110. Print-Ausgabe, Frühling 2012
 
Karlas Rundschlag:
Der Wert unserer Werte ...
Zu den Werten in unserer Bundesrepublik gehört, dass man sie nicht verletzen darf, auch nicht, wenn man Handlungen von Menschen kritisiert, die offensichtlich vor unseren Augen Schreckliches vorbereiten.

Wenn also zu den Werten gehört, keine Menschengruppe zu diskriminieren, also kein Rassist oder Antisemit usw. zu sein, dann darf man natürlich Verbrechen kritisieren, selbst wenn sie von jemanden getan wurden oder vorbereitet werden, der einer diskriminierten Menschengruppe angehört.

Wenn nun also ein Schriftsteller, ein engagierter Vertreter der Menschenrechte und Freund Israels, der schon oft dort war und im In- und Ausland einen guten Namen hat, wenn dieser die gegenwärtige Regierung Israels und deren Vorbereitung eines Angriffskrieges kritisiert, ist der deshalb plötzlich ein Rassist oder Antisemit?

Die Leute, die das sagen, scheinen die Werte nur zu achten, wenn sie in ihrem Interesse eingestzt werden. Aus deren Sicht ist man ein Gegner der ewigen und elementaren Werte, wenn man ein Gegner deren Machenschaften ist, die gegen diese Werte gerichtet sind.

Offensichtlich sind für die nun laut aufschreiende konservative Führungselite in diesem Lande und anderswo die brauchbaren Werte der Werte wichtiger als die ständig in Sonntagsreden vorgezeigten Werte selber.

Wenn ich dies alles lese und höre, wird mir ganz kalt, weil ich dann über die Konsequenzen dieser Erkenntnis eine sogenannte Gänsehaut bekomme.
Offensichtlich sind die humanistischen Werte in den Händen solcher Menschen gar nichts wert, wenn sie ihnem persönlichen, politischen oder wirtschaftlichen Vorteil gerade mal nicht nützlich sind.

Ist das denn mit allen Werten so, dass sie nur Gültigkeit haben, wenn jemand Mächtiges seinen Nutzen daraus ziehen kann, wie der Westen aus seinem Brückenkopf Israel im arabischen Raum?

Wie ist es denn zum Beispiel mit der Gleichstellung von Transsexuellen, Lesben und Schwulen in der Gesellschaft? Ist die nur so lange etwas wert, so lange man die Nichteinhaltung irgendwelchen politischen GegnerInnen des Westens um die Ohren hauen kann, obwohl unsere Gleichstellung im Westen auch nicht gänzlich und auch nicht überall existiert?

Menschenrechte wie die Redefreiheit bzw. Meinungsfreiheit zum Beispiel sind universell heißt es. Dass dies nur zum Teil stimmt, sieht man an der Reaktion auf das kleine Gedicht von Grass.

Als Pazifistin kann ich doch die Armeen, den Militarismusmus, die Kriegsvorbereitungen und das Drohen mit einem Angriffskrieg nicht deshalb gutheißen, weil meine Eltern und/oder Großeltern von einer politischen Verbrecherbande regiert wurden und die meisten nicht den Schneid, den Mut oder vor allem das Bewusstsein dazu hatten, zu Widerstanskämpferinnen und Desser-teurInnen zu werden, statt dort vielleicht auch Karrieren zu machen, indem sie sich blind stellten oder jene Herrscher sogar unterstützten, ihre Propaganda vielleicht sogar gut und richtig fanden, sie vielleicht selber verbreitet haben?

Bin nun deshalb ich Nachgeborene verpflichtet, alles das, was eine rechtsgerichtete Regierung dort unternimmt oder zu unternehmen bereit ist, für gut zu heißen?

Wäre ich deshalb verflichtet, sogar einen Krieg mit verheerenden Waffen gutzuheißen, obwohl ich hier von Hause eine leidenschaftlcihe Pazifistin und vor allem gegen rechts bin, egal wer die rechte Propaganda macht?

Was machen wir eigentlich, wenn unsere FreundInnen unter der Propaganda der Zeit plötzlich anfangen, rassistische Propaganda zu glauben, weil sie ihnen gerade in den Kram passt? Was machen wir denn dann? Riskieren wir Freundschaften um der reinen Lehre wegen oder versuchen wir ideologisch dagegenzuhalten, um der Freundschaft willen oder lassen wir sie einfach reden, als häötten wir nicht hingehört?

Wenn zum Beispiel Freundinnen aus der Lesbenbewegung die Auffassung vertreten, dass Männer immer agressiv und gewalttätig seien, Frauen hingegen dauernd und nachweislich durch die Geschichte und bei allen Völkern immer die Opfer von Männern, die sei genetisch festgelegt. Wenn sie dies sagen und verbreiten, dann muss ich ihnen allerdings sagen, dass dies Ge-schlechterrassismus ist, der dem Rassenrassismus in nichts nachsteht, und dass dies gegebenenfalls knallrechte Propaganda nach sich zieht.

Oder soll ich einfach der Freudschaft wegen weghören, sie gedanklich nicht mehr ernst nehmen, oder sogar so tun, als sei da etwas Wahres dran?

Liebe FreundInnen, damit würde ich unsere gesamte politische Arbeit vieler Jahrzehnte infrage stellen. Wenn sogenannte Weiblichkeit und Männlichkeit angeborene in unseren Genen verankerte Faktoren wären, wozu dann eine Frauenbewegung, wozu denn die Emanzipation und die Gleichstellung der Frau?

Oder wenn ein Freund in unserer Gruppe behauptet, bei den Türken sei eine andere Mentatlität vorherrschend, da könne man nichts machen, weil die einfach bei denen genetisch so veranlagt sei, wenn der dies behauptet, was macht man da? Wird man nun auch zum Rassist, des lieben Friedens in der Gruppe wegen?

Als Beleg seiner Auffassung fügt er unangenehme Erlebnisse mit einem Kollegen dieser Herkunft an. Er würde sich auf Kosten seiner Kollegen durchwursteln und ihnen die Arbeit überlassen, während er sich einen schönen Lenz mache.

Mein lieber Mann, selektive Wahrnehmung als Beleg für Rassismus? Und bei Gegenargumenten wehrt er ab, weil er will, dass es so ist, wie er dies sagt. Sind plötzlich alle Werte einer Bewegung infrage gestellt? Macht der sich denn keine Gedanken darüber, was in einer Gesellschaft mit Menschen geschehen müsste, die sich so verhalten würden, wie er es sieht, weil es ihrem Volk so angeboren sei?

Und was wäre denn dann uns Lesben und Schwulen sowie Transen angeboren?

Zurück zu dem Arbeitskollegen. Was geschieht mit Men-schengruppen, denen eine Gesellschaft ständig sagt, dass für sie kein anständiger Platz in dieser Gesellschaft da sei? In manchen Ländern sind 50% der nachwachsenden Generationen ohne Zukunft weil ohne ehrliche Erwerbsmöglichkeit? Die müssen sich doch durchschlagen, so oder so, egal welche Herkunft sie haben, um einigermaßen ihr Leben fristen zu können.

Und das ist für mich klar: egal welche Religion sie jeweils haben, die Menschen verhalten sich so, als hätten wir nur dieses kurze Menschenleben und sonst nichts. Also kann man sich nicht damit zufrieden geben, dass für einem selber nichts Gutes bereitgestellt ist, während man in den Medien die tolle reiche große Welt vorgeführt bekommt, was man hat, wenn man hat.

Da braucht man keinen Rassismus, um sich zu erklären, warum es eine soziale Schicht in allen Gesellschaften gibt, deren Nachwachsende nicht so einfach reibungslos irgendwo eingefügt werden können, damit sie sich gütig und großzügig uns gegenüber verhalten, weil wir das so gerne hätten.

Seid herzlich gegrüßt
Eure Tante Karla
 
 
Dein Kommentar zum Kulturbeitrag: hier

 Zum Kulturarchiv

 Zur Kulturhauptseite

 Zur LUST-Hauptseite