- 108. Print-Ausgabe, Herbst-LUST 2011
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- Die 30. LUST-Kolumne von Sandra Wöhe
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- Neulich in der Waschküche
- Mit spitzen Fingern fische ich den fremden
Slip aus dem Trockner. Rot und winzig. Du, Irma,
frage ich meine beste Freundin, darf ich mal frauenfeindlich
sein? Wozu hat frau schließlich eine beste Freundin,
wenn sie mit ihr nicht über andere Frauen herziehen kann?
Zum Beispiel über die Nachbarin, deren Wäsche so rot
ist wie ihr Gesicht.
Du willst also wieder einmal tratschen. Dabei weißt
du ganz genau, dass ich es hasse, wenn über Frauen hergezogen
wird. Irma faltet den Tanga. Klatschen ist frauenfeindlich.
Auch wenn es sozialer Kitt ist. Sie zuckt mit den Schultern
und grinst. Dabei liebe ich Promisendungen und Hochglanzmagazine.
Und das von meiner Irma? Ich dachte, du liest nur feministische
Newsletter, Gender Studies und die Wir Frauen!
Ungerührt reinigt Irma das Flusensieb des Trockners. Eine
echte Feministin richtet ihr Augenmerk dorthin, wo es um die
Regeln und Werte geht, die für die Gesellschaft gelten.
Und schon sind wir da gelandet, wo die Reichen und Schönen
ihre schmutzige Wäsche abladen.
Meine Nachbarin ist weder reich noch schön. Die schafft
es nie in die Klatschspalten. Je mehr eine Person in der
Gesellschaft bedeutet, Mette, desto lieber werden über sie
Gerüchte verbreitet. Egal, ob die stimmen oder nicht.Meine
Nachbarin ist doch nicht prominent. Aber sie nervt. Sie ist heterosexuell.
Gut, dafür kann sie nichts. Aber für ihr Orgasmusgequieke,
jede Sonntagnacht gegen viertel nach zwei. Eine mauzende Katze
ist nichts dagegen. Und knallt nicht mit den Türen.
Tratsch ist das Flusensieb der sozialen Waschküche.
Irma schließt die Trocknertür.
Allerdings werde ich mich hüten, abwertend zu klatschen.
Sonst werde ich schnell selbst das Ziel böser Gerüchte.
Nur Gutes festigt soziale Bündnisse auf Dauer.
Missmutig pfeffere ich die nächste Ladung Wäsche in
die Maschine.
Mette, auch die Nachbarn wollen unterhalten werden. Mit
Gerüchten, Storys und einer Prise exklusivem Wissen.
Da hätte ich mit meinem Quiekemäuschen durchaus eine
Chance. Aber wenn ich sie hören kann, wie ist das mit ihr?
Kann sie etwa?
Letztens hatte ich das Fenster offen! Ich will gar nicht daran
denken, wer mich alles hat hören können. Ich werde
so rot wie der nachbarliche Slip.
Irma, lass uns gegen den Klatsch demonstrieren, eine Denkwerkstatt
einberufen, eine Petition auf den Weg bringen. Ein Gesetz muss
her, am besten mit Höchststrafe.
Irma lacht. Klatsch in der Gemeinschaftswaschküche
ist im Grunde der optische Aufheller für moralischen Dreck.
Soll doch die Gesellschaft vergilben! Ich plädiere
für Verbannung bei Tratsch. Oder wenigstens die Todesstrafe!
Irma winkt mit einer einzelnen Socke. Die Todesstrafe funktioniert
noch nicht einmal als Abschreckung. Sag mal, über wen wolltest
du eigentlich lästern?
Ach, vergiss es. Soll die Nachbarin in ihrem Schlafzimmer
so viel schreien wie sie will. Wenn sie nur in der Waschküche
schweigt. Eine Hand wäscht die andere.
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