- 69. LUST, Dezember/Januar/Februar 02
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- Schätze unserer Szene
- Natürlich geht es in unseren Lokalen, in dem Lokalen
unserer Szene, um zwei Dinge:
- Einerseits wolle wir Leute treffen und kennenlernen, von
denen wir annehmen, dass uns etwas mit ihnen verbindet. Vielfach
geht es auch bei schwulen Männern um den Mann für die
Nacht, bei lesbischen Frauen auch darum, eine andere Frau kennenzulernen.
Es gibt keinen besseren Platz dazu in unserer Szene als die Kneipe.
Andereseits wollen wir genau
dort sein, wo man sich wohlfühlen kann, wo Atmosphäre
ist, wo es eben nicht nur immer um das Eine geht.
Man will Leute treffen und das Gefühl unserer Gemeinschaft
spüren.
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- Solche Plätze in unserer Szene, solche Schatzkästchen
möchten wir Euch in Zukunft vorstellen. Da die LUST eine
Zeitschrift ist, die im Gamzen deutschsprachigen Raum gelsen
wird,
werden das wichtige und interessante
Orte eben aus diesem ganzen deutschsprachigen Raum sein. Und
Ihr, liebe LeserInnen, wenn Ihr auch ein solches Schatzkästlein
in Eurer Stadt kennt, eine Kneipe, diesich aus dem einen oder
anderen Grund als bemerkenswert erweist, dann teilt
uns das mit. Vielleicht sehen wir das ja auch so und dann wird
dieser Ort in einer der nächsten Ausgaben vorgestellt.
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- Nein, es geht hier nicht um eine Stadtbesprechung oder um
eine Kneipenbeschreibung, wie das in lokalen Blättern vorkommt,
sondern wir wollen Euch hier auf wichtige Plätze unserer
Szene hinweisen. Wichtig im Sinne von bedeutend.
Dieses Mal haben wir die Krawallschachtell in Frankfurt am Main
ausgewählt, weil genau hier wichtige historische Ereignisse
der deutschen Geschichte stattfanden. Und zwar ging es um die
Emanzipation des Bürgertums gegen den Adel, gegen
den Willen der adligen Landesherren um den
Versuch, einen gemeinsamen deutschen Staat zu gründen, und
zwar als Demokratie und nicht als preußische Militärdiktatur,
wie es dann ja doch gekommen ist. Im Jahre 1998 feierte die Bundesrepublik,
dass vor 150 Jahren in Frankfurt die Paulskirchenversammlung
tagte, wo es (vergeblich) darum ging, einen deutschen Staat zu
gründen und die Vielstaaterei zu beenden.
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- Dieser deutsche Staat sollte demokratisch sein, jedoch der
preußische König, dem man die Kaiserkrone zur konstitutionellen
Monarchie anbot, lehnte ab, da an ihr der Aasgeruch des
Volkes klebe. Die Truppen der Fürsten lösten
dann auch die Nationalversammlung auf und viele Parlamentarier
mussten ihren Mut, dabeigewesen zu sein, mit ihrem Leben zahlen,
wie zum Beispiel Robert Blum, den man in Wien hinrichtete.
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- Vorausgegangen war die Revolution 1848, bei der sich das
Bürgertum als eine starke politische Kraft zeigte. In Frankfurt
gingen die Erhebungen von einem sehr alten Haus aus, das in der
Alten Gasse 24 steht und seit 1526 gastronomisch genutz wird,
und wo sich traditionell die Handwerkszünfte versammelten.
Seit der Revolution von 1848 wird es die Krawallschachtel genannt,
und seit vielen Jahren ist es ein Lokal der Gay-Szene in Frankfurt.
- Der alte Schankraum trägt noch die Inschriften der Handwerker,
Innungswappen zieren die Wände, Bilder aus früheren
Zeiten finden wir hier und natürlich viele Utensilien, die
an die alte Handwerkerzeit erinnern. Der Gay-Stadtbesucher, der
nach Frankfurt kommt, muss hier einkehren, damit auch er diesen
historischen Ort besichtigen kann. Zwar ist es vielleicht etwas
beschwerlich, die steile Stiege hochzugehen, wenn man das Stille
Örtchen aufsuchen möchte. Aber so etwas gehört
dazu, wenn man die Krawallschachtel aufsucht.
- Der große alte Weinkeller ist zum Treffpunkt der thailändischen
Minderheit der Stadt Frankfurt geworden, und hier treffen sich
deshalb Thailänderinnen und Thailänder in eigener Regie.
- Im Schankraum aber residiert Rolf Otto, der das historische
Lokal seit vielen Jahren führt. Rolf ist ein angenehmer
Wirt, dem das Leben seiner Gäste nicht egal ist. Es ist
nett, mit ihm zu plaudern. Er kennt sich nicht nur in der Szene
aus, sondern kennt sich in den vielen Alltagsfragen aus, die
auch ein Besucher der Krawallschachtel mit sich herumtragen mag.
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