, wird
die das anerkennen.
Tommy: Nein, die sind so konseratitv.
Also meine
Exfrau und ich haben die Kirche, damals als wir noch ein Ehepaar
waren, verlassen. Weil es war zu strikt für uns. Und dann
waren wir in anderen Kirchen unterwegs, die offener waren.
LUST: Und jetzt lebst Du hier in Deutschland mit einem
Freund.
Tommy: Nee, jetzt bin ich Single. Ich bin ja wegen meinem
jetzt Exmann hierher gekommen. Habe ihn 1 ½ Jahre lang
gekannt und
Er war ja dreimal verheiratet mit drei Frauen.
Er hat fünf Kinder und da hatten wir ja was Gemeinsames.
Und da hatten wir plötzlich sieben Kinder
Aber dann
haben wir eine Wohnung in Frankfurt gefunden mit-einander. Und
dann war er immer noch eine Woche bei mir und ich eine Woche
hier und hin und zurück usw. Und dann im Dezember bin ich
endlich hierher gezogen und hab ja diesen Job in Hanau bekommen
aber Januar. Aber dann schon im Januar hab ich gemerkt, nee,
das geht überhaupt nicht. Also, wenn wir über die Zukunft
und was wir wünschen usw. geredet haben, waren wir uns immer
vollständig einig, aber zusammen zu wohnen und zu leben,
da hab ich schon ganz schnell mitgekriegt, nee, er will was ganz
anderes.
LUST: Also wenn Ihr noch immer getrennt wohnen würdet,
würde es gehen?
Tommy: Nein.
LUST: Nein?
Tommy: Nein, da ist überhaupt kein Kontakt mehr!
Aber das kommt vielleicht später.
LUST: Vielleicht hättet ihr überhaupt keinen
Streit bekommen, wenn ihr nicht zusammengezogen wärt.
Tommy: Ah, das meinst Du. Das kann ja sein.
LUST: Weil das eine andere Qualität von Zusammenleben
ist.
Tommy: Aber er hat so eine Art Doppelleben gelebt und
das hab ich ja dann mitbekommen.
LUST: Und das ist für Dich nicht mehr akzeptabel.
Tommy: Nee. Also wenn er das eine immer sagt und das andere
macht, dann macht es für mich keinen Sinn. Also ich bin
ein ehrlicher und offener Mensch und wenn er mit Ehrlichkeit
anders umgeht, dann finde ich es ganz schwierig. Und dann hab
ich einen Punkt gemacht.
LUST: Gibt es noch weitere Interessen, die Du hast? Sagen
wir mal Politik?
Tommy: Ja, ich hab jahrelang in Dänemark für
die Lesben und Schwulen auch in politischen Organisationen gearbeitet.
War auch Vorsitzender für die Kopenhagener Abteilung und
war im Landesverband im Vorstand auch dabei. Und Dänemark
ist ja so ein kleines Land, ist so etwa wie Hessen. In Kopenhagen
kennt man die Politiker im Parlament schon sehr gut
LUST: Ja, es ist größer als Hessen.
Tommy: Dänemark?
LUST: Ich glaube.
Tommy: Ich glaube nicht.
LUST: Na, wenn man allein Grönland rechnet.
Tommy: (lacht) Ja, Grönland. Das ist richtig. Unser
Kühlschrank da oben.
LUST: Die Färöer Inseln sind ja jetzt selbständig.
Die gehören nicht mehr zu Dänemark.
Tommy: Die gehören zum Königreich.
LUST: Und früher hat ja mal auch Norwegen dazugehört.
Tommy: Ja, und Schweden und ein Teil von Deutschland.
LUST: Ja, ja, ich weiß.
Tommy: Und die Wikinger haben ja auch England erobert.
LUST: Ja.
Tommy: Aber jetzt
LUST: Also ein bisschen dänischer Imperialismus wäre
nicht schlecht?
(lachen)
LUST: Also, ihr habt politische Organisationen. Sind die
erfolgreich in Dänemark?
Tommy: Ja, was soll ich dazu sagen. Ich finde ja, wir
sollten viel weiter vorne sein.
LUST: Was könnte noch passieren, damit
Tommy: Wir sollten ja genau dieselben Rechte haben wie
Heterosexuelle auch. Auch wenn es um Erbschaft geht und Ehe,
wenn es um Kinder geht, um Adoption und was weiß ich. Warum
soll da überhaupt ein Unterschied sein? Das ist doch alles
Schwachsinn. Wir sind genauso Menschen wie alle anderen auch.
Wir schlafen, wir essen, wir trinken, wir haben Sex, wir gehen
arbeiten und was weiß ich. Nur weil ich Sex mit einem Mann
habe, soll ich das und das und das nicht haben? Das finde ich
doch schwachsinnig.
LUST: Du siehst Dich aber als Däne überwiegend?
Nicht als Deutscher.
Tommy: Ich bin überhaupt nicht deutsch. (lacht) Ich
bin hundert Prozent Däne.
LUST: O.k.
Tommy: Da muss ich schon länger hier bleiben, um
dieses Gefühl zu kriegen, glaube ich.
LUST: Ich glaub, das muss schon sehr schwierig sein, sich
als Deutscher zu fühlen, wenn man aus einem anderen Land
kommt. Ein Ich-Gefühl für Deutschland zu bekommen,
muss schon sehr schwierig sein.
Tommy: Ja, ich glaube, das dauert schon ne Weile.
LUST: Man bekommt es von den Deutschen auch nicht so leicht
gemacht.
Tommy: Nein?
LUST: Meinst Du nicht?
Oder meinst Du?
Tommy: Nee, was soll ich sagen
ich weiß nicht
Also die Behörden hier, sind, wie soll ich sagen,
ein bisschen bekloppt oder
Die sind nicht so servicefreundlich
wie ich es gewohnt bin in Dänemark. Wenn man hier sich anmeldet
als neue Person, dann hab ich die ganze Zeit das Gefühl,
ich bin ein Problem.
LUST: Ja.
Tommy: Und das bin ich nicht gewohnt in Dänemark.
Wenn man sich anmeldet oder Pass oder Führerschein oder
Umzugspapiere oder was weiß ich, dann sitzen mir gegenüber
Leute, die mir einen Service anbieten. Aber das hab ich hier
in Deutschland ein bisschen anders erfahren.
LUST: mmm
Tommy: In Frankfurt auf jeden Fall. Als ich nach Hanau
umgezogen bin, da war das mehr so ein Bürgerservice-Center
und die waren zu mir gut drauf.
LUST: Mmm
Was gibt es denn noch, was ich Dich fragen
kann?
Tommy: Über HIV!
LUST: Ja? Über Deine Leben mit HIV? Ja, was hat sich
denn geändert nachdem Du das wusstest?
Tommy: Erstens war es ja für die ganze Familie und
meine Kinder und Exfrau ein Schock, weil die ja auch nicht so
aufgeklärt waren
-
LUST: Und für Dich war es auch ein Schock.
Tommy: Eigentlich nicht so. Ich war da eher schon bei
Stop AIDS un-terwegs und war ja mit meinem Freund zusammen. Der
war ja HIV-positiv und hat mir das von Anfang an erzählt
LUST: Dann hat er Dich nicht angesteckt, sondern Du hast
Dich angesteckt?
Tommy: Ja, genau. Das ist auch meine Sicht. Also, ich
bin für meinen Körper verantwortlich und was da passiert,
kann ich nicht auf einen anderen rüberschieben und sagen,
er hat mich angesteckt. Deshalb hab ich auch gegen ihn keine
Wut oder Hass oder sonst irgendetwas. Er war nur gewalttätig
und untreu und deshalb hab ich ihn zurück in die USA geschickt.
Das hatte nichts mit dem Anstecken zu tun, dass unser Verhältnis
aufgehört hat.
LUST: Gewalttätig.
Tommy: Aber mit dem HIV-Status haben die Ärzte in
Dänemark auch so darauf gewartet
und die Psychologen
Ja irgendwann wird er ja wohl depressiv. Das werden die meisten
ja und wann kommt es denn bei Tommy
Aber bis heute ist
es noch nicht gekommen und ich weiß nicht, wann es kommen
soll. Weil ich hatte immer die Einstellung, was mich nicht umbringt,
macht mich stärker. Und ich sage auch oft: Ich habe HIV
aber HIV hat mich nicht. HIV muss nicht mein Leben sein. Ich
hab so viele andere Sachen, die ich machen will und schaffen
will usw. und dann ist HIV so nebenbei ein Dings. Am Anfang war
es mit den Medikamenten ganz schwierig und da hatte ich gerade
mit einem Fernsehkanal vereinbart, die konnten mich interviewen
und filmen an verschiedenen Tagen usw. und dann sind die mit
mir gegangen ins Krankenhaus, um meine Pille dann abzuholen.
Und dann hab ich gedacht, o.k. dann nehm ich meine Pille und
dann geh' ich morgen wieder arbeiten
Aber die Medikamente
waren so stark. Ich wurde völlig total krank
und
habe Sachen gesehen und Träume geträumt. Ob ich wach
war oder geschlafen hab war total egal. Ich hab merkwürdige
Sachen gesehen. Das ging so ein paar Tage. Dann hab ich angerufen
und gesagt: Das hier mach ich nicht mehr mit. Und dann bin ich
ins Krankenhaus
LUST: Da bist Du dann anders eingestellt worden.
Tommy: Genau. Dann haben die die Kombination geändert.
Das haben wir zweimal gemacht innerhalb des ersten Monats. Aber
jetzt funktioniert es. Seitdem, das war 2002, nee 2003 oder sowas.
Und bis jetzt nehm ich immer noch die drei Pillen jeden Morgen
und das wär's. Also ich hab die Krankheit nie gefühlt,
nie gesehen und nie gespürt und für mich ist es immer
noch so ne theoretische Sache. Und manchmal sage ich zu meinem
Arzt: Bist Du ganz sicher? Bin ich eigentlich HIV-positiv? Du
sagst, ich bin und ich muss diese Pillen nehmen, aber ich sehe
es nirgendswo. Aber für mich war es ganz schwierig eigentlich
damals als ich das erste Dokumentardings im Fernsehen gemacht
habe, weil da habe ich bei Stop AIDS gearbeitet und wir machen
ja Verhütung
Nee Verhütung heißt das nicht?
LUST: Ja, doch Verhütung
Pariser überziehen
usw.
Tommy: Ja, und die wollten ja nicht, dass ich so ne glänzende
HIV-Geschichte im Fernsehen erzähle. Und die Ärzte
im Krankenhaus haben immer gesagt: Was willst Du denn im Fernsehen
über uns sagen, über unsere Medikamente usw.? Ja, ich
würde sagen, es funktioniert gut jetzt. Am Anfang war es
schwierig aber jetzt ist es super. Und ich glaube am Ende hatte
ich dieses Gefühl und das habe ich dann auch allen gesagt:
Wisst ihr was? Ich will nicht Stop AIDS repräsentieren und
ich will nicht ein Krankenhaus repräsentieren. Ich erzähle
einfach über mich und meine Erfahrungen. Und dann kann es
ja jemanden anderen geben, der HIV-positiv ist, der eine andere
Erfahrung hat. Und dann kann er seine Geschichte erzählen.
Aber ich muss mich nicht irgendwie verstellen oder Meinungen
übernehmen oder irgendetwas. Seitdem erzähle ich einfach
meine Geschichte, wie sie ist.
LUST: Also bei Dir, wenn Du jemanden kennenlernst, wird
nicht das Problem auftauchen, "der hat mir nicht erzählt,
dass er positiv ist".
Tommy: In Dänemark nicht. Da kennt jeder mein Gesicht.
Auch weil ich im Vorstand beim CSD war drei/vier Jahre lang und
diese politische Lesben- und Schwulengeschichte gemacht habe
und bei Stop AIDS gearbeitet habe. Ich war überall in ganz
Dänemark immer unterwegs, im Fernsehen usw. Insoweit wissen's
die alle. Wenn jemand dann sagt, der hat's nicht gesagt, dann
wir jeder Richter dann sagen, das weiß doch jeder. (lacht)
Aber ich kann ja auch keinen anstecken.
LUST: Warum nicht?
Tommy: Ja, so sind ja die letzten Diagnosen von den Ärzten
aus der Schweiz, kam ja jetzt raus. Eine Person, die ihre Medikamente
nimmt, keine sexuell übertragbaren Krankheiten hat und ein
starkes Immunsystem hat
und meine Viren im Blut sind unter
der Nachweisgrenze. Wenn du die vier Bedingungen erfüllst,
dann sagt man heutzutage, dann ist für mich Sex ohne Kondom
genauso sicher wie Sex mit Kondom.
LUST: Ja?
Tommy: Ja.
LUST: Also ich würde mich nicht drauf verlassen.
Tommy: Ja, ich ja auch nicht. Für mich ist das ja
auch ganz merkwürdig. All die Jahre mit meiner Exfrau damals
habe ich ja auch immer Kondom benutzt. Weil ich wollte sie ja
mit gar nichts anstecken. Für mich ist es ja so eingebaut:
Kondom gehört dazu. Und jetzt erzählen mir die Ärzte
plötzlich: Ja, du kannst ja eigentlich gar keinen anstecken.
Und dann denke ich dann wieder: Ja, ja
rede weiter
Ich mache meine Sache. Aber dann ist es ja auch gut. Dann weiß
ich, ich habe ne doppelte Versicherung.
LUST: Also, das was Du jetzt gesagt hast, habe ich auch
erst seit ungefähr einem halben Jahr gelesen. Ich glaube
als erstes hatte das ein Arzt in der Schweiz geschrieben.
Tommy: Ja, die haben das herausgegeben.
LUST: Aber da bin ich mir immer noch im Zweifel, ob man
sich da wirklich drauf verlassen kann.
Tommy: Ja, das ist ja diese Sache. Wir haben ja schon
lange dran geglaubt. Also, ich glaube daran, in meinem Körper
sind alle meine Körperflüssigkeiten mit HIV infiziert.
Auch meine Tränen, mein Schweiß, mein Speichel usw.
Aber Tränen, Schweiß und Speichel
und Urin,
Kot usw., haben wir ja schon immer gesagt, da kann man sich nicht
anstecken. Weil da muss schon genug Virus drin sein, um ne Gefahr
Und wenn das richtig ist, dann glaub ich schon auch dran,
die Medikamente können das so unterdrücken, dass es
auch nicht mehr durch Sperma und Blut übertragbar ist.
Ich erzähle immer den Schülern: Unser Immunsystem ist
da, um uns zu beschützen. Das sind die guten Soldaten. Dann
kommen diese Viren, das ist ein Angriff böser Soldaten.
Wenn einer dann eine Periode angegriffen wird und alle guten
Soldaten sind umgebracht worden, wird er an Aids sterben. Aber
wenn er einen HIV-Test macht und die guten Medikamente kriegen,
dann kriegt er extragute Supersoldaten und die bekämpfen
die bösen Soldaten und stecken die ins Gefängnis. Im
Körper drin, wir können es nicht aus dem Körper
rausbekommen, aber wir können es in Gefängnis einschließen.
Und solange die im Gefängnis sind, kann ich weiterleben.
Aber wenn ich nicht meine Medikamente nehme, dann brechen die
aus dem Gefängnis aus und dann ist die Hölle wieder
los. Also so, dass Kinder auch ein bisschen besser verstehen.
LUST: Und Du gehst in Schulen damit?
Tommy: Ja!
LUST: Die Aids-Hilfe Hanau macht das und die Schulen im
Umkreis bestellen Euch?
Tommy: Ja, im Main-Kinzig-Kreis schreiben
wir alle Schulen an, meistens für die neunten und zehnten
Klassen, und dann gehen wir meistens mit zwei Leuten hin, teilen
die Klassen auf, damit es intimer ist und die können dann
mehr Zeit mit mir oder dem Kollegen verbringen, um Fragen zu
stellen usw. Und ich erzähle dann immer
nicht immer
wenn es so passt
dann erzähle ich, dass ich
schwul bin. Das sieht fast jeder. Aber ob ich HIV-positiv bin,
das kommt drauf an, ob es gerade passt, das zu sagen. Es ist
für mich nicht ein Muss. Für mich ist es wichtiger,
dass die jungen Leute sich Gedanken machen: Welche Risiken bin
ich bereit einzugehen, wenn ich Sex mache mit jemandem.
LUST: Das ist natürlich
Da muss ich Dir sagen
Ich hatte das Lebensgefühl gehabt, die religiöse Erziehung,
die ich gehabt habe als Kind. Dass man überhaupt zu seiner
Sexualität, seiner Homosexualität, seiner sexuellen
Lust stehen kann, ohne Schuldgefühle zu haben und ohne irgend
so etwas, es war eine große Strapaze, das zu schaffen.
Und plötzlich kommt Aids und plötzlich musst du wieder
immer aufpassen, Kondome nehmen usw. Du kannst nicht einfach
frei sein und sexuell glücklich sein, sondern hast diese
Barriere des Safer Sex. Und das ist einfach eine schlimme Sache
gewesen. Weil es hat mich erinnert wieder an die Zeit, wo ich
noch religiöse Schuldgefühle hatte.
Tommy: Ja, o.k.
LUST: Ich hab dann nicht plötzlich Schuldgefühle
gehabt, aber ich hab die Notwendigkeit gesehen, dauernd mich
nicht spontan verhalten zu können, sondern bremsen zu müssen
und Safer Sex zu machen.
Tommy: Für mich war das Kondom immer ein Freund.
Ich habe nie das Gefühl gehabt, ein Kondom bremst mich in
irgendeiner sexuellen Situation. Ich habe überall Kondome:
im Auto, in der Tasche, Jacken, überall. Und die Leute gucken
manchmal und denken, was machst du mit all den Kondomen. Weil
ich möchte spontan handeln können, auf jeden Fall wenn
ich Single bin.
LUST: Aber es war nicht das Kondom. Es war der Gedanke,
dass man es nehmen muss, weil man sonst krank werden kann oder
sich infizieren kann.
Tommy: Aber das konnte man sich doch auch mit Syphilis,
Tripper, Gonorrhoe und
LUST: Ja, da wusste ich ja, hab nicht so viel Angst davor.
Das sind ja Krankheiten, die kannst du bekämpfen, wenn das
wirklich mal passiert. So hatte ich mir damals dann geholfen.
Denn wir sind damals als Kinder aufgeklärt worden über
Sexualität, da wurde uns nicht über die Sexualität
und die Schönheit der Sexualität, sondern da wurde
uns erzählt, welche Geschlechtskrankheiten man kriegen kann.
So als müsse man vor Sex Angst haben.
Tommy: Ja, genau.
LUST: Und das ist wieder neu gekommen durch Aids.
Tommy: Ja, das ist richtig. Ich habe immer oder sage immer
noch so zwischen mir und Gott hatte ich nie so große Probleme
gehabt. Also für mich sind die Herausforderungen auf dieser
Ebene
die Menschen. Die Menschen wollen immer bestimmen,
wie ich zu leben habe, was ich zu tun habe. Also Gott und ich,
wir verstehen uns schon gut.
LUST: Also Dein Gott und Du.
Tommy: Ja, genau.
LUST: Dein persönlicher Gott, sozusagen, an den Du
glaubst. Aber das wäre eine andere Geschichte. Denn die
Schwulen auf der Welt und in vielen Ländern auch die Lesben,
haben ja die Sprecher der Religion immer als ihre schlimmsten
Feinde erlebt.
Tommy: Ja, das hat ja auch eine Geschichte. Damals waren
die Machthaber ja die katholische Kirche in ganz Europa und die
haben ja dann gesagt, was zu tun und was nicht zu tun ist.
LUST: Aber die evangelische Kirche ist auch nicht immer
so toll gewesen.
Tommy: Jaja, ganz einig.
LUST: Oder jetzt, die russisch-orthodoxe Kirche, die Orthodoxen
sind ja genauso schlimm, wenn nicht noch schlimmer, wenn man
das jetzt in Russland sieht. Oder jetzt der Islam
In vorkolonialer
Zeit war das ja nicht so. Aber jetzt, seit der Kolonialzeit,
wie sich der Islam antischwul verhält.
Tommy: Aber das wird sich auch ändern. Ich habe auch
in Israel gewohnt und unter den orthodoxen Juden gibt es auch
offen schwule Gruppen.
LUST: Ich weiß, wenn die eine
Demonstration in Tel Aviv oder Jerusalem gemacht haben, eine
Gay Demonstration, sind immer orthodoxe Juden aufmarschiert und
haben dagegen
Tommy: Es gibt ja in jeder Gruppe Leute, die so sind und
Leute, die so sind, Es gibt in jeder Gruppe, Kirche, Partei gute
und schlechte Leute.
LUST: Mmm.
Tommy: So denke ich!
LUST: Ja, das heißt also, es ist nicht abhängig
davon, ob ein Mensch religiös ist oder nicht, ob er ein
guter oder ein schlechter Mensch ist.
Tommy: Es kommt darauf an, was in seinem Herzen ist.
LUST: Und in seinem Kopf. Eine Ethik zum Beispiel.
Tommy: Genau.
LUST: Eine religiöse oder humanistische Ethik?
Tommy: Und darum geht es für mich: Dass man das versteht,
was hat Jesus eigentlich gesagt. Nächstenliebe hat er gepredigt.
Er hat ja nie gesagt, dass darfst Du nicht und das musst du oder
das sollst du. Wenn man genau hinhört, was er eigentlich
gesagt hat und wer weiß, ob er schwul war. Warum war er
nie verheiratet Und warum hört man nur darüber, dass
er die anderen die sieben geküsst hat und am Tisch mit ihnen
gelegen hat usw. Also für mich ist es nicht wichtig, ob
er das eine oder andere war. Für mich ist die Botschaft
das wichtigste.
LUST: Hmmm
Tommy: Dass wir ordentlich miteinander umgehen.
LUST: Aber da sagen Dir dann die Pfarrer: Moment mal -
wie die Bibel zu verstehen ist, das bestimmen die Theologen.
Tommy: Ja, da sind die ja falsch drauf. Und das war immer
meine Meinung, weil so viele Theologen und Pastoren und was weiß
ich, die Bibel missverstehen, soll doch nicht meinen Glauben
an Gott stören. Also die können doch so falsch drauf
sein, wie sie wollen.
LUST: Ich hab da meine eigene private Meinung drüber
und die heißt so: Die weltliche Obrigkeit, die Herrschaft
brauchte die Religion, um die Bevölkerung klein zu halten.
Tommy: Genau.
LUST: Und dann ist von oben nach unten, von den obersten
Priester an die kleinen Priester immer weitergegeben worden,
wie man die Religion auslegen muss, damit die Herrschaft schön
weiter herrschen kann. Und so ist die Religion ein Teil des Überbaus
der Gesellschaft geworden, der Herrschaft, und hat gar nichts
damit zu tun, dass dort vielleicht eine Erlösung oder eine
Befreiung oder irgendetwas sein könnte.
Tommy: Ja. Und ich hänge mich an verschiedene Sätze,
die Jesus auch gesagt hat oder in der Bibel steht auch: Der,
den der Sohn freigesetzt hat, ist wirklich frei. Und so einen
Satz kann ich gebrauchen in meinem Leben.
LUST: hmmm
Tommy: Ich fühle mich wirklich frei. Ich fühle
mich von Gott geliebt. Und da können die Priester sagen,
was sie wollen. Also ich werde Rechenschaft mit Gott ablegen
LUST: Aber Du warst ja selbst Priester.
Tommy: Ja.
LUST: Und da hast Du sowas gesagt?
Tommy: Nicht so direkt. Aber ich habe nie gegen Schwule
und Lesben gepredigt. Das sagt mein Bruder auch manchmal: Tommy,
aber damals hast du doch so und so gesagt. Dann sage ich: Nee,
habe ich nie gesagt. Hast Du ja recht, sagt er dann.
LUST: Haben wir jetzt alles besprochen, was Du wolltes?
Weil: wir haben jetzt halb sechs und Du wolltest noch zu einem
anderen Termin gehen.
Tommy: Ja? So spät ist es? Dann muss ich jetzt gehen.
LUST: Lieber Tommy, vielen Dank für das angenehme
Gespräch.