- Liebe FreundInnen,
- der § 175 StGB, damals RStGB, ist nicht von den Nazis
erunden worden, wie viele vielleicht meinen, sondern wurde von
ihnen nur verschärft, wie es oben in der Presseerklärung
zu lesen ist.
- In den meisten Geschichtsbetrachtungen unserer Szene wird
die Reichsgründung des deutschen Kaiserreichs als Beginn
des § 175 angesehen, nachdem sich der Norddeutsche Bund
1871 in Deutsches Reich umbenannt hat, dann existierte er 123
Jahre, rechtlich 122 Jahre. Allerdings hat der Norddeutsche Bund
schon 2 Jahre vorher den § 175 StGB eingeführt, indem
er die unterschiedlichen Strafgesetze gegen mannmännliche
sexuelle Handlungen aus all den Mitgliedstaaten unter der Bezeichnung
§ 175 zusammengefasst hat. Dann müsste man sagen: 125
Jahre, rechtlich 124 Jahre.
- Dies ist aber unerheblich. In den Jahren, in denen es den
§ 175 StGB noch nicht gab, gab es andere Bestrafungen, zum
Beispiel die Peinliche Halsgerichtsordnung.
- Wie man mit Homosexualität im einzelnen umging, ist
nicht wesentlich festgehalten. Es handelte sich um eine Sünde,
weil es eine Abweichung von der Norm darstellte. Mit dem Begriff
Sodomie wurden männliches und weibliches homosexuelles
Verhalten, Selbstbefriedigung und sexuelle Handlungen mit Tieren
bezeichnet, also Abweichungen von der Zeugungs-Norm. Außerehelicher
Geschlechtsverkehr scheint nicht mitgemeint zu sein, da die Auffassung,
was eine Ehe ist, doch sehr überschätzt wird, wegen
ihrer heutigen Bedeutung als juristisch-staatliche Einheit.
Im Mittelalter glaubte man nicht daran, dass es eine besondere
Menschengruppe geben könnte, die Homosexuellen. Ein Name
für homosexuelle Menschen war noch gar nicht erfunden. Es
war ein nicht zu billigendes Verhalten, was auffiel, im wesentlichen
bei Männern, und der Verbreitung dieser Sünden wollte
man Einhalt bieten. Später, als man versuchte, die Menschen
noch enger religiös gleichzuschalten, kam die Missetat der
Ketzerei hinzu, unter der sexuell abweichendes Verhalten beschrieben
und verurteilt wurde. Dies geschah im wesentlichen im Zusammenhang
mit Inquisitionsverfahren. Es gibt hier eine Reihe von Urteilen
in verschiedenen Texten und Äußerungen, besonders
von Priestern.
- Und die Strafen waren recht drakonisch: Auspeitschen (Geiseln),
Vierteilen, Verbrennen, zu Tode foltern, in Käfige sperren
und verhungern lassen oder dem Gespött der anderen Bürger
aussetzen und dann verbrennen usw. Es traf zumeist männliche
Homosexuelle. Nur der Pfarrer von Groß-Sankt-Martin zu
Köln meinte 1484, sich auf den Römerbrief von Paulus
beziehend, dass die selbe Sünde unter Frauen ebenso zu bestrafen
sei. Aber dies war eine Ausnahme. Das (west)römische Reich
war zu dieser Zeit weitgehend von der Kirche gesteuert, die adligen
Grund- und Landesherren waren mit Kirchenfürsten verwandt
oder selbst Kirchenfürsten, wenngleich der Adel versuchte,
sich immer mehr zu verselbständigen.
- Die Peinliche Halsgerichtsordnung
1532 entstand unter Kaiser Karl V. das erste Reichsstrafgesetzbuch:
Die Peinliche Halsgerichtsordnung. Dort wurde im
Artikel 116 bestimmt:
- Straff
der vnkeusch, so wider die natur beschicht:
Item so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit weib,
vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vnd
man soll sie der gemeynen gewohnheyt nach mit dem fewer vom leben
zum todt richten
- Der (west)römische Kaiser und zugleich spanische König,
dann noch Herr über das heutige Benelux, Italien, Portugal,
die neuen spanischen Kolonien Mexiko, Peru und in Asien die späteren
Philippinen usw. hielt es offenbar für nötig, für
sein riesiges Reich, das fast ganz Europa und andere Teile der
Welt umfasste und sich mittels der neuen Spanischen Kolonien
zur Weltmacht auswuchs, einheitliche rechtliche Richtlinien zu
schaffen. Und diese Richtlinien bestimmten auch in den mitteleuropäischen
Kleinstaaten, aus denen sich später das deutsche Reich bildete,
das rechtliche Leben.
Teilweise duldete man homosexuelles Verhalten, teilweise gab
es Phasen intensiver staatlicher Verfolgung. Man hat nur Urteile
aus unterschiedlichen Regionen überliefert und kann aus
denen die Lebensbedingungen der Menschen, die homosexuelle Handlungen
praktizierten, kaum nachvollziehen. Auch aus den mitteleuropäischen
Regionen, aus denen später das Deutsche Reich wurde, gibt
es nur wenig Hinweise. Dies wäre eine interessante Aufgabe
für den Geschichtsforscher. Lange Jahre bis weit in die
Neuzeit hinein war nun die peinliche Halsgerichtsordnung die
Grundlage der Verfolgung homosexuell handelnder Menschen.
- Bürgerlicher Liberalismus und Napoleon
Gegen Ende des 18 Jahrhunderts setzte sich endlich eine mildere
Auffassung durch. Todesstrafen wurden kaum noch verhängt.
Aufklärer meldeten sich zu Wort und forderten die Abschaffung
der entsprechenden Bestimmungen. Dies geschah nicht, weil man
die Homosexuellen als eine Gruppe entdeckt hätte und ihnen
nun beistehen wollte, sondern um zugunsten einer liberaleren
bürgerlichen Ordnung die Vorherrschaft der Kirche und des
Adels zu brechen.
Mit der Entwicklung früher marktwirtschaftlicher Strukturen
und dem daraus resultierenden auftauchenden Liberalismus wie
der Gründung von bürgerlichen Nationalstaaten tauchte
auch der Gedanke auf, dass es Menschen überlassen sein muss,
wie sie sexuell handeln. Man forderte die Gewerbefreiheit, die
Meinungsfreiheit und die Glaubensfreiheit. Dass die Obrigkeit
von Gott eingesetzt worden sei, war vielen Menschen nicht mehr
glaubhaft. In liberaleren Zeiten kümmerte man sich nicht
darum, was die Leute in den Betten tun, in eher nationalistischeren
Zeiten versuchte man eher den Schulterschluss mit dem Adel und
der Kirche, was für uns Lesben und besonders Schwulen natürlich
verheerend war.
In Frankreich beschloss nach der Revolution die revolutionäre
Konstituante 1791 die Aufhebung der Sodomiestrafen. Napoleon,
der sich mit einem Staatsstreich als Militärdiktator zum
Kaiser ausrufen ließ und so das Erbe des Römerreiches
nach Frankreich holen wollte, beendete die Existenz des weströmischen
Reiches, und der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
wurde nur noch Kaiser des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn,
der der bürgerlichen Nationalstaatsidee trotzte.
Als dann die französischen Revolutionstruppen quer durch
Europa zogen, jubelte ihnen besonders das Bürgertum zu,
denn mit den französischen Truppen kam auch das bürgerliche
Recht, der Code pénal Napoleons. Der schaffte nicht nur
die Gewerbe- und Glaubensfreiheit, er beendete auch jegliche
Sonderbehandlung der Homosexuellen. Die Altersgrenze für
sexuellen Jugendschutz lag nun bei 15 Jahren. Das mit Frankreich
verbündete aufgeklärt regierte Königreich Bayern
verzichtete in seinem neuen Strafgesetz von 1913 ebenfalls auf
Sonderbestimmungen zur widernatürlichen Unzucht.
Als generelle Jugendschutzgrenze galt hier das Alter von 12 Jahren.
Anders war es in Preußen, dort wurde zwar die Todesstrafe
für homosexuelle Handlungen abgeschafft, aber homosexuell
handelnde Männer wurden weiterhin mit Zuchthaus und anschließender
Verbannung bedroht. (RoLü)
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