Grußwort zur 60. LUST, zur 61. LUST, zur 62. LUST, zur 63. LUST, zur 64.LUST, zur 65.LUST, zur 66.LUST; zur 67.LUST, zur 68. LUST, zur 69. LUST, zur 70 LUST, zur 71. LUST, zur 72. LUST, zur 73. LUST, zur 74. LUST, zur 75. LUST, 76. LUST, 77. LUST, 78. LUST, 79. LUST, 80. LUST, 81. LUST, 82.LUST, 83. LUST und 3. LUSTBLATT, 4. LUSTBLATT, 84. LUST und 5. LUSTBLATT, 85. LUST, 86. LUST, 87. LUST, 88. LUST, 89. LUST,
 
Mensch, schon wieder ist ein Jahr fast rum. Ich glaube, je älter man wird, um so schneller fliegt so ein Jahr vorbei. Als Kind war mir ein Jahr endlos lang. Es war auch ein riesiger Unterschied, ob man 5 oder 6 Jahre als war, man kam in die Schule, ob man 13 oder 14 Jahre als war, man wurde Jugendlicher und dann als man 18 wurde, war man ein Erwachsener. Nein, stimmt ja nicht, in meiner Zeit wurde man mit 21 erst volljährig.

Heute ist es für mich schon bedeutungsvoll, ob ich 62 oder 63 Jahre alt bin. Es ändert sich für mich real nichts dadurch, aber ich befürchte, dass ich im Chat vielleicht mit 62 noch in die Nähe von 60 gerückt werde, mit 63 in die Nähe von 65. Naja, wer keine Männer in meinem Alter mag, dem ist das nun egal, sage ich mir, mich selber tröstend, und wer Männer in meinem Alter mag, dem ist das dann wohl auch egal?

Also, im Ernst, man wird vielleicht von außen anders klassifiziert, real ist da nichts anders.
Aber ein Jahreswechsel ist ja auch kein Geburtstag, zumindest für die meisten nicht. Trotzdem ist es üblich, auf das fast vergangene Jahr zurückzuschauen. Das machen wir auf S. 36.

Irgendwelche Besonderheiten im vergangenen Jahr? Also, ich empfinde das nicht. Hat mich gefühlsmäßig nicht so angesprochen, doch was mich anspricht ist das schleichende Abrutschen dieser Gesellschaft, in der wir leben. Wohin?

Menschen begegnen sich immer unpersönlicher, PolitikerInnen haben anscheinend nur ihre eigene Karriere im Sinn statt das Wohl ihrer Wähler-Innen. Statt den Willen der WählerInnen zu verwirklichen, werden die Handlungen, die den eigenen Wirtschafts- und Machtinteressen dienen, manipulativ begründet.

Wirtschaftlicher Gewinn geht über Ethik, Kultur, Menschlichkeit, und Politik hat die Aufgabe, diesen Zustand entweder zu erhalten oder anzustreben. Das führt zu einer Verwahrlosung der Menschen und der ganzen Gesellschaft. Wie kann man von den einfachen kleinen Menschen etwas erwarten, wenn die Obrigkeiten etwas anderes vormachen? Und daher wird nicht mehr mit Argumenten gerechnet, sondern es wird überall mit mehr Druck gearbeitet.

Die Lesben- und Schwulenszene, die zumindest in diesem Land soviel Entfaltungsmöglichkeit genießt, wie noch nie in der Geschichte, tanzt auf dünnem Eis, denn die immer größere Hinwendung zur Religion und das immer fundamental-istischere Auftreten aller Weltreligionen sowie der Zulauf zu den Nazis, ergänzt durch das Kokettieren führender konservativer PolitikerInnen mit fundamentalistischen und nationalistischen Phrasen belegen den Abstieg des Niveaus der Politik und ist ein weiterer Hinweis auf den Abstieg der ganzen Gesellschaft. Die Gesundbeterei der Kanzlerin ändert daran nichts, denn wir sehen ja die Änderungen in der Gesellschaft um uns herum jeden Tag.

Wie Ihr ja wisst halte ich nichts davon, eingeschüchtert auf die sich abzeichnende Gefahr zu starren wie ein Hase auf eine Schlange.
Unsere Interessen liegen darin, dass wir unsere Stärke, insoweit sie irgendwie vorhanden ist, zum Mobilisieren des Widerstandes; und zwar gegen den zunehmenden Religionseinfluss und die damit einhergehende Moralisierung und die gesellschaftspolitischen Bewegung nach rechts. Dies müssen wir verknüpfen mit dem Widerstand gegen den Kulturabbau auf wenige kommerzielle Events und den Sozialabbau, der immer größere Armut schafft. Das alles müssen wir, alleine schon um Erreichtes nicht zu verlieren.
Das dürfte das gesellschaftspolitische Programm unserer Bewegung des nächsten Jahres und wohl auch noch länger sein, was von uns ein großes Engagement abverlangt.

Belege für diese Notwendigkeiten findet Ihr in dieser Ausgabe unserer Zeitschrift, habt Ihr aber wohl auch in dem nun bald vergangenen Jahr in der LUST gelesen aber eben auch in der Gesellschaft vorgefunden, sofern Ihr dafür Augen hattet.
Und Augen dafür habt Ihr sicher, denn Ihr gehört ja zu der Minderheit in unserer Szene (und außerhalb der Szene), die mehr oder weniger regelmäßig die LUST liest. Das heißt doch schon was.

Das verrückte ist nämlich, dass die zunehmende Religiosität mit dem Ansteigen von rechtem Gedankengut einhergeht und im Krieg um die Köpfe durchaus vorangekommen ist, und dass sich in der Gesellschaft schon entsprechende Strukturen eingerichtet und festgekrallt haben.

Übersteht bitte gut und unbeschadet den Weih-nachtsterror, den religiösen Mummenschanz und die fetten Gerichte.
Dennoch wünschen wir Euch, das LUST-Team, ein paar angenehme Tage „zwischen den Jahren“, einen guten Rutsch, doch auch ein bisschen Lebensglück und viel befriedigendes Liebesglück. Und deshalb wünschen wir Euch auch langen Atem bei der Bewältigung der Herausforderungen, die sich für das nächste Jahr schon abzeichnen.

Und taucht nicht zu tief ab, in der Silvesternacht und zu Fastnacht, Euer Kopf wird gebraucht,
Euer Joachim von der LUST
 
(joachim-schoenert@lust-zeitschrift.de)