- 79. LUST, Sommer 04
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- Wochenend´ hat Schwanz im
Mund
Über die Funktion des Wochenendes
bei unserem lesbischen und schwulen Leben. Gibt es ein Leben
jenseits der Vergnügungsstätten und wäre unser
Leben ohne den Vergnügungs-Samstag auszuhalten?
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- Vorwort
Zunächst einmal, der reißerische Titel, der ein Zitat
der ehemaligen Polit-Rock-Gruppe Floh de Colonge
war, ist eher geeignet, schwule Männer statt lesbische Frauen
anzusprechen.
Als schwuler Mann wollte ich hier etwas Griffiges haben, bin
aber außerstande, das entsprechende lesbische Äquivalent
dazu zu benennen. Gibt es das überhaupt? Bitte liebe lesbische
Leserinnen, nehmt mir meine schwule Genüsslichkeit nicht
übel, auch wenn mir nichts Lesbisches dazu einfällt.
Eigentlich könntet Ihr mir dabei helfen. Also etwas dezenter:
Vaginalcunnilingus?
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- Oder ist es eher so, wie mir von lesbischer
Seite gesagt wurde, dass es in der lesbischen Szene eher unüblich
ist, diese Dinge so direkt in den Mund zu nehmen, verbal meine
ich, wie es generell bei Frauen so sei. Wenn dem so wäre,
möchte ich auf den Beitrag Die Frauenmoral verweisen,
den Ihr sicher in der 78. LUST gelesen habt.
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- Einleitung
Die Arbeitswelt bestimmt unser Freizeitverhalten. Da sonntags
in der Regel nicht gearbeitet wird, ist der Samstag der große
Ausgehtag, auch in unserer Szene. Freitags ist es auch schon
recht voll, doch der Samstag ist der Gipfel. Wer aber Schicht
arbeitet, Urlaub hat, arbeitslos ist oder Rentner, kann sich
nun kaum einen anderen Tag zum Ausgehen aussuchen, denn an den
anderen Tagen ist in der Szene einfach kaum was los. Die normalen
Rhythmen der Arbeitswelt bestimmen dies. Es lebe der Samstag.
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- Saturday Night Fever
Die ganze Woche freut mensch sich auf den Samstagabend. Immerhin
ist es doch ganz gut, sich ein Urlaubchen von der Anpassung zu
nehmen, in der man sich entweder als Hete verstellt, oder, wenn
die Homosexualität geoutet wurde, sich so verhält,
als seien wir genau so wie die Heten. Wir sprechen mit ihnen
über die gleichen Themen, wirken nach außen so, als
ob wir uns nur in der Objektwahl unterscheiden würden und
akzeptieren scheinbar alles, was sie als Normalität ansehen.
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- Das macht man ziemlich lange mit, fast während
des gesamten Arbeitslebens und im Familienleben der Herkunftsfamilie.
Und dann wird es mal wieder Zeit, so richtig Zeit, dass man sich
in die Szene begibt, um sich von all dem zu erholen, naja, das
sagte ich schon
- .
Blöde wäre es da schon, wenn wir in der Disco, in der
Sauna, in der Kneipe usw. gar niemanden treffen würden,
mit der/dem wir die andere Welt, nach der wir uns sehnen und
wo wir uns ausleben können, auch erleben können. Dann
ist die ganze Woche versaut, die vergangene und mehr noch die
zukünftige. Ja, wir brauchen diese Samstag Nacht. Sonst
können wir nicht leben, sonst kommt unser lesbisches und/oder
schwules seelisches Gleichgewicht aus den Fugen.
Der Samstag gibt uns: Hoffnung ohne Grund (Zitat
der ehemaligen Theater-Gruppe Brühwarm), die
Gemeinschaft der ähnlich Frustrierten, die Möglichkeit,
Menschen unserer Art für unsere erduldeten Anpassungsverkrampfungen
der Woche leiden zu lassen, nach dem Motto Wenn wir so
lieben könnten, wie wir hassen (Zitat Theatergruppe
Transitiv).
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- Wir können uns aber dennoch hier freuen,
wenn der Alkoholpegel die scharfen trennenden Konturen verschleiert.
Manche nehmen Härteres, ganz nach dem Zitat von Wolfgang
Neuss: Diese Gesellschaft ist nur zu ertragen, wenn man
sich auf die eine oder andere Art betäubt, und der Staat
kann mir doch nicht vorschreiben, dass ich das mit Rotwein tun
muss. Nun gut, er hat dafür seinen persönlichen
Preis zahlen müssen. Und er meinte nicht unsere Gesellschaft,
sondern die Gesellschaft ganz generell.
Man trifft dort auch Menschen, die uns gegenüber den gleichen
Anpassungsdruck ausüben wie die Herkunftsfamilie und die
Kollegen am Arbeitsplatz, und die haben sogar noch Erfolg damit,
kommen gut an, weil wir schon einen automatischen Mechanismus
entwickelt haben, uns diesen hetigen Strukturen zu unterwerfen.
Aber auf Dauer befriedigt das nicht.
Und wenn wir Glück haben, finden wir hier auch Menschen,
die uns aufbauen, die uns Mut machen, deren Anwesenheit uns angenehm
ist. Und deshalb benötigen wir an einem Tag in der Woche
diesen Ausflug in unsere Normalität, die uns einen Hauch
des Gefühles von Freiheit vermittelt, wie die Georg Kreisler
mit Kennerblick in seinem Song Freiheit ist die Kneipe
nebenan (1981) formuliert hat: Dann ist man frei!
Besoffen frei! Und hüpft vor Freude aus den Schuhn. Dann
spürt man Zuversicht, Lebensmut, Sonne scheint, alles gut
- - Freiheit ist nur die Freiheit, sich vom Gehorsam auszuruhn.
Also gut, es ist nicht die große glückerfüllenden
Freiheit, die wir in unserer Szene vorfinden. Zu viel bringen
wir dort hin mit, und Mitgefühl zwischen uns ist aus der
Mode gekommen, zumindest nicht vorzufinden. Wir lernen, dass
unsere Szene im wesentlichen eine glückverheißende
Szene ist, zumindest, so lange wir sie entbehren und nicht anwesend
sind. Einen anderen Ort finden wir nicht, um Unseresgleichen
zu finden. Und wenn wir dazu bereit sind, das meiste hier etwas
vernebelt zu sehen, kommen uns die Kompromisse auch nicht mehr
so groß vor, die wir eingehen, um zu dem im Titel angedeuteten
bzw. beschriebenen Ziel zu kommen.
Angeblich geht es uns in der Szene immer nur um das eine.
Und das wird überall kritisiert, auch zwischen uns. Die
meisten oder doch recht Viele aus unserer Szene hören sich
die Kritik an, es gehe hier nur immer um Sex, sie kritisieren
dies auch und sie sagen leise zu sich selbst, ihre eigene Lage
betrachtend: Wenn es doch so wäre. (Zitat von
Corny Littman aus der Theatergruppe Familie Schmidt)
Was ist zu dem Vorwurf zu sagen, es gehe immer nur um Sex, und
was ist über den Widerspruch zu sagen: Wenn es doch
so wäre?
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- Immer nur um Sex?
Also, was heißt denn hier eigentlich nur? Das
ist doch schon mal was, wenn er auch stattfindet. Halt, da gibt
es doch die Sauna. Man geht in sie um sich auszuklopfen, und
zwar am frühen Samstagabend. Und dann geht man allseitig
entspannt zum Essen und von dort aus in die Szene, ohne notgeil
zu sein, wie viele hämisch über andere berichten.
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- OV
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- Aber in der Szene wächst dann doch die
Sehnsucht, Für viele schwule Männer endet der Samstagabend
entweder auf einer Klappe oder in einem Park, wobei man sagen
muss, dass die Szenen-interne Doppelmoral hier besonders perfide
ist. Man kritisiert dieses Verhalten und findet sich vielfach
hier wieder, weil es eben in der Disco oder Kneipe nicht geklappt
hat. Oder ein Stricher? Vielleicht ist es aber nur eine Chat-Line
am Rechner mit Cam-Verbindung. Wenn das auch nichts bringt, dann
vielleicht eine der 0190er Nummern?
Alle diese kostspieligen Einrichtungen, die viel Geld einnehmen,
könnten nicht existieren, wenn das Wochenende tatsächlich
den Schwanz im Mund hätte. Also geht die Kritik,
dass es vielen nur um Sex gehe, an den Realitäten
vorbei. Dieser Satz vom zwangsläufigen Zusammentreffen von
Wochenende und Schwanz ist nur ein Angebot an uns, die Verhältnisse
so zu sehen: so gehört das zusammen. Und wenn es nicht so
ist (und es ist ja meistens nicht so), dann sind wir für
die vielen Ersatzbefriedigungen empfänglich, weil ja sonst
was fehlt. In den romantischen Spielfilmen ist der Höhepunkt
mit zwei miteinander verschlungenen gegengeschlechtlichen Körpern
angedeutet.
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- Oder kennt Ihr einen Spielfilm, wo einer
der Akteure (oder der Held) sich als Höhepunkt vor der Cam
im Chat sich einen runterholt? Das ist zwar auch final, aber
es ist wohl zu nahe an der Realität, als dass man dies ohne
seltsame Gefühle sehen könnte. Und wenn es sich um
die üblichen Ersatzbefriedigungen handelt, empfindet das
jeder als Ersatz, und jeder tut nach außen so, als habe
er Ersatz nicht nötig. Jeder ist natürlich erfolgreich.
Und der, der sich nun selber Luft verschafft, da der Traumprinz
nicht zugegen war oder nicht ansprang? Das zeigen der Realität
befreit die anderen, ihre Realität auch für einen Normalfall
zu halten?
Es dient wohl eher dem Spott, weil die offizielle Moral noch
immer vorschreibt, dass jegliche Sexualität in eine Ehe
oder eheähnliche Verbindung gehört. Das vertreten nun
viele, aberleben sie selbst danach? Und da hat die große
Sehnsucht nach dem glücklichen und freien Wochenendbeischlaf
sich nicht zu erfüllen. Aber ein Wochenende ohne Beischlaf?
Das ist doch nichts, da fehlt doch was.
Wenn es doch so wäre
Mal ehrlich, wenn es immer am Wochenende klappen könnte,
dann würde die Sehnsucht fehlen, die uns antreibt und dazu
bringt, am Wochenende voller Erwartung in die Szene zu strömen.
Die Szene kann doch wirtschaftlich nur existieren, weil sie zwar
glücksverheißend ist, aber nicht glückserfüllend.
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- Hätte jeder seine Erfüllung und
tun wir noch die vorgegebene Ehemoral dazu, dann wäre ja
alles passiert. Die sich gefunden haben heiraten und ziehen sich
für 25 Jahre oder 14 Tage zurück, bis die Ehe platzt,
und dann braucht man sie wieder, wenn sie nicht in der Zwischenzeit
Pleite gegangen ist. Dieses wenn es doch so wäre,
dieser Stoßseufzer, beschreibt das Gefühl des unbefriedigten
Szene-Gängers (und der unbefriedigten Szene-Gängerin
vielleicht).
Aber stellen wir uns den Beziehungsalltag mal vor, am Samstagabend
muss was passieren, da geht man/frau raus, will was erleben,
man macht dann nicht das, was man jeden Abend in einer frischen
Beziehung macht, denn dazu brächte man ja nicht den Samstag.
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- Über die Freiheit am Wochenende und sonst auch.
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- Das Finale
Das Problem ist, nach unserer Vorstellung soll alles etwas
bringen. Ihr kennt den zu Verzweiflung treiben Satz? Ja
und? Was soll das bringen? Den bekommt man gesagt, wenn
man zu einer Party einlädt, zu einer Demo aufruft, wenn
man zu einer Diskussionsveranstaltung einlädt, wenn man
einfach als Ziel nichts hat. Das alles bringt
nichts. Bringt es nur was, wenn man den Schwanz im Mund
hat? Was ist los? Sind wir derart ignorant? Oder liegen hier
die Ursachen anders?
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- Alles, was wir in der Arbeitswelt machen,
das hat dazu zu führen, dass es Geld bringt nicht
so direkt für uns, aber wir werden dafür bezahlt, dass
wir Ihm oder in Einzelfällen Ihr
Geld bringen. Und was bringt ihm oder ihr
Geld? Wenn wir etwas erreichen, erzielen, herstellen, verrichten
usw. Jeder Schritt unseres Arbeitslebens ist einem finalen Ziel
untergeordnet. Sonst bringt es nichts. Und die von uns, die noch
einen festen Arbeitsplatz haben, die merken schnell, dass das
ganze Leben sich um diesen Arbeitsplatz herum gruppiert.
Die gesetzlich festgelegten 8 Stunden regelmäßig,
werden schon überall weit überschritten. Man verbringt
hier die meiste Zeit seines wachen Lebens. Und was hier normal
ist, wird zunehmend zu Normalität an sich. Ein freundliche
Miteinander? Nur dann, wenn ich damit ein Ziel erreichen will.
Sich an schönen Bildern erfreuen? Nur dann, wenn ich sie
kaufen und verkaufen kann oder wenn sie eine Wertanlage darstellen.
Mitmenschlichkeit?
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- Nur wenn sie nichts kostet oder Geld bringt.
Und im Zwischenmenschlichen? Das Buhlen um den Mann für
die Nacht? Ist das Ziel offensichtlich dann erreicht, wenn die
kleine Pfütze auf den Boden, den Bauch oder wohin auch immer
getropft ist.
Dieser finale Abschluss belegt: es hat was gebracht. Na prima,
das Wochenende war nicht nutzlos. (js)
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