Juli/August 2016
 
01.07.2016
Historische Entscheidung beim UN-Menschenrechtsrat
Votum für Unabhängige Expert_innenstelle zum Schutz der Menschenrechte von LSBTI

Anlässlich der gestrigen Entscheidung des UN-Menschenrechtsrates in Genf, die Resolution “Protection against violence and discrimination based on sexual orientation, and gender identity” anzunehmen und somit den Weg zu Etablierung einer Expert_innenstelle zum Schutz der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen (LSBTI) Menschen frei zu machen, erklärt Gabriela Lünsmann, Sprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD):
Das Votum ist eine historische Entscheidung für den Menschenrechtsschutz. Die Entscheidung macht den Weg frei für eine unabhängige Institution bei den VN, die die Wahrung der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen (LSBTI) Menschen überwachen wird. Sie stärkt so die Menschenrechtsverteidiger_innen in aller Welt bei ihrer schwierigen Arbeit und wird die Entkriminalisierung von Homosexualität in vielen Verfolgerstaaten voranbringen. Die Entscheidung bedeutet mehr Schutz für LSBTI in aller Welt vor Gewalt und Diskriminierung. Darüber hinaus wird die Menschenrechtslage von LSBTI nun regelmäßig bei den VN thematisiert werden und nicht nur in Kontext von Resolutionsentwürfen.
628 Nichtregierungsorganisationen aus 151 Staaten, darunter auch der LSVD, hatten im Vorfeld der gestrigen Entscheidung den Menschenrechtsrat aufgefordert, die Resolution zu verabschieden. Dieser Aufforderung kamen 23 Staaten nach, 18 Staaten stimmten dagegen und sechs enthielten sich.
Nun ist es an der Zeit, dass Mandat des Rates schnell umzusetzen und die Stelle auch finanziell angemessen auszustatten.
LSVD-Bundesverband
Hauptstadtbüro
http://www.lsvd.de
Hintergrund
http://ilga.org/united-nations-makes-history-sexual-orientation-gender-identity/
 

1. Juli 2016:
Hissen der Regenbogenflagge mit dem Regierenden Bürgermeister
Bündnis gegen Homophobie präsentiert Kampagne zum Thema Geflüchtete
Evangelische Kirche traut ab 1. Juli Paare in Eingetragener Lebenspartnerschaft
Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, und der Lesben- und Schwulen- verband Berlin-Brandenburg, unter anderem vertreten durch Geschäftsführer Jörg Steinert, hissen am 1. Juli 2016 um 12.30 Uhr die Regenbogenflagge am U-Bahnhof Nollendorfplatz. Unterstützt werden sie dabei von:
Ulrike Trautwein, Generalsuperintendentin im Sprengel Berlin, Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO),
Dirk Schulte, Vorstand für Personal und Soziales der Berliner Verkehrsbetriebe,
Frauke Bank, Leiterin Unternehmenskommunikation der Wall AG sowie
Jörn Kriebel, Geschäftsführer der HELDISCH Werbeagentur.
Aufgrund von Bauarbeiten am Roten Rathaus findet die Eröffnung der Pride Weeks am U-Bahnhof Nollendorfplatz statt. Bei dem Pressetermin wird unter anderem auch die diesjährige Kampagne des Bündnisses gegen Homophobie präsentiert, welche maßgeb-lich von den Bündnis-Mitgliedern Wall AG und HELDISCH Werbeagentur getragen wird. Zudem trägt sich der Regierende Bürgermeister vor der Veranstaltung in das Kondolenz-buch des schwulen Überfalltelefons für die Opfer von Orlando ein. Besondere Aktualität hat das Hissen der Regenbogenflagge auch deswegen, weil in der EKBO ab 1. Juli 2016 Paare in Eingetragener Lebenspartnerschaft erstmals Traugottesdienste feiern können.
Ab dem 1. Juli beginnen die Berliner Bezirke mit dem Beflaggen ihrer Rathäuser. Zudem schließen sich zahlreiche Unternehmen, Verbände und andere Berliner Einrichtungen dieser vor 20 Jahren auf Initiative des Lesben- und Schwulenverbandes begründeten Berliner Tradition an. Im Jahr 1996 wurden erstmals die Rathäuser von Schöneberg, Tiergarten und Kreuzberg beflaggt. Die Regenbogenflagge wird in diesem Jahr an über 80 offiziellen Standorten in Berlin feierlich gehisst. Eine Übersicht finden Sie hier. Zu den angegebenen Terminen sind Besucherinnen und Besucher herzlich willkommen.
Mit dem Hissen der Regenbogenflagge werden die Pride Weeks mit mehreren Großveranstaltungen eingeläutet. Der erste große Event im diesjährigen Regenbogen-monat Juli sind die Respect Gaymes am 2. Juli im Friedrich-Ludwig-Jahn Sportpark.
Am 16.-17. Juli findet das lesbisch-schwule Stadtfest statt. Es folgen der CSD auf der Spree, der interreligiöse CSD-Gottesdienst in der St.-Marienkirche und das CSD-Gedenken.
Abschließender Höhepunkt ist die CSD-Demonstration am 23. Juli 2016.
Hissen der Regenbogenflagge:
Freitag, 1. Juli 2016, 12.30 Uhr (Get-together ab 12.00 Uhr),
U-Bahnhof Nollendorfplatz, Ausgang Motzstraße
http://www.berlin.lsvd.de
 
 
Justizministerkonferenz:
Nach §175 verurteilte homosexuelle Männer rehabilitieren,
Bundesregierung und Bundestag in der Pflicht

(02.06.2016) Anlässlich des Beschlusses der Justizministerkonferenz zur Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1949 aufgrund von § 175 Strafgesetzbuch (StGB) verurteilten Männer erklärt Axel Hochrein, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD):
Die Justizministerkonferenz hat heute ihren Beschluss von 2015 bekräftigt, dass die Opfer antihomosexueller Strafverfolgung durch § 175 StGB und andere Bestimmungen rehabilitiert und entschädigt werden müssen. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßt diesen politischen Rückenwind und sieht die Bundesregierung und den Bundestag in der Pflicht, die Betroffenen schnell zu rehabilitieren.
Erst jüngst ist ein im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erstelltes Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass der Gesetzgeber die nach 1949 aufgrund von § 175 StGB verurteilten Männer nicht nur rehabilitieren kann, sondern muss.
Die Beseitigung dieses Unrechts, das im Namen der Bundesrepublik Deutschland erfolgte, muss noch in dieser Legislatur-Periode geschehen. Die Zeit drängt, damit Opfer der Homosexuellenverfolgung noch die Aufhebung der Unrechtsurteile und die Wiederherstellung ihrer Würde erleben.
Der LSVD fordert die gesetzliche Rehabilitierung aller nach 1949 menschenrechtswidrig wegen homosexueller Handlungen Verurteilten, eine individuelle Entschädigung für das erlittene Unrecht sowie einen kollektiven Ausgleich. Ein dementsprechendes Positionspapier hat der LSVD gemeinsam mit der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) und der Deutschen AIDS-Hilfe verabschiedet.
Hintergrund
Für Homosexuelle war das NS-Unrechtsregime nach 1945 noch nicht zu Ende. Vom nationalsozialistischen Ungeist geprägt und mit demselben Eifer praktiziert wurde ihre Verfolgung bruchlos fortgesetzt. In der Bundesrepublik blieb § 175 StGB in der nationalsozialistischen Fassung bis 1969 unverändert geltendes Recht, wurde weiter angewandt und zerstörte das Leben unzähliger Menschen. Allein über 50.000 Männer wurden wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilt. Viele kamen ins Gefängnis, verloren ihren Beruf – ihre gesamte bürgerliche Existenz wurde zerstört. Während die Urteile nach § 175 aus der NS-Zeit 2002 aufgehoben wurden, steht dieser Schritt für die Verurteilungen in der Bundesrepublik und der DDR noch aus.
Verurteilungen nach § 175 StGB
Plädoyer gegen die Scheinargumente. Warum die Rehabilitierung rechtlich geboten ist
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist ein Bürgerrechtsverband und vertritt die Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI). Gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt – wir wollen, dass LSBTI als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität akzeptiert und anerkannt werden.
Mit Ihrer Spende und / oder Mitgliedschaft können Sie uns und unsere Arbeit für "Gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt" unterstützen. Vielen Dank.
LSVD-Bundesverband
Hauptstadtbüro
http://www.lsvd.de

 
Warum die Rehabilitierung rechtlich geboten ist
Wir kennen nicht die wahren Gründe, warum die CDU/CSU, Teile der SPD und die FDP die Rehabilitierung der nach 1945 verurteilten Männer ablehnen. Die Angst vor Entschädigungsansprüchen kann es nicht sein. Uns sind nur wenige Männer bekannt, die vor 1969 nach § 175 StGB verurteilt worden sind und jetzt eine Entschädigung verlangen könnten. Die meisten scheinen das Verstecken so verinnerlicht zu haben, dass sie es auch jetzt nicht schaffen, sich zu outen.
Die Parteien lehnen die Rehabilitierung mit formalen Erwägungen ab, die nach unserer Auffassung nur vorgeschoben sind.
1). Sie bringen vor, wenn sich die Auffassungen über die Strafbarkeit eines Verhaltens änderten, sei das kein Grund, frühere Verurteilungen aufzuheben.
ABER: Bei den Verurteilungen wegen einverständlicher homosexueller Handlungen hat sich nicht nur die Auffassung über die Strafbarkeit geändert, sondern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat inzwischen wiederholt entschieden, dass diese Praxis menschenrechtswidrig war. Demgemäß hat der Deutsche Bundestag 2000 einstimmig anerkannt, dass die homosexuellen Bürger durch die menschenrechtswidrige Strafverfolgung in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind. Nach Art. 1 GG ist aber die Würde des Menschen unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Sie hat deshalb auch die Aufgabe der Rehabilitation und Wiedergutmachung, wenn Menschen durch die staatliche Gewalt in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.
2). Die Verurteilungen nach § 175 StGB seien vom Bundesverfassungsgericht gebilligt worden.
ABER: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar 1957 die Strafverfolgung homosexueller Männer aufgrund des von den Nazis verschärften § 175 StGB mit der Begründung gebilligt, dass sich homosexuelle Männer für ihre Art der Sexualität nicht auf das Grundrecht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen könnten. Das Gericht hat aber inzwischen seine Rechtsprechung geändert und in insgesamt fünf Urteilen zum Lebenspartnerschaftsgesetz entschieden, dass Lebensgemeinschaften homosexueller Menschen zwar nicht durch Art. 6 Abs. 1 GG, wohl aber durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sind. Damit hat es seine alte Entscheidung von 1957 stillschweigend „kassiert“. Außerdem vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, dass Entscheidungen des EGMR, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, rechtserheblichen Änderungen gleichstehen, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können.
3). Auch dürfe der Gesetzgeber keine rechtskräftigen Urteile aufheben. Das verstoße gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung.
ABER: Wenn der EGMR zur Auffassung gelangt, dass eine strafgerichtliche Verurteilung gegen die Menschenrechtskonvention verstößt, kann er die Verurteilung nicht aufheben, sondern nur dem Staat, der die Verurteilung zu vertreten hat, die Zahlung einer Entschädigung an den Verurteilten auferlegen. Deshalb hat der Bundesgesetzgeber 1998 in die Strafprozessordnung einen neuen Wiederaufnahmegrund eingeführt. Danach kann eine Verurteilung ausdrücklich aufgehoben werden, wenn der EGMR festgestellt hat, dass die Verurteilung gegen die Menschenrechtskonvention verstößt. In dem Gesetzgebungsverfahren hatten die Grünen beantragt, die Wiederaufnahme für alle gleichgelagerten Verurteilungen zuzulassen. Zur Begründung hatten sie auf die Strafurteile nach § 175 StGB verwiesen. Das wurde damals aber abgelehnt.
Es hindert den Gesetzgeber also nichts, nunmehr für eine Gruppe von Verurteilungen, die nach der Rechtsprechung des EGMR auf einer menschenrechts- und damit auch grundrechtswidrigen Norm beruhen, entweder ein Wiederaufnahmeverfahren einzuführen oder zur Vermeidung unnötigen bürokratischen Aufwands die Urteile insgesamt aufzuheben, wenn die Verletzung der Menschenrechte evident ist. Das ist bei den Verurteilungen nach § 175 StGB der Fall und vom Bundestag bereits anerkannt worden.
Manfred Bruns
LSVD-Bundesvorstand
http://www.lsvd.de
 
 
PRESSEMITTEILUNG
Papst Franziskus geht auf Schwule und Lesben zu
Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche zur Papst-Forderung

Das gab es noch nie: Papst Franziskus fordert die katholische Kirche auf, Homosexuelle um Entschuldigung zu bitten. Für die Ausgrenzung, die sie erlebt haben. Er bekräftigt, dass Homosexuelle nicht diskriminiert werden dürfen, sondern mit Respekt zu behandeln sind. Die Kirche habe die Aufgabe, ihnen Begleitung in der Seelsorge anzubieten. Franziskus knüpfte bei einer Pressekonferenz im Flugzeug an seine Worte aus dem Jahr 2013 an. Die zentrale Aussage des Papstes lautet: „Wenn ein Mensch so fühlt und dabei guten Willens ist und Gott sucht, wer sind wir, um zu urteilen?“ Das katholische Kirchenoberhaupt stellt sich in diesen Tagen auf die Seite derer, die nicht zögern, zu benennen, dass beim Terroranschlag in Orlando die meisten Opfer Homosexuelle waren.
Markus Gutfleisch, Sprecher der Ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), begrüßt, dass Franziskus der Kirche den Weg weist, Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen um Entschuldigung zu bitten. „Der Papst öffnet damit die Tür weit“, so Gutfleisch. „Gläubige Homosexuelle warten seit vielen Jahren auf ein deutliches Zeichen von einem Papst, damit eine umfassende Versöhnung der katholischen Kirche mit Schwulen und Lesben möglich wird.“
„Der Papst hat ein Beispiel gegeben, dem in der Kirche hoffentlich viele folgen werden“, sagt Michael Brinkschröder, Leiter des HuK-Projekts „Gleichberechtigung für Schwule und Lesben in der katholischen Kirche.“ „Da auch die evangelische Kirche sich mit der Aufarbeitung ihrer Schuldgeschichte gegenüber Schwulen und Lesben auseinandersetzt,“ so Brinkschröder weiter, „läge es nahe, wenn die beiden Kirchen jetzt gemeinsam ein umfassendes Forschungsprojekt auf die Beine stellen würden, um ihre Schuldgeschichte aufzuarbeiten.“
Markus Gutfleisch fordert, dass der Papst sein Programm der Offenheit und Barmherzigkeit weiter denkt: „Wenn die katholische Kirche homosexuelle Menschen mit Respekt betrachtet, dann gehören auch die Partnerschaften von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Menschen dazu. Leider sind diese im jüngsten Lehrschreiben des Papstes gerade nicht anerkannt worden.“
Ökumenische Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche
http://www.huk.org